Afshari A, Wetterslev J, Brok J, Moeller A                                                                                                                                                               In: BMJ 2007 December 15;335(7632):1248-51.

 

BEWERTUNGSSYSTEM

*****    = hervorragende Arbeit
****    = gute grundlagenwissenschaftliche Arbeit/klinische Studie/Übersichtsarbeit
***    = geringer Neuheitswert oder nur für Spezialisten geeignet
**    = weniger interessant, leichte formale oder methodische Mängel
*    = erhebliche Mängel

 

NIMA_1-2010


Bewertung: ****





Zielstellung:

Die Substitution von Antithrombin III bei intensivmedizinisch behandelten Patienten wird kritisch diskutiert, ein möglicher Nutzen ist umstritten. In der vorliegenden Arbeit wurde eine Metaanalyse von randomisierten klinischen Studien zum Einsatz von Antithrombin III bei Intensivpatienten durchgeführt.

Design:

Die Datenbanken CENTRAL (Cochrane central register of controlled trials on Cochrane library), Medline, Embase, International Web of Science, LILACS (Latin American Caribbean Health Sciences Literature) und die Chinese Biomedical Literature Database wurden nach Studien, die Antithrombin III mit Placebo oder keiner alternativen Therapie verglichen, durchsucht. Alle gefundenen randomisierten klinischen Studien an intensivmedizinisch betreuten Patienten wurden eingeschlossen. Die Daten wurden nach Studiendesign, Endpunkten, möglichen Bias und unerwünschten Nebenwirkungen analysiert. Die wichtigsten erfassten Parameter waren Letalität, Dauer des Krankenhausaufenthalts, Lebensqualität, Schweregrad der Sepsis, Lungenversagen, Beatmungsdauer, Notwendigkeit chirurgischer Interventionen und unerwünschte Nebenwirkungen.

Wichtige Resultate:

20 klinische Studien mit insgesamt 3458 Patienten wurden eingeschlossen. Der Einsatz von Antithrombin III führte zu keiner Reduktion von Letalität verglichen mit Placebo oder keiner Therapie (relatives Risiko 0,96, 95% Konfidenzintervall 0,89 bis 1,03). Auch in Subgruppenanalysen nach möglichen Bias, Studienpopulation, gleichzeitiger Therapie mit oder ohne Heparin zeigten sich keine signifikanten Unterschiede. Antithrombin III erhöhte das Risiko von unerwünschten Blutungen (relatives Risiko 1,52, 95% Konfidenzintervall 1,3 bis 1,78).

Zusammenfassung:

Substitutionstherapie mit Antithrombin III kann aufgrund der aktuellen Datenlage nicht für den Einsatz bei kritisch kranken Patienten empfohlen werden.

 

Kommentar:

Antithrombin III ist ein wichtiger physiologischer gerinnungshemmender Bestandteil der Gerinungskaskade und Co-Faktor von Heparin. Zudem hat Antithrombin III anti-inflammatorische Eigenschaften. Bei schwer kranken Patienten sinkt der Antithrombin III Spiegel um 20-40% und korreliert indirekt mit dem Schweregrad der Erkrankung (1;2). Infolgedessen scheint ein positiver Effekt durch Substitution mit Antithrombin III denkbar, was in den letzten 15 Jahren durch multiple Studien an intensivmedizinisch behandelten Patienten untersucht wurde. In den einzelnen teils unterschiedlichen Studienkollektiven konnten keine signifikanten Unterschiede bezüglich Letalität oder anderen Endpunkten gefunden werden. Leichte tendenziell positive Effekte einer Antithrombin III Therapie in wenigen Studien führten aber zum klinischen Einsatz von Antithrombin III auf vielen Intensivstationen. In Europa werden jährlich geschätzt ca. 100 Millionen Euro für Antithrombin III ausgegeben (3). Afshari et al. zeigen mit der bisher größten Meta-Analyse zum Thema, dass aufgrund der aktuellen Datenlage kein Einsatz von Antithrombin III empfohlen werden kann.
In der aktuellen Untersuchung wurden insgesamt 20 Studien mit 3458 Patienten eingeschlossen, genug um nach den Berechnungen der Autoren eine relative Risikoreduktion von 10% zu erkennen (4). Um eine relative Risikoreduktion von weniger als 5% sicher auszuschließen wäre aber die Analyse von 14294 Patenten notwendig. Ein möglicher geringer Nutzen einer Therapie mit Antithrombin III kann deshalb aktuell nicht ausgeschlossen werden. In einer Subgruppenanalyse der aktuellen Meta-Analyse konnte zudem ein tendenziell positiver Effekt bei Patienten, die nicht gleichzeitig mit Heparin behandelt wurden, gefunden werden (4). Eine große randomisierte kontrollierte klinische Studie zu Antithrombin III in Kombination mit und ohne Heparin bei Intensivpatienten scheint deshalb sinnvoll.
Leider ist das Patientenkollektiv in den untersuchten Studien nicht im Detail beschrieben. In 5 Studien wurden 2456 Patienten mit Sepsis eingeschlossen und in 5 weiteren Studien 480 unterschiedliche Patienten, die auf einer Intensivstation behandelt wurden. In den übrigen Studien wurden Patienten mit Z.n. Lebertransplantation, Präeklampsie oder Trauma sowie Kinder mit ALL und Frühgeborene untersucht. Andere spezielle Patientenkollektive wie Patienten auf neurologischen Intensivstationen sind nicht vertreten. Auch die Schwere der Erkrankung wurde nicht weiter definiert, die Letalität in den unterschiedlichen Untersuchungen reicht von 0% bis über 50%. Diese Heterogenität der Daten macht eine mögliche Übertragbarkeit der Ergebnisse auf den klinischen Alltag schwierig. Zudem dominiert eine Studie mit 2314 Patienten und anteiligen 80% an der aktuellen Meta-Analyse, was die Aussagekraft der Ergebnisse weiter einschränkt (5).
In der aktuellen Meta-Analyse war eine Substitutionstherapie mit Antithrombin III signifikant mit dem vermehrten Auftreten von unerwünschten Blutungskomplikationen assoziiert (4). Dies ist vor allem wichtig für Patienten mit primär bereits erhöhtem Blutungsrisiko, wie es bei vielen neurologischen Intensivpatienten der Fall ist. Während eine Antithrombin III Therapie also aktuell aufgrund eines bisher nicht gezeigten positiven Effekts nicht empfohlen werden kann, ist es zudem möglich, dass Antithrombin III bei Patienten mit Subarachnoidalblutung bei unversorgtem Aneurysma, intracerebraler Blutung, Infektionen des zentralen Nervensystems oder großen ischämischen Infarkten sogar schaden könnte.
Zusammengefasst zeigte die Meta-Analyse von Afshari et al., dass die Letalität bei intensivmedizinisch behandelten Patienten mit Sepsis oder anderen lebensbedrohlichen Erkrankungen durch den Einsatz von Antithrombin III nicht reduziert werden konnte. Blutungskomplikationen waren unter Therapie mit Antithrombin III häufiger zu beobachten. Auch wenn einige Kritikpunkte die Aussagekraft der Studie beeinträchtigen, ist sie derzeit die umfassendste Untersuchung zu Antithrombin III bei Intensivpatienten. Der generelle Einsatz von Antithrombin III kann aktuell bei intensivmedizinisch behandelten Patienten nicht empfohlen werden.  

(Klein, Matthias, Dr., Universitätsklinikum Großhadern, Neurologische Klinik, Marchioninistr. 15, 81377 München)

Literatur:

(1) Opal SM, Kessler CM, Roemisch J, Knaub S. Antithrombin, heparin, and heparan sulfate. Crit Care Med 2002 May;30(5 Suppl):S325-S331.
(2) Wiedermann C, Romisch J. The anti-inflammatory actions of antithrombina review. Acta Med Austriaca 2002;29(3):89-92.
(3) Afshari A, Wetterslev J, Brok J, Moller AM. Antithrombin III for critically ill patients. Cochrane Database Syst Rev 2008 July 16;(3):CD005370.
(4) Afshari A, Wetterslev J, Brok J, Moller A. Antithrombin III in critically ill patients: systematic review with meta-analysis and trial sequential analysis. BMJ 2007 December 15;335(7632):1248-51.
(5) Warren BL, Eid A, Singer P, Pillay SS, Carl P, Novak I et al. Caring for the critically ill patient. High-dose antithrombin III in severe sepsis: a randomized controlled trial. JAMA 2001 October 17;286(15):1869-78.