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Die Arbeitstagung NeuroIntensivMedizin ANIM 2021 findet vom 21.–23. Januar 2021 statt, zum ersten Mal digital. Kongresspräsident Prof. Dr. Eberhard Uhl, Gießen, betont die aktuelle Relevanz der 38. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für NeuroIntensiv- und Notfallmedizin (DGNI) und der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft (DSG) mit unmittelbaren Auswirkungen auch auf die klinische Praxis. In der Coronakrise betreffen viele der medizinischen und gesetzlichen Entscheidungen direkt oder indirekt auch die NeuroIntensivmedizin.

Auswirkungen der COVID-19-Pandemie sind in der NeuroIntensivmedizin deutlich spürbar, sagt Prof. Dr. Eberhard Uhl, Kongresspräsident der ANIM 2021, die vom 21.–23.01.2021 zum ersten Mal digital stattfindet. Die Corona-Pandemie steht als aktuelles Thema auch im Mittelpunkt des diesjährigen Präsidentensymposiums. Aber auch andere Erkrankungen dürften nicht vernachlässigt werden, die auch unter den aktuell erschwerten Bedingungen behandelt werden müssten. Drei spannende Tage lang tauschen sich Ärzte und Pflegefachkräfte zu einem umfassenden Update im Bereich der Neurologischen und Neurochirurgischen Intensivmedizin aus und diskutieren neueste Erkenntnisse. Im Interview gibt Prof. Uhl erste Einblicke in Tagungsthemen, Highlights und aktuelle Entwicklungen der NeuroIntensivmedizin.

muellgesGeriatrische Intensivpatienten stellen die Ärzte vor besondere Herausforderungen. Hirnorganische Abbauprozesse nehmen im hohen Alter exponentiell zu. Ältere Patienten sind besonders gefährdet, ein Delir zu entwickeln, das sich mit Aufmerksamkeitsstörungen im Tagesverlauf, Desorientiertheit, Wahrnehmungsstörungen und Unruhezuständen zeigen kann. Die Gratwanderung einer angemessenen Behandlung erfordert Mediziner mit „geschultem Fingerspitzengefühl“.

Prof. Dr. med. Wolfgang Müllges, Würzburg, der in einem aktuellen interdisziplinären Konsensuspapier das Kapitel „Delir, kognitive Aspekte und ‚Intensive care unit-acquired weakness‘“ erstellt hat, regt zum Nachdenken im Umgang mit multimorbiden gebrechlichen Menschen auf der NeuroIntensivstation an.

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Welche wichtige Rolle sowohl die Forschung in der NeuroIntensiv- und Notfallmedizin als auch die besondere Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses für die DGNI spielen, wurde bei der Preisverleihung der diesjährigen ANIM 2020 in Karlsruhe wieder einmal deutlich. Die Förderungspreise der DGNI sowie die Posterpreise wurden feierlich von Prof. Dr. med. Georg Gahn M.B.A., Karlsruhe, übergeben. Die Preisträger des Hans Georg Mertens-Preises, des Nachwuchsförderungspreises und der drei Posterpreise geben im Interview einen kurzen Einblick, was die Preise für sie und ihre weitere Forschung bedeuten und wie sie eingesetzt werden sollen.

Im Rahmen der Kongresseröffnung wurde Prof. Dr. med. Hagen Huttner, Erlangen, mit dem mit 5.000 Euro dotierten Hans Georg Mertens-Preis ausgezeichnet. Diesen Preis für innovative, therapierelevante Forschung in der NeuroIntensiv- und Notfallmedizin verleiht die DGNI alle zwei Jahre zusammen mit der Deutschen Gesellschaft für Neurologie.

Die Pandemie durch die weltweite Verbreitung des Coronavirus SARS-CoV2 und die assoziierte Erkrankung COVID-19 sind auch für NeuroIntensivmediziner ein sehr wichtiges Thema. Dies mag auf den ersten Blick überraschen, weil die Situation meist durch Erkrankung bzw. Versagen der Lunge dominiert wird und dies nicht unbedingt ein Kerngebiet der Neuro-Intensivmedizin ist.

Drei Aspekte der Pandemie betreffen aber direkt oder indirekt erheblich auch unsere Spezialdisziplin:

- Aufrechterhaltung der optimalen Versorgung schwer hirngeschädigter Patienten trotz Pandemie,

- Triagierung für Allokation von Intensivressourcen unter Beteiligung von NeuroIntensivmedizinern,

- Potentielle Beteiligung des Nervensystems durch COVID-19 mit neurointensivmedizinischen Komplikationen.

In den letzten Wochen haben spürbar weniger Patienten mit neurologischen Notfällen und deren Anzeichen die Notaufnahmen neurointensivmedizinischer Zentren erreicht. Das beobachten auch andere Disziplinen. Eine Kollegin aus einer US-amerikanischen Notaufnahme mit massivem COVID-19-Anfall drückte es so aus: „Somehow this f*** disease seems to have told all the other diseases to leave town.“ Sicherlich steckt in Wirklichkeit dahinter, dass Patienten mit neurologischen Warnsymptomen diese eher ignorieren bzw. von Erstversorgern nicht wie sonst zugewiesen werden, aus Sorge vor drohender Infektion mit SARS-CoV2 in den großen Kliniken, wegen logistischer Überlastung durch die Pandemie oder schlicht weil das Hauptaugenmerk momentan auf COVID-19 gerichtet ist und die Aufmerksamkeit für andere Erkrankungen zu kurz kommt. Es ist aber unbedingt notwendig, die Versorgung neurologischer Notfall- und Intensivpatienten, z.B. von Schlaganfallpatienten auch mit zunächst leichter Symptomatik, optimal aufrecht zu erhalten [1, 2, 3]. Hierfür sollten Neuro-Intensiv- und Notfallmediziner in ihren lokalen Netzwerken unbedingt ein Bewusstsein schaffen.

Auch wenn in Deutschland durch die medizinischen, logistischen und politischen Maßnahmen hoffentlich Katastrophenszenarien wie in Italien, wo zeitweise hart – z.B. rein altersbezogen – die Allokation von Beatmungsplätzen auf Intensivstationen triagiert werden musste, verhindert werden, sollten wir doch gut darauf vorbereitet sein. Es ist sehr zu begrüßen, dass die DIVI zusammen mit acht Fachgesellschaften, inkl. der DGNI, hierfür eine S1-Leitlinie erstellt hat, in der neurointensivmedizinische Inhalte aber verständlicherweise nicht detailliert enthalten sein können. Deshalb ist es wichtig, dass im Katastrophenfall auch NeuroIntensivmediziner zu multidisziplinären Prognose- und Allokationsteams gehören, wenn z.B. die Aussichten einer Intensivbehandlung von Patienten mit COVID-19-ARDS, schwerem Herzinfarkt, Polytrauma, ausgedehnter SAB oder superrefraktärem Status epilepticus gegeneinander abgewogen werden müssen. Hier muss spezielle Expertise eingebracht werden, weil Kenntnisse in allgemeiner Notfall- und Intensivmedizin nicht ausreichen.

Dies ergab auch deutlich eine Umfrage, die die IGNITE-Forschungsgruppe der DGNI kürzlich unter deutschen NeuroIntensivmedizinern durchgeführt hat. Die Studie unter der Ägide der Kollegen Florian Geßler, Patrick Schuss, Felix Lehmann und PD Dr. med. Wolf-Dirk Niesen hat außerdem Allokationskriterien abgefragt, die deutsche NeuroIntensivmediziner präferieren würden; die Ergebnisse werden in Kürze veröffentlicht. Mancherorts werden möglichweise auch NeuroIntensivstationen zur Behandlung von COVID-19-Patienten oder für die Verlegung nicht-neurologischer Non-COVID-19-Patienten genutzt, so dass die dort tätigen Kolleginnen und Kollegen unter Beweis werden stellen müssen, dass sie in der Lage sind, den ganzen Patienten vollumfänglich intensivmedizinisch behandeln zu können.

Dass das Virus SARS-CoV2 neurotrop und damit in der Lage ist, das Nervensystem zu befallen und den Gesamtverlauf der Erkrankung relevant zu beeinflussen, ist kein Geheimnis mehr. Transnasal, retrograd über Hirnnerven, lymphatisch, aber v.a. hämatogen und dann nach intrazellulär über ACE2 könnte die Route in die Nervenzellen verlaufen, auch wenn dies noch weiteren Verständnisses bedarf [4]. Aus China, Iran und Italien kamen erste Berichte über (mitunter alleinig) neurologische Symptome wie Riech- und Geschmacksstörung, starke Kopfschmerzen, Halluzinationen, Bewusstseinstörungen etc. Auch erste Fallberichte von anders nicht gut erklärbaren Enzephalopathien, intrazerebralen Blutungen und ischämischen Hirninfarkten liegen vor [5, 6, 7, 8]. Prinzipiell sind mechanistisch relevante Veränderungen der Koagulation, Blutdruckregulation, autonomen Balance, hirnstammbasierten Atemregulation u.v.m. geeignet, den Verlauf von Intensivpatienten ungünstig zu beeinflussen. Kürzlich wurde über die erste COVID-19-assoziierte Meningoenzephalitis mit Nachweis von SARS-CoV2 im Liquor berichtet [9].

Auch der Virusnachweis in den Neuronen und Endothelzellen im Frontalhien eines verstorbenen Patienten gelang autoptisch [10]. Mehrere Beobachtungen von GBS im Ziusammenhang mit COVID-19 wurden publiziert [11, 12]. Insofern birgt COVID-19 sicherlich neurointensivmedizinisch relevante Risiken.

Allerdings stehen die bisherigen Erkenntnisse auf einer dünnen Datenbasis, weil die systematische Erfassung fehlt. Deshalb ist es zu begrüßen, dass in großen Registern wie dem von LEOSS, der DGN-(Junge Neurologen) oder dem BMBF auch neurologische Aspekte – dabei u.a. Auswirkungen von COVID-19 auf vorbestehende neurologische Erkrankungen – beleuchtet werden sollen.

Um spezifisch und systematisch der Rolle von COVID-19 bei neurointensivmedizinischen Verläufen auf die Spur zu kommen, hat IGNITE die prospektive Beobachtungsstudie PANDEMIC (Pooled Analysis of Neurologic DisordErs Manifestating in Intensive care COVID-19) aufgelegt, aus der hoffentlich zu diesem Teil der Erkrankung gelernt und Therapieoptionen abgeleitet werden können.

Prof. Dr. med. Julian Bösel, FNCS, FESO
Präsident-elect DGNI

Quellen:

[1] Houman Khosravani , Phavalan Rajendram , Lowyl Notario et al., Protected Code Stroke, Hyperacute Stroke Management During the Coronavirus Disease 2019 (COVID-19) Pandemic, doi:  https://doi.org/10.1161/STROKEAHA.120.029838

[2] Jing Zhao, Anthony Rudd , Renyu Liu, Challenges and Potential Solutions of Stroke Care During the Coronavirus Disease 2019 (COVID-19) Outbreak, Stroke, 31 Mar 2020, 51:1356–1357

[3] Sharma D, Rasmussen M, Han R, Whalin M et al., Anesthetic Management of Endovascular Treatment of Acute Ischemic Stroke During COVID-19 Pandemic, Consensus Statement from Society for Neuroscience in Anesthesiology & Critical Care (SNACC), Endorsed by Society of Vascular & Interventional Neurology (SVIN), Society of NeuroInterventional Surgery (SNIS), Neurocritical Care Society (NCS), and European Society of Minimally Invasive Neurological Therapy (ESMINT), Neurosurg Anesthesiol. 2020 Apr 8. doi: 10.1097/ANA.0000000000000688. [Epub ahead of print] PMID: 32282614

[4] Abdul Mannan Baig, Areeba Khaleeq, Usman Ali et al., NEURO COVIDEvidenz of the COVID-19 Virus Targeting the CNS:Tissue Distribution, Host-Virus Interaction, and Proposed Neurotropic Mechanisms, ACS Chem Neurosci, 2020 Apr 1;11(7):995-998. doi: 10.1021/acschemneuro.0c00122. Epub 2020 Mar 13.

[5] Yan Chao Li, Wan-Zhu Bai, Tsutomu Hashikawa, The neurointensive potential of SARS-CoV2 may play a role in the respiratory failure of COVID-19 patients, doi:  https://doi.org/10.1002/jmv.25728

[6] Mao L, Jin H, Wang M, Hu Y, Chen S et al., Neurologic Manifestations of Hospitalized Patients With Coronavirus Disease 2019 in Wuhan, China, JAMA Neurol. 2020 Apr 10. doi: 10.1001/jamaneurol.2020.1127. [Epub ahead of print] PMID: 32275288

[7] Neo Poyiadji, MD, Gassan Shahin, MD, Daniel Noujaim, MD et al., COVID-19-associated Acute Hemorrhagic Necrotizing Encephalopathy: CT and MRI Features, Radiology, 2020 Mar 31:201187. doi: 10.1148/radiol.2020201187

[8] Aggarwal G, Lippi G, Michael Henry B., Cerebrovascular disease is associated with an increased disease severity in patients with Coronavirus Disease 2019 (COVID-19): A pooled analysis of published literature, Int J Stroke, Apr 20 2020:1747493020921664.

[9] Moriguchi T, Harii N, Goto J, Harada D et al., A first case of meningitis/encephalitis associated with SARS-Coronavirus-2, International Journal of Infectious Diseases, Apr 3 2020;94:55-58.

[10] Paniz-Mondolfi A, Bryce C, Grimes Z, et al. Central Nervous System Involvement by Severe Acute Respiratory Syndrome Coronavirus -2 (SARS-CoV-2), J Med Virol., Apr 21 2020.

[11] Toscano G, Palmerini F, Ravaglia S, et a., Guillain-Barre Syndrome Associated with SARS-CoV-2, N Engl J Med., Apr 17 2020

[12] Zhao H, Shen D, Zhou H, Liu J, Chen S., Guillain-Barre syndrome associated with SARS-CoV-2 infection: causality or coincidence? Lancet Neurol, Apr 1 2020

Während der Pandemie sind jetzt auch NeuroIntensivmediziner gefragt. Weltweit gibt es immer mehr Hinweise auf eine potentielle Beteiligung des Nervensystems durch COVID-19 mit neuro-intensivmedizinischen Komplikationen – mitunter schon, bevor Atemstörungen oder Atemversagen auftreten. Ein Drittel der Infizierten hat neurologische Symptome wie Riech- oder Geschmacksstörungen, Kopfschmerzen, Halluzinationen oder Bewusstseinstrübungen. Oft sind es Patienten mit schwereren Krankheitsverläufen.