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„Medizinischer Fortschritt – großartig und irritierend zugleich!“

„Freiheit und Zwang – Schuld und Sühne“ – Bettina Limperg, Präsidentin des Bundesgerichtshofs Karlsruhe, wurde mit ihrem Vortrag in einem gut gefüllten Hauptsaal in der Gartenhalle Karlsruhe erwartet. Viele NeuroIntensivmediziner wollten sich den als Kongress-Highlight angekündigten Vortrag zum Präsidentensymposium nicht entgehen lassen. „Recht und Hirn, Rechtsstaat und Intensivmedizin, ein ganz anspruchsvolles Thema. Wir werden schauen, wie wir die Brücke zu den Neurowissenschaften schlagen können“ – Prof. Gahns einleitende Worte deuteten schon auf eine ausgefeilte Rede hin, die die ganze Aufmerksamkeit der Zuhörer forderte. Wer sich darauf einließ, bekam einen umfassenden Abriss zum Thema der menschlichen Willensfreiheit geboten. Wer erhellende rechtliche Informationen für die klinische Praxis erwartete, war erst einmal enttäuscht.
Vom Urknall vor 25 Milliarden Jahren über eine Interpretation zu Dostojewskis literarischem Werk „Schuld und Sühne“ bis hin zu philosophischen Anschauungen zum freien Willen ging es vor allem um die Frage, wie frei wir in unseren Entscheidungen wirklich sind, um die Verantwortung für unser Handeln zu übernehmen.

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Fotos: Conventus / Helge Schubert

IGNITE! – die Initiative of German NeuroIntensive Trial Engagement, eine aktive, offene Gruppe von klinisch und wissenschaftlich aktiven Neurologen und Neurochirurgen innerhalb der DGNI führt gemeinsam klinische Studien durch und treibt die Forschung in der NeuroIntensivmedizin auf einem hohen Niveau voran. Welche Studien im letzten Jahr im Bereich der NeuroIntensivmedizin veröffentlicht wurden, welche Studien aktuell laufen oder in Vorbereitung sind, wurde von Oliver Sakowitz, Ludwigsburg, im Bereich Neurochirurgie, von PD Dr. med. Wolf-Dirk Niesen, Freiburg, im Bereich Neurologie und von Konstantinos Dimitriads, München, für die IGNITE-Gruppe vorgestellt. Das Resümee: „Das Publikationsverzeichnis der IGNITE ist eine Erfolgsstory!“ Die laufenden Studienprojekte zeigten eindrucksvoll die breit gefächerten Interessen der NeuroIntensivmedizin, dazu hier ein Überblick.

Zum Abschluss der Session gab es einen Vortrag mit besonderen Denkanstößen von Claude Hemphill, San Francisco/ US: „Dealing with end-of-life-decisions in Neurocritical Care“. Das schwierige Kapitel der Entscheidungen am Lebensende wurde eindrucksvoll beleuchtet. Woher wissen wir, dass das Leben zu Ende ist? Wie sprechen wir mit den Familien? Die Patientenstudie einer internistischen Intensivstation zeigte, dass die jeden Tag aufs Neue gestellte Frage an Patienten, Angehörige, Pflegende und Ärzte, ob der Patient im Krankenhaus sterben würde, immer weniger klar zu beantworten war. Die Frage, wer tatsächlich über das Outcome eines Patienten entscheidet, führte zu weiteren Gedanken zu religiösen, kulturellen, historischen, gesellschaftlichen und individuellen Unterschieden. Die PCORI-Studie verdeutlichte, welch hohen Wert letztlich die eigene Meinung spielt und wie diese die Entscheidung zur Therapielimitierung beeinflussen kann. Je nachdem in welche Richtung, wurden bis zu 15% Unterschied festgestellt: eine große Gefahr einer „self-fulfilling prophecy“. Dazu wurde auf der ANIM 2018 eine GAP-Analyse entwickelt, die zur Erarbeitung einer gemeinsamen Leitlinie der DGNI und NCS führte.

Emergency Neurologic Life Support (ENLS) und „NeuroIntensivmedzin Kompakt“ gut besucht!

Im Anschluss an die große Resonanz in den Vorjahren ist der Emergency Neurologic Life Support (ENLS) Kurs wieder gut angelaufen. 70 Teilnehmer waren am ersten Kongresstag am Start, um sich umfassend kundig zu machen, wie 14 neurologische Notfälle während der kritischen ersten Stunden in der Rettungsstelle und auf der Intensivstation behandelt werden. „Unser erfolgreiches Konzept zeigt, dass der Bedarf auf jeden Fall da ist und es freut mich, wie sehr dieser Kurs auch in diesem Jahr wieder nachgefragt ist“, so ENLS-Trainerin Dr. med. Katja Wartenberg, Leipzig, diesmal tatkräftig unterstützt von Claude Hemphill und Mary Kay Bader aus Kalifornien/ USA. Auch diesmal kommen die Teilnehmer aus Deutschland und Österreich, um zu lernen, wie ihre Handlungskompetenz gestärkt werden kann und die Versorgung von neurologischen und neurochirurgischen Notfallpatienten zu verbessern ist. Der ENLS-Reanimationskurs wurde von NeuroIntensivmedizinern und Notärzten der Neurocritical Care Society entwickelt und es kann auch online ein Zertifikat erworben werden unter www.neurocriticalcare.org/enls.

Auch der auf zwei Tage angelegte Kurs „NeuroIntensivmedzin Kompakt“, den die DGNI zusammen mit der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) anbietet, ist schon am ersten Kongresstag mit rund 145 überwiegend jungen Teilnehmern gut besucht. Bei diesem Angebot steht die Ausbildung in der neurologischen Notfallmedizin im Fokus. Ausgangspunkt ist die gängige Praxis an vielen Kliniken, dass schon junge Assistenzärzte in der Notfallaufnahme, im Nacht- und Bereitschaftsdienst eingesetzt werden. Nach einem gemeinsamen Beschluss von DGN und DGNI wurde dieser Kurs zur theoretischen Unterstützung der praktischen Klinik-Ausbildung entwickelt und ist schon jetzt gut angenommen.

Feierliche Kongresseröffnung in Karlsruhe

Karlsruhe. Die ANIM 2020 ist am heutigen Donnerstag erfolgreich in Karlsruhe gestartet. Schon am ersten Kongresstag der Arbeitstagung NeuroIntensivMedizin, der gemeinsamen Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für NeuroIntensiv- und Notfallmedizin (DGNI) und der Deutschen Schlaganfallgesellschaft (DSG), kamen 1.010 Ärzte, Wissenschaftler, Pflegekräfte und Therapeuten zusammen. „Wir NeuroIntensivmediziner treffen uns nicht nur für einen wissenschaftlichen Austausch, wir sind vor allem auch ein Arbeitskongress!“, betonte Tagungspräsident Prof. Dr. med. Georg Gahn, Karlsruhe. Zur feierlichen Eröffnung der diesjährigen ANIM-Tagung begrüßte er die Teilnehmer mit Blick auf die erfolgreiche Etablierung des interdisziplinären und interprofessionellen NeuroIntensivmediziner-Kongresses mit einem vielfältigen Programm von 55 spannenden Vorträgen, 64 Posterbeiträgen und 8 Workshops als Plattform für aktuelle Diskussionen auf hohem Niveau.

„Der Andrang zeugt davon, dass unsere Veranstaltungsthemen wieder den richtigen Nerv der NeuroIntensivmedizin getroffen haben“, zeigte sich DGNI-Präsident Prof. Dr. med. Oliver W. Sakowitz, Ludwigsburg, überzeugt und hob die besondere Aufstellung des Faches hervor: „NeuroIntensivmedizin ist eine Melange aus Verstand, Handwerk und ein gutes Stück Passion. Keine intensivmedizinische Maximaltherapie, sondern eine doppelte Sicherheit: ein Reservefallschirm, der den Neurochirurgen Eingriffe erlaubt, die man vor nicht allzu langer Zeit gar nicht erst gewagt hätte!“ Bei allen Fortschritten der letzten Jahre in Wissenschaft und Klinik ging es jetzt vor allem um die Durchsetzung verbesserter Versorgungsstrukturen, frei nach einem Zitat von Ron Kritzfeld: „Auch die Politik ist eine Intensiv-Station. Sie hält uns lange in Atem.“

Den hohen Stellenwert der Nachwuchsförderung zeigten die ersten Tagungs-Highlights zur Kongresseröffnung mit der feierlichen Übergabe der Forschungsförderungspreise, mit denen junge Ärzte und Wissenschaftler für herausragende Arbeiten im Bereich der Intensiv- und Notfallmedizin ausgezeichnet wurden. Georg Gahn überreichte den DGNI Nachwuchsförderungspreis 2020 an

Dr. Hannah Fuhrer, Freiburg, die einen kurzen Einblick in ihr spannendes Forschungsthema mit der Frage gab: „Ist die kardiale Auswurfleistung ein besserer Therapieparameter auch bei Patienten mit ischämischem Schlaganfall?“ Die komplette Studie ist auf der Homepage der DGNI einsehbar unter OPTIMAL.

Der Vorjahrespreisträger Dr. med. Harald Krenzlin, Mainz, gab einen Überblick über sein Projekt „Das zerebrale Thrombin-System als Modulator des sekundären Hirnschadens und möglicher Angriffspunkt in der Therapie intrazerebraler Blutungen im Mausmodell“

Der Hans-Georg-Mertenspreis für innovative, therapierelevante Forschung in der NeuroIntensiv- und Notfallmedizin, der alle zwei Jahre von der DGNI zusammen mit der Deutschen Gesellschaft für Neurologie ausgerichtet wird, wurde vom Präsidenten der DGNI an Prof. Dr. med. Hagen Huttner, Erlangen, übergeben. Dieser nutzte die Gelegenheit für einen Appell an den medizinischen Nachwuchs, die DGNI weiterhin zukunftsfähig aufzustellen: „Es ist entscheidend, dass junge Leute verstärkt Flagge zeigen, in diesem spannenden Feld tätig zu werden, so dass die Patienten vital von unseren Expertisen und unserem Handeln profitieren!“

Prof. Dr. Armin Grau, Past-Präsident der Deutschen Schlaganfallgesellschaft (DSG), Ludwigshafen am Rhein, betonte in seiner Ansprache die inzwischen flächendeckend gute Qualität der Akutversorgung mit deutschlandweit 335 von der DSG zertifizierten Stroke Units, in denen immer mehr Patienten zeitnah mit Thrombektomie behandelt werden können. Als aktuelles Projekt wurde mit bereits über 300 rekrutierten Patienten die Studie SANO – Strukturierte ambulante Nachsorge nach Schlaganfall zur Sekundärphrophylaxe und Nachsorge – auf den Weg gebracht.

Fotos: Conventus / Helge Schubert