Foto Prof. Dr. med. Julian Bösel Fotonachweis Klinikum KasselAus früheren retrospektiven Studien gibt es Hinweise, dass der Zeitpunkt der Anlage einer Tracheotomie (TT) bei beatmeten Schlaganfall-Patientinnen und Patienten das Outcome beeinflussen könnte – bzw. dass die Frühtracheotomie Vorteile gegenüber dem Standardvorgehen (mit prolongierter Intubation und ggf. späterer Tracheotomie) haben könnte. In bis zu 40% seien in dieser Population Schwierigkeiten beim standardmäßigen Weaning zu erwarten, erläuterte Prof. Dr. med. Julian Bösel, Kassel, Präsident der Deutsche Gesellschaft für NeuroIntensiv- und Notfallmedizin e.V. (DGNI), zu Beginn seines Vortrages bei der Eröffnungsveranstaltung der ESOC 2022. Potenzielle Vorteile einer frühzeitigen Tracheotomie seien beispielsweise eine reduzierte Atemarbeit, eine frühere Reduktion notwendiger Analgosedativa, eine bessere Frühmobilisierbarkeit und Verkürzung der Intensivbehandlung. In der bislang einzigen prospektiven randomisierten Studie SETPOINT („Stroke-related Early Tracheostomy vs. Prolonged Orotracheal Intubation in Neurocritical care Trial”)[1]wurden 60 Erkrankte mit schwerem Schlaganfall (ischämischer Schlaganfall, intrazerebrale oder Subarachnoidalblutung) entweder nach <3 Tagen oder nach ≥7 Tagen (bei erfolgloser Extubation) tracheotomiert, wobei sich für die Frühtracheotomie für mehrere sekundäre Endpunkte Vorteile zeigten (im Verlauf weniger Sedierung, kürzere Beatmungsdauer, niedrigere Mortalität).

Nun wurden die Ergebnisse der internationalen, von der Universität Heidelberg koordinierten SETPOINT2-Studie[2], einer Investigator-initiierten, industrieunabhängigen Multizenterstudie (26 Zentren in den USA und Deutschland) vorgestellt. Einschlusskriterium war neben der klinischen Beurteilung ein Score (SET-Score „stroke-related early tracheostomy score”, positiv bei Werten > 10) zur Vorhersage einer langdauernden Beatmungspflichtigkeit mit Erfordernis einer Tracheotomie. Schlaganfall-Betroffene mit einer erwartbaren Beatmungszeit von mindestens zwei Wochen erhielten 1:1 randomisiert (im PROBE-Design) entweder eine frühe Tracheotomie (≤5 Tage nach Intubation) oder eine Tracheotomie zu einem üblichen Zeitpunkt ≥ 10 Tage bei erfolgloser oder nicht durchführbarer Extubation(Standardgruppe). Geplant waren 190 Teilnehmende pro Gruppe. Das primäre Outcome war das Überleben ohne schwere Behinderung (d. h. mRS-Score von 0-4) nach sechs Monaten.

Über eine Studiendauer von mehr als fünf Jahren wurden 4.562 Betroffene gescreent und 382 randomisiert (188 frühe TT und 194 Standard-TT, bei insgesamt nur 14 Dropouts/„Lost to Follow-up"). Die Teilnehmenden hatten ein mittleres Alter von 58 Jahren, 50% waren weiblich. 28% hatten einen akuten ischämischen Schlaganfall, 41% eine intrazerebrale und 31% eine Subarachnoidalblutung.

Im Ergebnis zeigte sich zwischen den Gruppen im primären Outcome (mRS-Score 0-4) nach sechs Monaten kein Unterschied. 43,5% erreichten den primären Endpunkt in der Früh-Gruppe versus 47,1% in der Standard-Gruppe. Es gab in allen Analysesettings ähnliche Ergebnisse und keine signifikanten Unterschiede in den Subgruppen, die Konfidenzintervalle waren sehr breit. Es gab keine Unterschiede hinsichtlich des Überlebens oder bei den Todesursachen. Die Mortalität auf der Intensivstation war in Anbetracht der Schwere der Grunderkankung der eingeschlossenen Patienten mit 14% relativ gering, nach sechs Monaten betrug sie 32% (niedriger als in anderen ähnlichen Studien). Es gab auch keine signifikanten Unterschiede bei den anderen sekundären Endpunkten wie Intensivbehandlungsdauer, Entlassung nach Hause oder in eine andere Einrichtung und auch keine Unterschiede bei Intensivparametern wie Einsatz von Sedativa, Opioiden, Vasopressoren, Beatmungsdauer und Weaning-Dynamik. Obwohl in der Frühtracheotomie-Gruppe eine Tendenz zu weniger Sedierungsbedarf und früherer Extubation bestand, führte dies nicht zu anderen Verläufen oder zu einer früheren Entlassung/Verlegung. Auch die Rate unerwünschter schwerer Ereignisse oder Interventions-assoziierter Komplikationen war in den Gruppen ähnlich; die bettseitige Tracheotomie auf der Intensivstation bei Schlaganfallbetroffenen war – unabhängig vom Zeitpunkt sicher. Die Score-basierte Prädiktion der Tracheotomie-Notwendigkeit hatte ebenfalls gut funktioniert, so der Gesamtstudienleiter Bösel.

Wichtig sei nun die Frage, weshalb SETPOINT2 negative bzw. neutrale Ergebnisse lieferte, fuhr Bösel fort. Anders als in früheren Untersuchungen schien die frühe Tracheotomie entweder keine relevanten funktionellen Effekte zu haben oder diese wurden von anderen Effekten überlagert, so dass der Nutzen der frühen Tracheotomie in dem komplexen Kontext nicht entdeckt werden konnte. Möglicherweise haben auch frühere kleinere und meist retrospektive Studien die Erwartungen zu hoch angesetzt (Zufall, Bias, Studienschwächen). Dennoch hat SETPOINT2 Stärken, so war es die erste randomisierte kontrollierte Studie im PROBE-Design zum Timing der Tracheotomie bei schwerem Schlaganfall bei einer sehr typischen Population. Ein wichtiges Ergebnis ist, dass die Tracheotomie bei diesem schwer betroffenen Patientenkollektiv zu jedem Zeitpunkt sicher war.

Zusammenfassend konnte bei beatmeten, intensivbehandelten Patientinnen und Patienten mit schwerem Schlaganfall eine frühe Tracheostomie-Strategie verglichen mit dem Standardvorgehen das funktionelle Outcome nach sechs Monaten nicht signifikant verbessern. „Insgesamt ist das Ergebnis einerseits enttäuschend“, konstatiert Bösel. „Andererseits kann festgehalten werden, dass den Patientinnen und Patienten, die wegen geplanter, aber misslungener Extubation eine verspätete Tracheotomie erhalten, dadurch keine Nachteile entstehen. Wenn die Extubation planmäßig gelingt – und dies war in der Standardgruppe bei 22% der Fall – kann den Patienten dagegen die invasive Prozedur erspart werden.“

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[1] Bösel J, Schiller P, Hook Y et al. Stroke-related Early Tracheostomy versus Prolonged Orotracheal Intubation in Neurocritical Care Trial (SETPOINT): a randomized pilot trial. Stroke 2013; 44 (1): 21-8

[2] Bösel J, Niesen WD, Salih F et al. SETPOINT2 and the IGNITE Study Groups. Effect of Early vs Standard Approach to Tracheostomy on Functional Outcome at 6 Months Among Patients With Severe Stroke Receiving Mechanical Ventilation: The SETPOINT2 Randomized Clinical Trial. JAMA 2022 May 4.

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