Bild Dr. Peter Nydahl Foto UKSHDr. rer. hum. biol. Peter Nydahl, MScN, Mitglied im Präsidium der DGNI, ist Pflegewissenschaftler, Krankenpfleger, Praxisanleiter, Kurs- und Weiterbildungsleiter für Basale Stimulation und Pflegeexperte für Menschen im Wachkoma am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Klinik für Anästhesie und operative Intensivmedizin. Als Experte in der Pflege gibt er seine Einschätzung zur Pflegepersonal-Regelung (PPR) ab. Diese liegt jetzt als neues Instrument zur Ermittlung des Personalpflegebedarfs für die Patientenversorgung in der aktualisierten Form PPR 2.0 vor.

„Es gibt einen direkten Zusammenhang zwischen der Anzahl der verfügbaren Pflegefachpersonen, der Anzahl und dem Aufwand der zu versorgenden Patient:innen und der Pflegequalität. Allgemein sind nicht genug Pflegende vorhanden, um die Anzahl stationärer Patient:innen in ausreichender Qualität versorgen zu können und es wird von einem Mangel an Pflegepersonal gesprochen. Lösungsmöglichkeiten wären entweder weniger Patient:innen, z.B. durch Bettensperrungen, oder mehr Pflegende, z.B. durch den Import von Personal aus anderen Ländern, oder aber die Qualitätsansprüche müssten angepasst werden. Das Problem: Pflegequalität ist schwer messbar. Je nach Perspektive kann Pflege qualitativ gut sein, wenn Patient:innen sich gut versorgt fühlen und ihre Bedarfe und Bedürfnisse erfüllt werden, wenn die Arbeitsabläufe und Routinen nach fachlichen Standards bewältigt werden können, wenn Pflege wie geplant umgesetzt werden kann oder wenn Komplikationen frühzeitig erkannt werden können und die Mortalität niedrig ist. Es gilt heute als sicher, dass die Anzahl von Pflegenden mit der Mortalität von Patient:innen zusammenhängt: Je weniger qualifizierte Pflegende pro Schicht anwesend sind, desto mehr Patient:innen versterben im Krankenhaus.

Der Zusammenhang zwischen Pflegenden, Patient:innen und Pflegequalität lässt sich mithilfe von Klassifikationssystemen berechnen. Diese Systeme werden aus verschiedenen Gründen genutzt: um Ungerechtigkeiten zu vermeiden, die Versorgungsqualität zu sichern, Personal gezielt einsetzen und zwischen Stationen verschieben zu können, um Risiken zu minimieren oder die Anzahl der Beschwerden zu senken. Mittlerweile wurden über 100 verschiedene Systeme entwickelt, je nach Entwickler mit unterschiedlichen Schwerpunkten, die teilweise automatisiert sind oder händisch berechnet werden müssen. Je mehr Daten von Patient:innen und dem Versorgungsaufwand in einem System eingegeben werden, desto genauer lässt sich der zeitliche Aufwand berechnen und vorhersagen, desto mehr Zeit wird aber auch für die Dateneingabe benötigt. Wenn ein System 30 Items abfragt, die zum Teil berechnet werden müssen und dies 5 Minuten pro Patient:in benötigt, wird dies auf einer 30-Bettenstation schnell zur Belastung. Systeme, die nur wenige Items abfragen, sind schneller, berücksichtigen aber nicht alle relevanten Faktoren, sodass ein zeitlich erhöhter Pflegeaufwand wie „herausforderndes Verhalten bei Demenz“ oder „Isolationsmaßnahmen“ nicht immer abgebildet werden können und damit als ungenau kritisiert werden können.

Die Pflegepersonal-Regelung (PPR) 2.0 wurde zur Planung des Pflegeaufwands in der direkten Versorgung von Patient:innen entwickelt und ist die Fortführung der PPR 1.0. Die erste Version wurde in den 1990er Jahren mit dem Gesundheitsstrukturgesetz eingeführt und 1997 wieder abgeschafft. Die PPR basiert auf den Dimensionen der Allgemeinen Pflege und der Speziellen Pflege mit jeweils 3 Stufen von geringem bis sehr komplexem Versorgungsaufwand. Die Dimension der Allgemeinen Pflege beinhaltet grundpflegerische Tätigkeiten wie Unterstützung bei der Körperpflege, Bewegung sowie Hilfe bei der Nahrungsaufnahme und -ausscheidung; Stufe 3 entspricht einer (fast) vollständigen Pflegeabhängigkeit. In der Dimension der Speziellen Pflege werden zumeist Leistungen im Kontext operativer, invasiver oder krankheitsspezifischer Maßnahmen erfasst wie regelmäßige Vitalzeichenkontrolle, Medikamentengabe inkl. Infusionen und die Versorgung von Wunden und Zu- und Ableitungen; Stufe 3, bzw. 4 in PPR 2.0 entspricht einer hochkomplexen Pflege wie bei Intensiv- und IMC-Patient:innen. Den Stufen in beiden Dimensionen sind Minutenwerte zugeordnet, die in Relation zu der verfügbaren Pflegearbeitszeit den Pflegeaufwand abbilden können. Der Pflegeaufwand wird einmal täglich erfasst und dokumentiert. Dabei erfasst die PPR jedoch den geplanten Pflegeaufwand, nicht die tatsächlich durchgeführten Tätigkeiten. Es kann also eine Lücke zwischen „Ist“ und „Soll“ entstehen, was als missed care bezeichnet wird.

Die PPR 2.0 erfasst den Pflegeaufwand nun differenzierter in 4 statt in 3 Stufen, außerdem wurde der Erfassungszeitraum angepasst. In den ersten Pilotversuchen mit der PPR 2.0 konnte die Machbarkeit in der Praxis gezeigt werden, die Erfassung und Anwendung der Dimensionen wurden nach Schulung gut umgesetzt und die Dokumentation kann schnell und mit wenig Aufwand von Pflegenden der jeweiligen Bereiche erfolgen. Allerdings gab es Unsicherheiten in der Geriatrie.

Mit der PPR 2.0 kann der zeitliche Aufwand für Pflegetätigkeiten geplant werden, aber die PPR berücksichtigt (noch) nicht die dafür erforderlichen Qualifikationen und erfasst auch nicht die Qualität der Pflege. Ein weiteres Problem ist die fehlende Erfassung von missed care, also nicht umgesetzter Pflege aufgrund von Personalmangel. Dies betrifft vor allem Aspekte der psychosozialen Betreuung, Grundpflege und Mobilisierung. Die PPR 2.0 wurde noch nicht in der Pädiatrie und im Intensivbereich überprüft, auch hier laufen zurzeit Evaluationen und Anpassungen.

Da die PPR 2.0 exakter als die Vorgängerversion ist, kann auch der geplante Pflegeaufwand genauer berechnet werden und der ist im Ergebnis im Durchschnitt 1 Stunde höher als vorher. Wie es in dem DKG Abschlussbericht heißt: „für ca. 8 Patienten wäre im Schnitt eine Vollzeitkraft pro Tag zusätzlich notwendig“. Die Kritik, Pflegende würden die PPR 2.0 selbst ausfüllen und Patient:innen höher bewerten, um mehr Personal zu bekommen, konnte in Praxisevaluationen nicht bestätigt werden; eher das Gegenteil ist der Fall.

Dies führt zu der kritischen Frage: Was passiert, wenn ein System eingeführt wird, das belegt, das noch mehr Pflegekräfte als bisher benötigt werden? Schon bei der Abschaffung der PPR 1.0 wurde geunkt, dass der Grund für die Abschaffung der kontinuierliche Beleg für einen bestehenden Personalmangel gewesen sei und Politik und Management die Beweislast als zu erdrückend empfunden hätten. Hoffen wir, dass es diesmal besser laufen wird und endlich ein System eingeführt wird, das zu Konsequenzen führt und mehr Pflegende eingestellt werden. Die Pflegeverbände in Deutschland und auch die Gewerkschaften unterstützen größtenteils die Einführung und wir können gespannt sein, wie konsequent die PPR 2.0 genutzt werden wird.“

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