Anuj Bhatia, Arun Kumar Gupta
In: Intensive Care Med; 2007; 33:1263-1271

BEWERTUNGSSYSTEM

*****    = hervorragende Arbeit
****    = gute grundlagenwissenschaftliche Arbeit/klinische Studie/Übersichtsarbeit
***    = geringer Neuheitswert oder nur für Spezialisten geeignet
**    = weniger interessant, leichte formale oder methodische Mängel
*    = erhebliche Mängel

 

NIMA 08


Bewertung: ***





Zielstellung:

Diese Übersichtsarbeit evaluierte zwei Modalitäten des kontinuierlichen Neuromonitorings bei Patienten mit akuter Hirnschädigung: Monitoring des intrakraniellen Drucks (ICP) und des zerebralen Blutflusses (CBF). Es sollen die unterschiedlichen Verfahren der ICP- und CBF-Messung dargestellt werden, einschließlich deren Vor- und Nachteile, Limitation und Interpretationsansätze.

Design:

Reine Übersichtsarbeit

Wichtige Resultate:

ICP-Monitoring: Die Messung des ICPs mit einem intraventrikulären Katheter (EVD) wird von Experten nach wie vor als ‚Gold-Standart’ gewertet. Der Vorteil einer EVD ist insbesondere die Möglichkeit eines Null-Abgleichs in vivo sowie die Möglichkeit einer therapeutischen Liquordrainage. Der Nachteil einer EVD-basierten ICP-Messung besteht im Infektionsrisiko, der invasiven Prozedur sowie der Schwierigkeit der Anlage bei komprimierten Seitenventrikeln. Eine Alternative stellt die ICP-Messung mit einer intraparenchymal platzierten Drucksonde dar. Diese hat ein geringeres Infektionsrisiko, die Kalibrierung kann jedoch nicht wie bei der EVD in vivo stattfinden, so dass es oft zu einem Null-Drift des Sensors kommt. Epidurale Druckabnehmer haben den Vorteil, dass die Dura nicht eröffnet werden muss, ebenso ist das Risiko einer Infektion, einer Hämorrhagie oder einer Epilepsieentwicklung gering. Die Messwerte sind jedoch häufig ungenau und nicht verwertbar. Das ICP-Monitoring wird von den meisten Experten als wichtige Komponente in der Behandlung von Patienten mit akuter Hirnschädigung betrachtet, da die Behandlung solcher Patienten wesentlich durch die Erhaltung eines suffizienten zerebralen Perfusionsdrucks (CPP) gesteuert wird, der die sich aus der Differenz des mittleren arteriellen Drucks und des ICPs berechnet. Der therapeutische Zielwert des CPPs ist jedoch nach wie vor unklar, die Empfehlungen variieren von >50mmHg bis >70mmHg. Hinsichtlich des ICPs besteht jedoch allgemeiner Konsens, dass Werte über 20-25mmHg als behandlungsbedürftig anzusehen sind. Die Analyse der ICP-Kurve und deren Reaktionen auf Blutdruckänderungen können ebenfalls zur Beurteilung der aktuellen Hirncompliance und als Parameter zur Prognoseabschätzung herangezogen werden, wie dies für Patienten mit schwerem Schädel-Hirn-Trauma gezeigt werden konnte. Nicht-invasive ICP-Monitoring Verfahren (z.B. anhand der Messung des Flussprofils in der mittleren Zerebralarterie (MCA) mittels Doppler) werden z.Zt. noch intensiv untersucht.
CBF-Monitoring: Der transkranielle Doppler (TCD) ist eine äußerst nützliche Methode, die zerebrale Hämodynamik nicht-invasive zu monitoren. Veränderungen der Flußgeschwindigkeit korrelieren aber nur mit Änderungen des CBFs, wenn der Beschallungswinkel und der Gefäßdurchmesser unverändert bleiben. Unter diesen Bedingungen kann die Pulsatilität (Verhälnis von systolischem und diastolischem Fluss) als Parameter für den zerbrovaskulären Widerstand herangezogen werden. Zudem erlaubt der TCD Aussagen über die zerebrale Autoregulation und Gefäßreaktivität. Am häufigsten wird der TCD jedoch zur Evaluierung von Vasospasmen eingesetzt. Flussgeschwindigkeiten >120cm/s in der MCA und ein Lindegaard-Index >3 (=Flussgeschwindigkeit in der MCA / Flussgeschwindigkeit in der extrakraniellen A. carotis interna) sind Indikatoren für einen Vasospasmus. Die Daten zur Spezifität und positiven Prädiktion des TCDs hinsichtlich Vasospasmen sind jedoch kontrovers. Die Laser-Doppler-Flowmetrie erlaubt eine kontinuierliche Messung des lokalen CBFs. Leider ist es eine invasive Methode, die nur den relativen, nicht den absoluten CBF in einer kleinen Hirnregion messen kann.
Eine recht neue Alternative der lokalen CBF-Messung ist die Thermale Diffusions Flowmetrie, bei der anhand der Temperaturdifferenz zwischen zwei Metall-Plättchen der lokale CBF ermittelt wird. Nachteil dieser Methode ist die Invasivität, die ersten Ergebnisse sind jedoch viel versprechend

Schlussfolgerungen:

Es existieren verschiedene Modalitäten zum Monitoring des ICPs und des CBFs bei Patienten mit akuter zerebraler Schädigung. Der adäquate Einsatz sowie die Kenntnis der Vorteile und Limitationen der unterschiedlichen Techniken kann das Outcome von solchen Patienten verbessern.

Kommentar:

Diese Übersichtsarbeit untersuchte verschiedene Methoden der kontinuierlichen ICP- und CBF-Messung zum Neuromonitoring von Patienten mit akuter Hirnschädigung. Die Autoren geben zunächst eine vollständige Übersicht über die unterschiedlichen Techniken der einzelnen Meßmethoden. Zudem gehen sie auf neue, teils viel versprechende Methoden ein, die sich momentan noch in der Erprobungsphase befinden. Bei den meisten Methoden werden auch ausführlich die Vor- und Nachteile kritisch erörtert.
Ein wesentlicher Teil dieser Arbeit beschäftigt sich mit den Interpretationsmöglichkeiten der ICP-Kurve und des Dopplerprofils. Leider ist dieser Abschnitt sehr theoretisch gehalten und es fehlt teilweise der Bezug zur Praxis. In der klinischen Routine spielen die meisten Indices, die von den Autoren erläutert werden, eher eine untergeordnete Rolle und sind auch oft von erfahrenen Intensivisten schwer umzusetzen. Zudem fehlt leider die Evidenz, dass solche Berechnungen und die daraus abgeleiteten therapeutischen Konsequenzen zu einer Verbesserung des Outcomes oder der Mortalität führen.
Hier zeigt sich ein grundsätzliches Problem des Neuromonitorings auf der Intensivstation: bis dato gibt es noch keine prospektive, randomisierte Studie, die den Nutzen eines ICP/CPP- oder CBF-gesteuerten Managements bei Patienten mit schwerer Hirnschädigung untersuchte, weder für Traumapatienten noch für Patienten mit SAB, intrazerebraler Blutung oder ausgedehnter Ischämie. Diese Problematik der fehlenden Evidenz für ein solches Neuromonitoring wird von den Autoren nur kurz angeschnitten, eine Diskussion über den Stellenwert einer ICP- oder CBF-Messung auf dem Boden evidenz-basierter Daten fehlt fast vollständig. Dem Leser bleibt somit der Stellenwert des ICP- und CBF-Monitorings letztendlich unklar und viele Fragen offen: welcher Patient profitiert wann von welcher Technik, und rechtfertigt die Invasivität des Monitorings den zu erwarteten Nutzen? Zudem sind die vorgestellten Daten und Arbeiten fast ausschließlich von Studien, die Patienten mit Schädel-Hirn-Trauma untersuchten. Ebenso wäre es wichtig zu verdeutlichen, dass die gemessenen Werte, sei es der ICP oder der CBF, lokale Messungen in einem kleinen Hirnareal darstellen, und Rückschlüsse auf andere Hirnregionen oft nicht ohne weiteres möglich sind. So kommt es z. B. bei Patienten mit großem Mediainfarkt oder Hemisphäreninfarkt oft zu einer klinischen Verschlechterung mit Vigilanzminderung bevor es zu einem Anstieg des (lokalen) ICPs kommt. Die Schlussfolgerung der Autoren, dass ein adäquater Einsatz sowie die Kenntnis von Vor- und Nachteilen der einzelnen ICP- und CBF-Meßmethoden zu einem verbessertem Outcome führen kann, ist durch evidenz-basierte Daten nur unzureichend belegt und somit äußerst kritisch zu bewerten.


(J. Bardutzky)