Coughlin MT, Angus CD
In: Crit Care Med 2003; 31 (Suppl.) S. 7-16


BEWERTUNGSSYSTEM

*****    = hervorragende Arbeit
****    = gute grundlagenwissenschaftliche Arbeit/klinische Studie/Übersichtsarbeit
***    = geringer Neuheitswert oder nur für Spezialisten geeignet
**    = weniger interessant, leichte formale oder methodische Mängel
*    = erhebliche Mängel

 

nima 3-2003


Bewertung: ****





Zielstellung:

In diesem Übersichtsartikel soll das Verständnis für die Methoden der Untersuchung von neuen Therapien aus ökonomischer Sicht vermittelt werden. Die Instrumente der Kostenminimalisationsanalyse, der Kosten-Nutzenanalyse und der Kosten-Effektivitätsanalyse werden ausführlich erläutert.

Inhalt:  Die moderne Intensivmedizin erzeugt ernorme Kosten, die in Zeiten knapper Ressourcen in vielen Ländern an die Grenzen der Finanzierbarkeit stoßen. Schätzungen zufolge betragen die Kosten für die Intensivbehandlung bis zu einem Drittel der Gesamtkosten von Krankenhäusern. Die ständig steigenden Kosten für neue Therapiemöglichkeiten stehen einer stagnierenden Finanzmasse gegenüber. In den USA führt dieser Umstand dazu, dass bereits vor Einführung neuer Therapieverfahren Diskussionen über deren finanzielle Auswirkungen auf das Gesundheitssystem geführt werden. Selbst wenn neue Therapiemöglichkeiten wie neue Antibiotika oder der monoklonale AntiEndotoxin Antikörper HA-1A von den entsprechenden Behörden zum Verkehr zugelassen werden, beschränken Arzneimittel-Kommissionen und Versicherungsträger die Verwendung dieser neuen Therapien aus Kostengründen. Die Mehrzahl der Ärzte steht traditionell skeptisch den Konzepten der Gesundheitsökonomik gegenüber, teilweise wegen ihrer mangelnden Kenntnis dieses Fachgebietes. Die Autoren des Artikels legen eine ausführliche Darstellung über die Methodik und Ergebnisse von Kostenanalysen in der Intensivmedizin vor. Die ökonomischen Grundfragen der Medizin können ihrer Meinung nach auf 2 Grundfragen zurückgeführt werden, nämlich 
1. Ist eine gegebene Therapie sinnvoll wenn sie mit anderen Alternativen verglichen wird?
2. Sollte ein Anteil der Ressourcen des Gesundheitswesens für eine bestimmte Therapie oder ein Behandlungsprogramm eingesetzt werden?
Im Falle einer neuen Sepsistherapie muss die Frage gestellt werden, ob diese Therapie eingesetzt wird oder ob z.B. eine
Hepatitis B-Impfung bei Neugeborenen sinnvoller wäre. Bei begrenzten Finanzmitteln muss sich eine Gesellschaft unter Umständen zwischen diesen zwei inhaltlich nicht verknüpften Möglichkeiten entscheiden.  Im weiteren erläutern die Autoren die Methode der ökonomischen Analyse in der Medizin: 
1. Kosten-Minimierungsanalyse: reiner Vergleich der Kosten von 2 Medikamenten ohne Berücksichtigung anderer Faktoren. 
2. Kosten-Nutzenanalyse: alle Variablen werden mit einem monetären Wert besetzt, also auch Liegedauer, Lebensqualität etc. 
3. Kosten-Effektivitäts-Analyse: Diese derzeit am häufigsten verwendete Methode berechnet den Zugewinn an Lebensqualität, Lebensdauer oder Überlebenswahrscheinlichkeit pro eingesetzte Kosten für zwei miteinander verglichene Therapien.
Eine Vielzahl von Kostenelementen muss in diesen Analysen berücksichtigt werden, außerdem bergen Schätzungen der einzelnen Kostenpositionen erhebliche Unsicherheiten in sich. Die Bestimmung von Outcome-Kriterien bereitet erhebliche Schwierigkeiten. Weiter ist die Frage zu beantworten, welche indirekten Krankheitskosten in den jeweiligen Analysen einzuschließen sind. Weitere Problemfälle sind die Frage der Definition des derzeitigen Therapiestandards als Vergleichsgröße, die Frage der Zeitfaktoren und die Berücksichtigung von Ergebnissen von kontrollierten Studien. Zusammenfassend kommen die Autoren zu dem Ergebnis, dass nicht nur kontrollierte Therapiestudien sondern auch Kosten-Effektivitäts-Studien für die Entscheidung zur Einführung neuer Therapien in der Intensivmedizin erforderlich sind. 

Kommentar:

Die ökonomische Dimension der Intensivmedizin rückt immer mehr in das Bewusstsein der Ärzteschaft. Nicht alles was machbar ist, kann oder muss gemacht werden. Während vor 20 Jahren die meisten Ärzte keinerlei Vorstellung von den Kosten der von ihnen verwendeten Medikamente hatte, wird heute häufig die Entscheidung für oder gegen ein Antibiotikum aus Kostengründen getroffen. Nach Einführung kontrollierter randomisierter Studien in die Medizin wurden diese die Richtschnur für die Einführung neuer Therapien. Hierbei spielten Kostenüberlegungen noch keine Rolle. Die neueste Entwicklung in der Therapiewissenschaft ist die KostenEffektivitäts-Analyse, die neben der Frage der Wirksamkeit auch die Frage der Kosten berücksichtigt. Angesichts der drohenden Unfinanzierbarkeit des Gesundheitswesens ist die Frage nach den finanziellen Auswirkungen einer neuen Therapie sicher berechtigt, man darf aber dabei nicht übersehen, dass die ärztliche Entscheidungsfreiheit eingeschränkt und erhebliche ethische Dimensionen berührt werden. Nach Kosten-Effektivitäts-Analysen währen Intensivbehandlungen bei älteren Menschen wahrscheinlich nicht zu vertreten. Der nüchterne und scheinbar nur auf Darstellung einer wissenschaftlichen Analysemethode bezogene Artikel birgt zwischen den Zeilen erheblichen ethischen Zündstoff. Deswegen sollte dieser Artikel von jedem in der Intensivmedizin tätigen Arzt sorgfältig gelesen werden. Es ist inzwischen klar, dass die Ärzteschaft sich mit ökonomischen Grundfragen der Intensivmedizin befassen muss. Wenn wir dies nicht tun, werden uns die Entscheidungen von außen durch nicht
sachlich qualifizierte Personen diktiert werden.

(W.F. Haupt)