Behan LA, Phillips J, Thompson CJ, Agha A                                                                                                                                                          In: J Neurol Neurosurg Psychiat 2008; 79: 753- 749

 

BEWERTUNGSSYSTEM

*****    = hervorragende Arbeit
****    = gute grundlagenwissenschaftliche Arbeit/klinische Studie/Übersichtsarbeit
***    = geringer Neuheitswert oder nur für Spezialisten geeignet
**    = weniger interessant, leichte formale oder methodische Mängel
*    = erhebliche Mängel

 

NIMA_1-2010

Bewertung: ****


Zielstellung:

Neuroendokrine Veränderungen sind nach verschiedenen Erkrankungen des Nervensystems beschrieben. So sind diese Veränderung vor allem nach Subarachnoidalblutung, Intrazerebralblutungen oder schweren raumfordernden Infarkten bekannt. Auch das Schädel-Hirn-Trauma ist ein möglicher Auslöser neuroendokriner Störung. Die Autoren aus Dublin in Irland fassen in diesem Review Arbeiten zur neuroendokrinen Störung nach schwerem Schädel-Hirn-Trauma zusammen.
Die Autoren folgern, dass das Schädel-Hirn-Trauma eine relevante Ursache von Tod und Behinderung, vor allem bei jungen Erwachsenen, in den westlichen Ländern ist. Man rechnet mit ca. 180-250 Personen/100.000, die jährlich sterben oder im Krankenhaus behandelt werden müssen aufgrund eines schweren Schädel-Hirn-Traumas. Neuroendokrine Störungen sind wichtig, da sie zu verstärkten Co-Morbiditäten führen können und auch die Letalität erhöhen können. Ca. 80% der Patienten mit SHT zeigen Veränderungen der hypothalamisch-hypophysären Achse. Hierbei finden sich in 80% der Fälle Hinweise auf eine Gonadotropin-Verminderung. In 18% der Fälle eine Minderung des Wachstumshormons, in 16% eine Minderung der Kortison-ACTH-Achse und 40% der Patienten zeigen Veränderungen des Vasopressins, was zu einem Diabetes insipidus oder zu einem SIADH-Syndrom (Syndrom der inaproiaten ADH-Sekretion) führt. Viele dieser neuroendokrinen Störungen sind nur transient in der Akutphase. Es gibt aber auch die Postakutphase überdauernde endokrine Störungen. Eine hohe Anzahl von Patienten nach einem Schädel-Hirn-Trauma zeigt persistierende Störungen des Hypothalamus/ Hypophysenachsensyndroms, so etwa 25% der Patienten eine oder mehrere Hypophysenhormonstörungen. Die meisten Fälle des sogenannten posttraumatischen Hypopituitarismus (PTHP) bleiben undiagnostiziert und unbehandelt. Die Autoren fordern, dass gezielt nach Störungen der neuroendokrinen Achse gesehen wird und eine entsprechende adäquate Behandlung mit Hormonersatzbehandlung erfolgen muss, um Lebensqualität und Langzeitergebnisse nach Schädel-Hirn-Trauma zu verbessern.
Für die Akutphase fassen die Autoren sieben Studien aus den Jahren 1983-2006 zusammen. Diese Arbeiten sind sehr inhomogen, sowohl was die Zahl der Patientin, die zwischen 18 und 80 Patienten schwankt, als auch die Zeit der Testung zwischen Stunden bis die ersten sieben Tage nach SHT und die Patientenparameter betrifft. Die meisten Studien zeigen eine Reduktion von Kortison, eine Reduktion der Gonadotropine, aber eine Erhöhung der Schilddrüsenhormone. Testosteron wird meistens erniedrigt gemessen. Sowohl die Ursache, als auch das Muster sind hier nicht einheitlich.
In langzeitüberlebenden Patienten mit Zustand nach Schädel-Hirn-Trauma beschreibt dieser Review insgesamt 12 Studien, die zwischen 22 und 170 Patienten umfassten, und zwischen 15 und 68,5% Veränderungen der Hormone des vorderen Hypophysenlappen zeigzen. Die Zeit zwischen der Testung und dem Schädel-Hirn-Trauma lag zwischen 3 und 64 Monaten.
Die Autoren führen dann aus zur Pathophysiologie des Schädel-Hirn-Trauma induzierten Hypopituitarismus. Die auf dem Boden der Sella turcica gelegene Hypophyse ist durch eine dichte Bindegewebsmembran das Diaphragma sellae nach oben abgetrennt wird. Die Blutversorgung käme von langen hypophysalen Gefäßen, die in einer Art Pfortaderkreislauf eintreten würden und aus der Arteria carotis interna stammen würden. Die meisten Mechanismen würden eine Kompression der Hypophyse, hypothalamischer Kerngebiete, oder eine Unterbrechung dieser langen hypophysalen Gefäße durch Ödemblutung, Frakturen, erhöhten intrakraniellen Druck oder ischämische Schädigung vermuten. Der Hypopituitarismus soll also Ergebnis einer mechanischen Verletzung der Hypophyse selbst, oder des Hypothalamus oder der Gefäßversorgung sein. In Autopsieserien fanden sich Verletzungen der Hypophyse oder des Hypothalamus in 26 bis 86% der Patienten, die kurz nach einem Schädel-Hirn-Trauma verstarben. In den Autopsiestudien werden meistens Verletzungen der vorderen Hypophysenanteile sowie des Hypophysenstiels beschrieben.
Die Autoren schlagen ein Screening-Programm zur Erfassung des posttraumatischen Hypopituitarismus vor. Nach schwerem oder moderatem Schädel-Hirn-Trauma soll der Kortisol-Spiegel morgens am Tag 1.-7. überprüft werden. Ist er < 200 nmol/l, oder finden sich klinische Zeichen eines Hypokortisolismus, sollte man Kortisol ersetzen, ansonsten sollte man nach 3-6 Monaten die adrenalen, Schilddrüsen- und Geschlechtshormonachsen überprüfen. Sollte ein Hypopituitarismus diagnostiziert werden, sollte die Behandlung akkurat überprüft werden.

Kommentar:

Dies ist ein wertvoller Review zu einem wichtigen Problem nach Schädel-Hirn-Trauma, der neuroendokrinen Störung der hypothalamischen-hypophysären Achse. Die Häufigkeit ist so hoch, dass jeder Patient nach einem moderaten bis schweren Schädel-Hirn-Trauma hier hormonell kontrolliert werden sollte. Der vorgeschlagene diagnostische Algorithmus der Autoren ist sinnvoll und hilfreich. Man muss davon ausgehen, dass bei vielen Patienten mit Schädel-Hirn-Traumen die neuroendokrinen Störungen initial zwar erfasst werden, im Langzeitverlauf aber nicht weiter kontrolliert werden. Dies ist als interdisziplinäre Aufgabe zu sehen, da sowohl Neurochirurgen, Neuroanästhesisten, Neurologen, als auch Endokrinologen sich dieses Problems annehmen müssen und gemeinschaftlich die Patienten hier optimal versorgen sollten.

(G.Hamann)