Polderman KH, Joe RTT, Peerdeman SM, Vandertop VP, Girbes AR
In: Intensive Care Med (2002) 28:1563-1573


BEWERTUNGSSYSTEM

*****    = hervorragende Arbeit
****    = gute grundlagenwissenschaftliche Arbeit/klinische Studie/Übersichtsarbeit
***    = geringer Neuheitswert oder nur für Spezialisten geeignet
**    = weniger interessant, leichte formale oder methodische Mängel
*    = erhebliche Mängel

 

nima 2-2003


Bewertung: ****





Zielstellung:

Trotz erfolgversprechender experimenteller Ergebnisse über neuroprotektive Wirkungen der Hypothermiebehandlung sind die bisherigen Studienergebnisse bei Schädel-Hirn-Trauma (SHT) Patienten widersprüchlich. Nach früheren erfolgreichen Studien mit insgesamt relativ geringen Patientenzahlen und somit limitiertem Aussagewert konnte eine große, randomisierte Studie von Clifton (Clifton et al., NEJM 2001) kein verbessertes Outcome feststellen. Die Arbeitshypothese der Autoren der vorliegenden Studie besteht darin, dass das Outcome der Hypothermiepatienten wesentlich durch nicht ausreichend therapierte Nebenwirkungen der Kühlung beeinflusst wird. In der vorliegenden Studie wird demzufolge untersucht, ob Patienten mit schwerem Schädel-Hirn-Trauma und the-rapierefraktär erhöhten intrakraniellen Drücken von einem Hypothermieprotokoll profitieren, das Nebenwirkungen der Kühlung verhindern soll.

Design:

Im Zeitraum zwischen 1995 und 2000 wurden prospektiv an einem neurochirurgischen Zentrum Schädel-Hirn-Trauma Patienten (n=136) mit einer Glasgow Coma Skala (GCS) von 70 mmHg dar. Die Hirndruckbehandlung erfolgte nach einem eskalierenden Schema, das eine Analgosedierung, Muskelrelaxierung, Ventilation, Osmotherapie und Einsatz von Barbituraten beinhaltete. Insgesamt wurden in die Kontrollgruppe, für die diese Therapie zur Hirndrucktherapie ausreichte, n=72 Patienten eingeschlossen. Patienten mit persistierenden Hirndruckwerten über 20 mmHg wurden in die Hypothermiegruppe eingeschlossen (n=64). Die Zieltemperatur der Hypothermietherapie betrug max. 32°C Körpertemperatur und wurde durch wasserdurchströmte Kühldecken induziert. Bei Induktion der Kühlung wurde zusätzlich 500-1000 ml Kochsalzlösung infundiert und Elektrolyte nach stündlicher Laborkontrolle substituiert. Outcomeparameter war insbesondere das Outcome gemäß der Glasgow Outcome Skala (GOS) nach sechs Monaten.

Wichtige Resultate:

Die beiden Patientengruppen unterschieden sich in ihren Baselineparametern nicht signifikant. Insgesamt wurden im Mittel 4,1 Stunden benötigt, um moderate Hypothermie von 32-33°C zu erreichen. Die Hypothermiebehandlung dauerte dabei in Abhängigkeit vom ICP im Mittel 4,8 Tage (24 Stunden bis zu 21 Tagen). Gekühlte Patienten benötigten mehr Flüssigkeitszufuhr, Elektrolyte und Katecholamine. Aufgrund der eskalierende Hirndrucktherapie, an deren Ende erst die Hypothermie stand, bestand für die Patienten der Hypothermiegruppe signifikant länger erhöhter Hirndruck. Trotzdem gelang es in den meisten Fällen, den CPP über 70 mmHg zu halten. Insgesamt verringerte die Hypothermietherapie die Mortalität während des Krankenhausaufenthalts von 72,2% auf 62,5%. Außerdem war die Anzahl der Patienten mit gutem neurologischen Outcome in der Hypothermiegruppe mit 15% vs. 9,7% besser als in der Kontrolle. Für Patienten beider Gruppen unterschied sich die Aufenthaltsdauer im Krankenhaus nicht. Insgesamt lässt sich das bessere Outcome der Hypothermiepatienten durch die Patientengruppe mit einem GCS von 5 oder 6 bei Aufnahme erklären. Nach 6 Monaten hatten 30,7% dieser Patienten ein gutes Outcome im Gegensatz zu nur 7,7% in der Kontrollgruppe. Patienten mit schlechterem oder besserem GCS profitierten nicht von der Therapie.

Schlussfolgerung:

Die vorliegende Studie belegt den therapeutischen Nutzen moderater Hypothermiebehandlung für eine Subgruppe von Patienten mit einem GCS von 5 oder 6 bei Aufnahme. Bei der Behandlung wurde auf ein striktes Vermeiden verminderter CPP-Werte, MAPs, Elektrolyt- und Volumenveränderungen Wert gelegt. Moderate Hypothermie stellte die letzte Therapieoption einer eskalieren-den Hirndrucktherapie dar.

Kommentar:

Zur Hypothermiebehandlung von Patienten mit schwerem SHT wurden in der vorliegenden Studie ein schlüssiges Konzept vorgelegt, das u.a. auf folgenden Erkenntnissen basiert: Polderman et al. (J Neurosurg 2001) beschrieben, dass es in der frühen Phase der Kühlung zu schädlichen Störungen des Elektrolyt- und Volumenhaushalts kommt. Zudem scheint es sicher, dass selbst kurze Phasen mit erniedrigtem CPP das Outcome deutlich verschlechtern (Fearnside et al., 1993). Eine kürzlich publizierte Studie von Shoizaki et al. (J Neurosurg 2001) zeigte, dass lediglich SHT Patienten mit erhöhtem ICP von einer Hypothermietherapie profitieren. Somit wurden in die vorliegende Studie für die Hypothermiebehandlung nur Patienten eingeschlossen, die einen auf herkömmlich Art therapierefraktären erhöhten ICP zeigten. Mögliche Elektrolytstörungen und hypotone oder hypovolämische Phasen und somit erniedrigte CPP-Werte konnten verhindert werden. Wichtigster Zielparameter während der Hypothermiebehandlung stellten ICP und CPP dar. Beide bedingten die Dauer der Hypothermiebehandlung. So erstreckte sich die Kühlung auf bis zu 21 Tage. Das Rewarming erfolgte in Analogie zu Schlaganfallstudien kontrolliert langsam (Steiner et al., 2002), d.h. mit einer Rate von 1°C/12 Stunden, sodass das Risiko eines schädlichen Rebounds des ICPs vermindert wurde. Die genannten Faktoren erklären möglicherweise das bessere Outcome der Hypothermiebehandlung im Vergleich zu Clifton et al dar. In dieser Studie wurde ein strikte Randomisierung unabhängig vom ICP durchgeführt. Die Kühldauer betrug max. 48 Stunden. Die Wiedererwärmungsrate war eher schnell mit max. 0,5°C über 2 Stunden. Elektrolyte und Volumenstatus wurden nicht prophylaktisch hoch gehalten. Wie bei multizentrischen Studien oftmals zu erwarten, könnten geringe Unterschiede in der Behandlung der verschiedenen teilnehmenden Zentren zu einem schlechteren Outcome bei Hypothermie geführt haben.

Zusammenfassend zeigen Polderman et al., dass Patienten mit einem GCS von 5 oder 6 und erhöhten therapierefraktären Hirndruckwerten von einer moderaten Hypothermiebehandlung profitieren können, sofern ein striktes Behandlungsregime wie in der vorliegenden Studie durchgeführt wird. Die Durchführung einer größeren, multizentrischen Studie ist jedoch sicher zur weiteren Einschätzung dieser Ergebnisse notwendig.

(R. Kollmar)