Cohen ZR, Ram Z, Knoller N, Peles E, Hadani M
In: Cerebrovasc Dis 2002;14:207-213


BEWERTUNGSSYSTEM

*****    = hervorragende Arbeit
****    = gute grundlagenwissenschaftliche Arbeit/klinische Studie/Übersichtsarbeit
***    = geringer Neuheitswert oder nur für Spezialisten geeignet
**    = weniger interessant, leichte formale oder methodische Mängel
*    = erhebliche Mängel

 

nima 2-2003


Bewertung: *





Hintergrund:

Die spontane Kleinhirnblutung ist in der neurologischen Intensivmedizin keine ganz seltene Erkrankung. Die Mortalität ist hoch, die funktionelle Langzeitprognose der Überlebenden ist nicht befriedigend untersucht. Die meisten Autoren schlagen bei großen Blutungen oder Bewusstseinstrübung eine operative Hämatomausräumung vor. Obwohl die Operationsindikation bei diesen Patienten allgemein akzeptiert ist, wird dieses Vorgehen bisher nicht durch wissenschaftliche Daten unterstützt. Größere systematische Studien über Indikationen, Prognose und Effektivität der operativen Behandlung gibt es nicht.

Zielsetzung:

Die Autoren berichten Aufnahmebefunde, radiologische Befunde und das Outcome nach 3 Monaten bei 37 Patienten mit spontanen Kleinhirnblutungen unter konservativer oder operativer Behandlung.

Design und Methode:

In dieser retrospektiven Kohortenstudie wurden 37 Patienten (mittleres Alter 65 Jahre) einer neurochirurgischen Intensivstation mit nichttraumatischer Kleinhirnblutung analysiert. Bei 30 Patienten wurde eine Hämatomausräumung durchgeführt, 7 Patienten wurden konservativ behandelt. Bei 19 Patienten musste außerdem eine Ventrikeldrainage gelegt werden. Die Indikationen zur Operation und zum Operationszeitpunkt waren nicht klar definiert. Folgende Werte wurden für die Auswertung herangezogen: Maximaler Blutungsdurchmesser, GCS bei Aufnahme, Nachweis von Hydrozephalus sowie von Pyramidenbahnzeichen. Als Outcomekriterium wurde der GOS nach 3 Monaten verwendet, der in gut (GOS 4+5) und schlecht (GOS 1-3) dichotomisiert wurde.

Wichtige Resultate:

Bluthochdruck war die Ursache bei 31 der 37 Patienten, die übrigen Patienten hatten Gerinnungsstörungen, arteriovenöse Malformationen, drogenassoziierte Blutungen oder ein Hämangioblastom. 16 Patienten (43%) erholten sich ohne Behinderung, 6 (16%) hatten eine geringe Behinderung, 5 (14%) überlebten mit schwerer Behinderung, und 10 Patienten (27%) verstarben. Die Blutungsgröße war der einzige signifikante Prädiktor für ein schlechtes Outcome. Von den 13 Patienten mit einem Hämatom 13 und einer Blutung 3 cm Durchmesser und einem GCS <13 wurden 14 operiert; von diesen Patienten hatten 8 trotz der Intervention ein ungünstiges Outcome. Eine multivariate Analyse ergab als prognostisch ungünstige Variable die Hämatomausräumung.

Schlussfolgerungen:

Die Autoren interpretieren ihre Daten dahingehend, dass Patienten mit kleinen Hämatomen 3cm Durchmesser und komatöse Patienten sollten operiert werden.

Kommentar:

Die Autoren schreiben es selbst: Aufgrund der unkontrollierten Indikationsstellung zur Hämatomausräumung und der geringen Zahl der konservativ behandelten Patienten (n=7) können keine Aussagen über den möglichen Nutzen der operativen Behandlung und die Indikation für eine Hämatomausräumung getroffen werden. Trotz dieser richtigen Einsicht konnten die Autoren es leider dennoch nicht lassen, sämtliche Register ihres Statistikprogramms zu ziehen. Da offensichtlich weder die Autoren noch die Reviewer über biomathematische Basiskenntnisse verfügten, können die Analyse der Daten und alle daraus abgeleiteten Folgerungen nicht akzeptiert werden. Diese sind zwar möglicherweise zutreffend, können aber aus den präsentierten Daten nicht abgeleitet werden. Die GCS wird fälschlicherweise als kontinuierliche Variable angegeben und zudem noch mit dem t-Test bearbeitet, der eine Normalverteilung voraussetzt, was bei diesem Patientenkollektiv kaum anzunehmen ist. Eine multivariate Analyse retrospektiv gewonnener Daten, die auch von den Autoren selbst angeführte, mögliche prognostische Faktoren (z.B. Morphologie des IV. Ventrikels) vernachlässigt, ist bei einer so kleinen Stichprobe, zurückhaltend ausgedrückt, höchst problematisch. Nur fünf mögliche Parameter gehen in das Modell ein, nicht einmal das Alter der Patienten oder die Blutungsursache (auch Tumorblutungen wurden eingeschlossen) werden berücksichtigt. Die Modellbildungsstrategie und die Bewertungskriterien, die wesentlichen Einfluss auf die Ergebnisse hat, werden nicht ausreichend beschrieben. Eine externe Validierung oder crossvalidation des Modells werden selbstredend nicht durchgeführt. So verwundert es nicht, dass sich als Produkt dieser Rechenkünste die Hämatomausräumung als zuverlässigster (negativer) prognostischer Parameter herausstellt. Obwohl das Konfidenzintervall für die Richtigkeit dieser Aussage in der multivariaten Analyse von 0,97-7,97 (bzw. 0,94-20,1) reicht, wird die Hämatomgröße von den Autoren wiederholt als prognostisch besonders wichtiger Wert herausgestellt.
Was geht nun aus den Daten tatsächlich hervor? Mortalität und Morbidität von Patienten mit großen Kleinhirnblutungen oder mit einem GCS 13 haben auch ohne Operation eine gute Prognose. Das wussten wir schon.

(St. Schwarz)