Leonardo Rangel-Castillo, Claudia S. Robertson
In: Crit Care Clin 2007; 22: 713-732

 

BEWERTUNGSSYSTEM

*****    = hervorragende Arbeit
****    = gute grundlagenwissenschaftliche Arbeit/klinische Studie/Übersichtsarbeit
***    = geringer Neuheitswert oder nur für Spezialisten geeignet
**    = weniger interessant, leichte formale oder methodische Mängel
*    = erhebliche Mängel

 

NIMA 08


Bewertung: ****





Zielstellung:

In dieser Übersichtsarbeit soll ein umfassender Überblick über die aktuelle Datenlage zum Management von Patienten mit erhöhtem intrakraniellen Druck (ICP) gegeben werden.

Design:

Reine Übersichtsarbeit

Wichtige Resultate:

Die Ursachen eines erhöhten ICPs können eingeteilt werden in primär intrakraniell (Ischämie, intrazerebrale Blutung, Trauma, etc.), sekundär extrakraniell (Hypoxie, Medikamente, metabolisch etc.), oder postoperativ (Ödem, Hämatom etc.]. Ein Anstieg des ICPs ist ein wesentlicher Grund für eine sekundäre Schädigung des Gehirns. Deshalb sollte bei Patienten mit erhöhtem ICP oder einem signifikanten Risiko, einen ICP-Anstieg zu entwickeln, ein kontinuierliches ICP-Monitoring durchgeführt werden. Ein intraventrikulär platzierter Katheter ist nach wie vor die Methode der Wahl, den ICP zu monitoren, nicht zuletzt aufgrund der Möglichkeit einer therapeutischen Liquordrainage.
Drei wesentliche Ziele der Therapie des erhöhten intrakraniellen Drucks lassen sich formulieren: 1. Aufrechterhaltung des ICPs 60mmHg, 3. Vermeidung von Faktoren, die einen erhöhten Hirndruck verstärken oder auslösen.
Die intensivmedizinische Basistherapie besteht aus einer Oberkörperhochlagerung von 15-30°, Sicherung der Respiration (mechanische Beatmung) zur Vermeidung einer Hypoxie und Hyperkapnie, Analgosedierung, Fiebersenkung, ggf. Behandlung einer arteriellen Hypertonie und einer Anämie (Hb>10g/dl).
Bei Patienten mit anhaltend hohen ICP-Werten >25mmHg müssen weitere Maßnahmen ergriffen werden. Zunächst sollte eine tiefe Analgosedierung sowie ggf. eine Muskelrelaxierung angestrebt werden. Der nächste Schritt besteht in einer hyperosmolaren Therapie. Mannitol ist das am häufigsten verwendete Osmotherapeutikum. Es sollte als Bolus gegeben werden, üblicherweise in einer Dosis von 1mg/kg KG. Die Applikation kann alle 2-6 Stunden erfolgen, die Serum-Osmolarität sollte zwischen 300 und 320mOsm betragen. Da Mannitol ein starkes Diuretikum ist, muss auf eine adäquate Volumenzufuhr geachtet werden. Ein Alternative zu Mannitol sind hypertone Kochsalzlösungen (3%-23.4%). Der wesentliche Vorteil dieser hypertonen NaCl-Lösungen besteht in der Zunahme des intravasalen Volumens, gefolgt von einem Blutdruckanstieg bei gleichzeitiger Reduktion des ICPs. Die Hyperventilation kann über eine Vasokonstriktion zu einer kurzzeitigen Senkung des ICPs führen, sollte aber aufgrund des Risikos, den CBF unter kritische Werte zu senken, nicht längerfristig oder routinemäßig angewendet werden. Barbiturate können ebenso zur intrakraniellen Drucksenkung eingesetzt werden. Aufgrund der erheblichen Nebenwirkungen wie Infekte, Hypotonie, Leber- und Nierenschädigungen sollten Barbiturate jedoch nur als ultima ratio bei Versagen anderer Therapieoptionen verwendet werden. Die therapeutische Hypothermie hatte zwar keinen Effekt auf das neurologische Outcome in einer randomisierten Multicenter Studie bei Patienten mit schwerem Schädel-Hirn-Trauma, konnte aber den ICP während der Kühlung deutlich senken und scheint deshalb eine denkbare Option bei therapierefraktären ICP zu sein. Grundsätzlich sollte in jeder Phase der Erkrankung eine chirurgische Intervention zur Senkung des intrakraniellen Druckes neu diskutiert werden. So kann eine externe Ventrikeldrainage über eine Reduktion des intrakraniellen Volumens einen erhöhten ICP rasch senken, akute epidurale und subdurale Hämatome sollten bei raumfordernden Effekt ebenfalls rasch operiert werden. Der Nutzen einer primär operativen Behandlung einer spontanen intrazerebralen Blutung ist nach wie vor unklar.
Die dekompressive Kraniektomie stellt die radikalste Intervention zur Behandlung eines erhöhten ICPs dar. Es gibt keine randomisierte, kontrollierte Studie bei Erwachsenen, die die Effizienz dieser Therapie untersuchte. Kleine Fallserien und Kasuistiken jedoch lassen vermuten, dass die dekompressive Kraniektomie bei manchen Patienten sinnvoll erscheint, wenn die maximale konservative Therapie ausgeschöpft ist- abhängig von Alter, OP-Zeitpunkt, Ausmaß der zerebralen Schädigung und klinischem Schweregrad. Laufende Studien zu dieser Fragestellung werden hierzu hoffentlich neue Erkenntnisse liefern.

Schlussfolgerung:

Faktoren, die zu eine Verschlimmerung oder Auslösung einer ICP-Erhöhung führen könnten, sollten unbedingt vermieden werden. Entwickelt sich ein erhöhter ICP, so sollte zunächst eine neue Massenläsionen ausgeschlossen werden, die operativ evakuiert werden könnte. Die konservative Therapie des erhöhten ICPs beinhaltet Analgosedierung und Relaxierung, eine Liquordrainage, und eine Osmotherapy mit Mannitol oder hypertonem Kochsalz. Bei Versagen dieser Therapie ist der Einsatz von Barbituraten, Hypothermie oder der dekompressiven Kranieektomie zu diskutieren. Steroide sind bei Schädel-Hirn-Trauma Patienten nicht indiziert.

Kommentar:

Es handelt sich hier um eine gelungene Übersichtsarbeit, die umfassende Informationen und den aktuellen Wissenstand in der Behandlung des intrakraniellen Drucksteigerung wiedergibt. In einem ersten Schritt liefern die Autoren auf eine gut verständliche Weise die pathophysiologischen Grundlagen der Entstehung einer intrakraniellen Druckerhöhung, deren unterschiedliche Ursachen, der zeitliche Verlauf in Abhängigkeit der zugrunde liegenden Hirnläsion sowie Indikationen zum ICP-Monitoring. Der wesentliche Teil dieser Arbeit beschäftigt sich mit den therapeutischen Optionen der intrakraniellen Drucksenkung. Dies wird übersichtlich in einem ‚diagnostischen und therapeutischen Algorithmus’ graphisch dargestellt. Jeder Schritt dieser Eskalationstherapie wird im Text näher erklärt und es werden ausführlich mögliche Vor- und Nachteile sowie Limitationen der einzelnen Behandlungsoptionen aufgeführt und diskutiert. Zu den meisten spezifischen Therapien werden genaue Angaben hinsichtlich Indikation, Dosierung und Timing gemacht. Ebenso versuchen die Autoren, einzelne Therapieoptionen zu hinsichtlich Evidenz zu bewerten und Empfehlungen auszusprechen. Dem Leser werden somit verständliche und in der klinischen Praxis umsetzbare therapeutische Entscheidungshilfen gegeben.
Leider gehen die Autoren nur kurz und unzureichend auf das entscheidende Problem in der Behandlung des erhöhten intrakraniellen Drucks ein: die wenigsten der angeführten Behandlungsmöglichkeiten wurden prospektiv in größeren randomisierten Studien untersucht. Die Mehrzahl der empfohlenen Therapieoptionen basieren somit ausschließlich auf klinischen Erfahrungen und Expertenmeinungen ohne hinreichende Evidenz. So sind für die häufig eingesetzten hyperosmolaren Substanzen Mannitol und hypertone NaCl-Lösungen der optimale Zeitpunkt, Konzentration und Dosis, sowie Applikationsschema und -dauer nach wie vor unklar. Das oft zitierte Rebound-Phänomen durch Umkehr des osmotischen Gradienten nach Akkumulation im geschädigten Hirngewebe konnte in klinischen Studien bis jetzt nicht gezeigt werden. Ebenso ist die osmotische Zielgrenze von 320mOsm eher Fiktion, und durch Studien nicht belegt. Therapieoptionen wir Barbituratkoma oder Hyperventilation sind bei Patienten mit intrakranieller Drucksteigerung und gleichzeitig kritischem zerebralen Perfusionsdruck vermutlich eher schädlich als sinnvoll.
Deshalb sind prospektive kontrollierte Studien dringend notwendig, um evidenz-basierte Empfehlungen in der Behandlung des erhöhten intrakraniellen Druckes geben zu können, wie dies überzeugend in den 3 europäischen Dekompressionsstudien bei malignem Mediainfarkt (DESTINY, HAMLET, DECIMAL) gezeigt werden konnte.
Ein weiteres Problem dieser Arbeit ist die Tatsache, dass sich die überwiegende Mehrzahl der aufgeführten klinischen Studien sowie der einzelnen Therapieempfehlungen auf Patienten mit schwerem Schädel-Hirn-Trauma beziehen. Eine einfache Transformation der Therapieempfehlungen auf andere, nicht-traumatische Patienten erscheint hinsichtlich der Vielfalt der zugrunde liegenden Pathomechanismen schwierig und teilweise nicht sinnvoll.


(J. Bardutzky)