Chung SJ, Kim, JS, Kim JC, Lee SK, Kwon SU, Lee MC, Suh DC
In: Cerebrovascular diseases 2002;13:79-88


BEWERTUNGSSYSTEM

*****    = hervorragende Arbeit
****    = gute grundlagenwissenschaftliche Arbeit/klinische Studie/Übersichtsarbeit
***    = geringer Neuheitswert oder nur für Spezialisten geeignet
**    = weniger interessant, leichte formale oder methodische Mängel
*    = erhebliche Mängel

 

nima 2-2003


Bewertung: *





Zielstellung:

Untersuchung der Ätiologie, Lokalisation, klinischen Manifestation sowie diagnostischen und therapeutischen Aspekte von intrakraniellen duralen arteriovenösen Fisteln (DAVF).

Design:

Retrospektive Analyse von 60 Patienten mit DAVF über einen Zeitraum von 10 Jahren.

Wichtige Resultate:

Der häufigste kausale Faktor (13%) für DAVF war in dieser Serie die Sinusvenenthrombose, wobei jedoch in den meisten Fällen (72%) die Ursache unbekannt war. Die klinische Symptomatik stand in engem Bezug zur Lokalisation der DAVF. Fisteln des Sinus cavernosus führten in 36% zu okulären Symptomen (Exophthalmus, konjunktivale Injektion, Augenmotorikstörungen) wohingegen das häufigste Symptom von Fisteln der großen Sinus ein Tinnitus war (42%). DAVF ohne direkte Drainage in die großen Sinus (Typ 3 und 4) waren in einem Großteil (83%) mit schweren neurologischen Defiziten assoziiert. Deutlich am häufigsten war in dieser Serie Fisteln des Sinus cavernosus, gefolgt von Fisteln im Bereich des Sinus transversus und sigmoideus. Ein auffälliger Befund in der Schnittbildgebung zeigte sich bei 70% der Patienten im CT und bei 81% im MRT. 33 Patienten wurden ausschließlich endovaskulär behandelt, weitere Therapien bestanden aus einer operativen Exzision (n=5), Gamma knife surgery (n=5) sowie kombinierten Maßnahmen (n=4). Bei 13 Patienten wurde der Befund lediglich kontrolliert. Die erfolgreichste Therapiemaßnahme war die transvenöse Embolisation, die in 64% eine Heilung erzielen konnte. Im Vergleich zu den sonstigen Lokalisationen konnte bei DAVF der großen Sinus in deutlich mehr Fällen eine Heilung erzielt werden (n=18 vs. n=1).

Schlussfolgerung:

Die Lokalisation, Ätiologie und klinische Symptomatik wird jeweils mit den Ergebnissen der Literatur in Relation gesetzt. In den meisten Punkten wird eine Übereinstimmung gefunden abgesehen von der Lokalisation, die in dieser Serie am häufigsten der Sinus cavernosus war, was die Autoren u.a. auf ethnische Faktoren und Akupunktur (!) zurückführen. Des Weiteren kommen die Autoren zu der Schlussfolgerung, dass die MRT eine gute Methode in der Diagnostik von DAVF ist und dass die interventionelle Therapie nützlich und sicher ist.

Kommentar:

Mit den duralen arteriovenösen Malformationen beschäftigt sich die Arbeit mit einem interdisziplinären Krankheitsbild, das leider häufig erst spät erkannt wird und ein klinisches Spektrum vom Tinnitus über Hirnnervenparesen bis hin zur lebensbedrohlichen Blutung aufweisen kann. Wie die Autoren in der Einleitung ausführen, sind die DAVF in der neurologischen Literatur unterrepräsentiert und mit ihrer Fallserie möchten sie diesen Zustand ändern. Leider kann ihre retrospektive Analyse von 60 Patienten hieran nicht sehr viel ändern. Wie in einem bunten Potpourri werden die verschiedensten Aspekte von DAVF aneinandergereiht. Dabei können die meisten Ergebnisse der Literatur nachvollzogen werden. Dabei muss aber berücksichtigt werden, dass sich die angeführten Arbeiten in den meisten Fällen systematisch und fundiert mit einem Aspekt der DAVF (z.B. venöse Drainage, therapeutische Optionen) befassen und nicht nur eine retrospektive Fallsammlung beschreiben. Die Arbeit wird unter der Unterschrift „Review“ geführt. Hierunter würde man eine Übersicht über die wichtigsten Ergebnisse in der Ätiologie, Diagnostik und Therapie von DAVF sich erwarten. Geboten wird jedoch eine Sammlung von verschiedenen Aspekten einer eigenen Patientengruppe, was einem Review Artikel sicherlich nicht gerecht wird. Zudem fehlen ganz wesentliche Aspekte im Management von DAVF: die Autoren gehen nicht auf die Behandlungsindikation ein, die in der Literatur für Fisteln bis zum Grad IIa (Cognard et al.) ohne klinisch zwingende Symptomatik (wie z.B. Gefährdung des Visus bei Sinus cavernosus Fisteln) nicht zwingend gesehen wird und insbesondere bei einem Tinnitus stark abhängig von der subjektiven Beschwerdesymptomatik ist. Ab Grad IIb Fisteln ist eine Behandlung aufgrund des Blutungsrisikos indiziert. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Behandlungsstrategie: nachdem die Diagnose einer DAVF gestellt ist und die Indikation für eine Therapie gegeben ist, muss das Ziel die komplette Ausschaltung der Fistel sein. Da durale Fisteln bei inkompletten Verschluss extrem schnell rekanalisieren, hat ein Teilverschluss in der Regel keinen dauerhaften Erfolg, im schlimmsten Fall sind sogar die endovaskulären Zugangswege später dann iatrogen verschlossen, so dass keine interventionelle Therapie mehr möglich ist. Die Autoren beschreiben bei den 47 behandelten Patienten eine Heilung bei 18 Patienten. Der outcome der anderen 29 Patienten (nicht näher definiert ist ob dies klinisch oder angiographisch gemeint ist) wird mit „improvement“, „no response“ oder „aggravation“ beschrieben. Die ganz entscheidende Frage, nämlich das angiographische followup, dass den Verschluss der Fistel (d.h. geheilt) bzw. eine Persistenz der Fistel (d.h. bei Fisteln > Grad IIa weitere Blutungsgefahr) anzeigt, wird in der Arbeit nicht beantwortet.
Am deutlichsten wird ein relativ undifferenzierter Umgang mit dem Krankheitsbild der duralen Fisteln im letzten Satz des Artikels. Als eine Einschränkung ihrer Studie führen die Autoren das Fehlen einer randomisierten Therapie an. Bei den duralen Fisteln handelt es sich um sehr komplexe Krankheitsbilder, die eine differenzierte neurochirurgische und/ oder neuroradiologische Versorgung erfordern, bzw. in Abhängigkeit der Symptome sowie der Klassifikation u.U. auch keine Therapie benötigen. In diesem Kontext erscheint es allein aus ethischen Aspekten sehr fraglich, randomisierte Therapiestudien durchzuführen.

(M. Bendszus)