Steiner LA, Johnston AJ, Czosnyka M, Chatfield DA, Salvador R, Coles JP, Gupta AK, Pickard JD, Menon DK
In: Crit Care Med 2004; 32(4): 1049-1054

BEWERTUNGSSYSTEM

*****    = hervorragende Arbeit
****    = gute grundlagenwissenschaftliche Arbeit/klinische Studie/Übersichtsarbeit
***    = geringer Neuheitswert oder nur für Spezialisten geeignet
**    = weniger interessant, leichte formale oder methodische Mängel
*    = erhebliche Mängel

 

nima 2-2004


Bewertung: ***





Zielstellung:

Die vorliegende Studie sollte den zerebrovaskulären Effekt von Norepinephrin und Dopamin bei Patienten mit akuter Hirnverletzung vergleichen.

Design:

Es handelt sich um eine randomisierte Cross-over-Studie, in die 10 Patienten mit akutem Schädel-Hirn-Trauma (SHT) eingeschlossen wurden, die zur Aufrechterhaltung eines zerebralen Perfusionsdruckes von 65 mmHg vasoaktive Substanzen erhalten mussten. Einschlusskriterien waren ein Alter > 16 Jahre, ein schweres Schädel-Hirn-Trauma nach Glasgow-Coma-Scale (GCS) < 8 oder ein moderates SHT (GCS < 12) mit sekundärer Verschlechterung bis zum GCS < 8. Die Medikation mit Propofol und Fentanyl sowie Beatmung waren erlaubt. Zunächst wurde während der Infusion der jeweiligen Substanz der zerebrale Perfusionsdruck (CPP) auf 65 mmHg adjustiert, jeweils 20 min nach hämodynamischer Stabilisierung über eine Dosissteigerung auf 75 mmHg angehoben, dann auf 85 mmHg. Nach weiteren 20 min wurde die Infusionsrate reduziert, bis wieder ein CPP von 65 mmHg erreicht war. Anschließend wurde das Protokoll mit der jeweils anderen Substanz wiederholt. Aufgezeichnet wurde der mittlere arterielle Druck über die A. radialis, der ICP über eine intraparenchymatöse Sonde und der end-tidale CO2-Wert. Außerdem wurde über eine bilaterale transkranielle Dopplersonographie (TCD) die mittlere Flussgeschwindigkeit der Aa. cerebri mediae gemessen, um Veränderungen des zerebralen Blutflusses (CBF) zu erfassen. PaCO2 und Körpertemperatur wurden konstant gehalten.

Wichtige Resultate:

Norepinephrin führte zuverlässig zu einem signifikanten Anstieg der Flussgeschwindigkeit bei jedem Schritt der Steigerung des CPP (57,5 + 19,9 cm/sec, 61,3 + 22,3 cm/sec, 68,4 + 24,8 cm/sec). Die Veränderungen unter Dopamin waren dagegen variabel und inkonstant (61,5 + 19,4 cm/sec, 64,6 + 20,2 cm/sec, 67,2 + 20,9 cm/sec). Während für Norepinephrin die Flussgeschwindigkeiten der einzelnen Stufen sich jeweils signifikant unterschieden, war dies für Dopamin nicht der Fall. Allerdings lagen auch keine signifikanten Differenzen zwischen den jeweiligen Werten der beiden Substanzen vor.

Schlussfolgerungen:

Die Autoren ziehen den Schluss, dass Norepinephrin voraussagbar und effizient den CPP bei Patienten mit schwerem SHT anzuheben vermag und gegenüber Dopamin vorzuziehen sei.


Kommentar:

Die Studie weist, wie von den Autoren selbstkritisch eingeschätzt, verschiedene Limitierungen auf. Zunächst sollte die kleine Patientenzahl keine weitreichenden Konsequenzen zulassen. Die Messung der Flussgeschwindigkeiten mittels TCD erfolgte unter der Annahme, dass die Medikamente keinen konstriktorischen Effekt auf die A. cerebri media ausüben. In Tierexperimenten konnten gegenteilige Effekte nachgewiesen werden, allerdings artspezifisch. Zumindest aber für Norepinephrin konnten auch Korrelationen zwischen der Flussgeschwindigkeit in der A. cerebri media und dem zerebralen Blutfluss gezeigt werden. Zu berücksichtigen ist ferner eine mögliche Interaktion durch die mögliche metabolische Wirkung des Propofols bzw. eine Medikamenteninteraktion. Zum weiteren ist der genaue Status der zerebrovaskulären Situation nicht bestimmbar, so dass Hypoperfusion, Hyperämie oder Vasokonstriktion nebeneinander vorliegen können. Da die Studie erst 3,3 + 1,5 Tage nach der Verletzung erfolgte, ist zudem keine Aussage über ein früheres Stadium möglich. So lassen die vorgestellten Daten Raum für Interpretationen. Dies gilt auch für einzelne Parameter. Ob der Anstieg des zerebrovaskulären Widerstandes (CVR) auf Vasokonstriktion durch einen Medikamenteneffekt oder durch eine autoregulatorische Antwort auf den erhöhten Perfusionsdruck zu sehen ist, muss unklar bleiben. Auch der Versuch, die Ergebnisse mit aktuellen Daten der Grundlagenforschung in Einklang zu bringen, führt nicht zu schlüssigen Ergebnissen. Die vorgestellten Resultate werfen somit neue Fragen auf, die dringend durch größere Studien zu beantworten wären. Es zeigt sich, wie viele Unklarheiten über den genauen Wirkmechanismus dieser häufig eingesetzten Substanzen noch bestehen. Dennoch müssen die vorgestellten Befund Interesse wecken. Mit einer relativ einfachen, aber präzisen Methodik konnten Aussagen über diese wichtigen pathophysiologischen Wirkungen gemacht werden. Somit wird ein kleiner Baustein zu den bislang kontroversen Daten zu dieser Problematik vorgelegt. Während die bisherigen Daten zumeist am gesunden Tier oder Mensch gewonnen wurde, liegt der besondere Wert der vorgestellten Ergebnisse darin, dass hier das kranke Gehirn in vivo Gegenstand der Untersuchung war.

(L. Harms)