Vespa PM, Miller C, McArthur                                                                                                                                                                                   In: Critical Care Medicine, 2007; 35: 2830-2836

 

BEWERTUNGSSYSTEM

*****    = hervorragende Arbeit
****    = gute grundlagenwissenschaftliche Arbeit/klinische Studie/Übersichtsarbeit
***    = geringer Neuheitswert oder nur für Spezialisten geeignet
**    = weniger interessant, leichte formale oder methodische Mängel
*    = erhebliche Mängel

 

NIMA_1-2010

Bewertung: ***


Zielstellung:

Bei Patienten mit Schädelhirntraumata wurden die Auswirkungen non-konvulsiver epileptischer Anfälle und Status auf Hirndruck und Lactat-Pyruvat-Quotient erfasst, um eine Zunahme der Hirnschädigung durch epileptische Aktivität nahe zu legen.

Design:

Bei 20 konsekutiven Patienten mit Schädelhirntraumata unterschiedlicher Schwere (Glasgow-Koma-Wert: 3-13) wurde ein Monitoring folgender Parameter über 7 Tage der Akutphase durchgeführt: Hirndruck, Lactat-Pyruvat-Quotient mit Hilfe von Mikrodialyse und EEG mit Hilfe einer 14-kanaligen EEG-Ableitung auf der Kopfhaut. Sieben Patienten fielen elektrografisch durch einen non-konvulsiven Status epilepticus, und 3 durch rezidivierende non-konvulsive epileptische Anfälle auf. Dabei wurden die Anfälle/Status durch Ärzte und Pflegepersonal der neurologischen Intensivstation im Roh-EEG oder nach Fast-Fourier-Transformation detektiert. Aus einer Kohorte von 50 ähnlich gemonitorten Patienten ohne Anfälle wurde anhand von Alter, Glasgow-Koma-Wert und CT-Befund eine "gematchte" Kontrollgruppe gebildet.

Wichtigste Resultate:

Sowohl intraindividuell (iktal vs. interiktal) als auch interindividuell (Patienten ohne vs. mit epileptischen Anfällen/Status) fand sich postiktal über Stunden ein erhöhter intracerebraler Hirndruck (22,4 mmHg ± 7 mmHg) und ein erhöhter Lactat-Pyruvat-Quotient (49,4 ± 16).

Schlussfolgerung:

Die Autoren kamen zu dem Schluss, dass non-konvulsive epileptische Anfälle und Status in der Akutphase nach Schädelhirntraumata über einen erhöhten intrakraniellen Druck und einen Anstieg von metabolischem Stress das Outcome negativ beeinträchtigen könnten.

Kommentar:

Posttraumatische "Frühanfälle" stellen ein häufiges klinisches Problem dar und werden gerade, wenn sie non-konvulsiv verlaufen, wahrscheinlich unterdiagnostiziert. In wie weit epileptische Anfälle das Outcome nach Schädelhirntraumata verschlechtern, wird kontrovers diskutiert. Somit greift diese Arbeit in eine bestehende Diskussion ein und fügt dieser neue Facetten hinzu.
Eine Stärke der Arbeit ist das multimodale Monitoring, das aus Hirndruckmessung, Messung des Lactat-Pyruvat-Quotienten und simultaner EEG-Aufzeichnung bestand, wenn auch die Qualität der Anfallsdetektion durch häufig elektrophysiologisch weniger geschultes pflegerisches oder ärztliches Personal auf Intensivstationen unklar bleibt. Dabei ist gerade die Abgrenzung von non-konvulsiven Anfallsmustern zu anderen rhythmischen encephalopathischen EEG-Mustern bei intensivpflichtigen Patienten eine häufige Schwierigkeit in der EEG-Befundung.
Die Ergebnisse legen nahe, dass auch Stunden nach den Anfällen oder Status intrakranielle Veränderungen nachweisbar sind, die sich möglicherweise negativ auf den weiteren posttraumatischen Verlauf auswirken könnten. Hier liegt allerdings die größte Schwäche der Arbeit. Es fehlt die klinische Korrelation mit neurologischen oder internistischen Parametern der Patienten während des Monitorings und besonders auch im weiteren Verlauf. Der neurologische und epileptologische Befund in den Wochen oder Monaten nach dem Trauma wäre in dieser Hinsicht äußerst hilfreich gewesen. So hätte entschieden werden können, ob es sich bei den gemessenen Parametern lediglich um Epiphänomene oder um klinisch relevante pathophysiologische Vorgänge handelt. Der kleinen Fallzahl und der unterschiedlichen Schwere der Schädelhirntraumata mag es zuzuschreiben sein, dass keine Korrelation zwischen der interkraniellen Drucksteigerung bzw. des Anstiegs des Lactat-Pyruvat-Quotienten und den verschiedenen Anfalls- und Statustypen oder deren Dauer gefunden wurde.
Insgesamt handelt es sich bei der Arbeit um eine gute Untersuchung, die zeigen konnte, dass epileptische Anfälle und Status über Stunden nach die eigentlichen Anfallsaktivität intrakranielle Veränderungen bei posttraumatischen Patienten hervorruft. In wie weit diese allerdings einen Einfluss auf den klinischen Verlauf haben, ließ die Studie offen. Daher fügt sie der oben erwähnten Diskussion weitere Aspekte hinzu, ohne diese aus neurologischer oder epileptologischer Sicht entscheidend beeinflussen zu können.

(H.Hamer)