Seit dem letzten Jahr hat sich die DGNI zum Ziel gesetzt, einmal im Jahr ein Update der wichtigsten Studien in der NeuroIntensivmedizin zu veröffentlichen, um ihre Mitglieder zu informieren. Zwei Mitglieder haben deshalb aus den vielen in den letzten zwei Jahren veröffentlichten internationalen Studien sieben relevante und interessante herausgefiltert, zusammengefasst und bewertet.

In Vertretung für die Neurologen sichtete und bewertete Dr. Christian Roth, Klinikum Kassel, verschiedene Journals, in Vertretung für die Neurochirurgen Dr. Sylvia Bele, Universitätsklinikum Regensburg. Die Studien beziehen sich auf den ischämischen Schlaganfall, die Subarachnoidalblutung, die intrazerebrale Blutung, das Schädel-Hirn-Trauma und den Status epileptics.

  • Therapeutische Hypothermie im Status epilepticus (HYBERNATUS-Studie)
  • Kopflagerung beim akuten Schlaganfall (HeadPoST-Studie)
  • Intubationsnarkose versus Sedierung während der Thrombektomie (SIESTA-Studie)
  • DAWN-Studie: Thrombektomie im 6-bis-24-Stunden-Zeitfenster bei nachgewiesenem Missmatch zwischen klinischem Defizit und Infarkt
  • Clip versus Coil: die BRAT-Studie
  • CENTER-TBI-Schädel-Hirn-Trauma-Versorgung in Europa
  • Subgruppenanalyse der INTERACT-1-Studie: Blutdruckeinstellung nach intrakranieller Blutung

1. Therapeutische Hypothermie im Status epilepticus (HYBERNATUS-Studie)

Der Status epilepticus ist ein intensivmedizinisches Krankheitsbild mit einer hohen Mortalität zwischen 20 und 40 Prozent. Eine multizentrische randomisierte Studie untersuchte 268 Patienten mit konvulsivem Status epilepticus in zwei Behandlungsarmen: Standardtherapie versus Standardtherapie mit therapeutischer Hypothermie (32-34°C für 24 Stunden). Alle Patienten waren beatmet und eine erste medikamentöse Therapie wurde im Median 40 Minuten nach Anfallsbeginn begonnen. Die Zieltemperatur wurde durch externe Kühlung im Median nach circa fünf Stunden erreicht. Primärer Outcome-Parameter war die Glasgow Outcome Skala (GOS) nach 90 Tagen. Ein gutes Outcome (GOS 5) erzielten 49 Prozent im Hypothermiearm und 43 Prozent in der Kontrollgruppe. Es gab keinen statistisch signifikanten Unterschied. Lediglich EEG-Muster entsprechend einem Status epilepticus waren unter Hypothermie weniger häufig am ersten Tag erkennbar (11 versus 22 Prozent). Alle anderen sekundären Studienziele (Mortalität, Behinderung nach 90 Tagen) zeigten keine signifikanten Unterschiede. Etwa 20 Prozent der Patienten beider Gruppen verstarb innerhalb von 90 Tagen. Nebenwirkungen waren im Hypothermiearm häufiger, vor allem durch eine erhöhte Pneumonierate.
Auch diese gut durchgeführte Studie reiht sich in andere Studien zur therapeutischen Hypothermie bei primären Hirnschädigungen (Schädelhirntrauma, intrakranielle Blutung, ischämischer Schlaganfall) ein, die initial hoffnungsvolle Ergebnisse versprachen (z.B. Reduktion des perihämorrhagischen Ödems bei intrakraniellen Blutungen etc.), aber allesamt keine Verbesserung des Outcomes zeigen konnten. Vergleichbar kam es auch in dieser Studie zu deutlich mehr Komplikationen unter Hypothermie. Es bleibt also dabei: Abgesehen von Patienten nach Reanimation bzw. Kammerflimmern scheint Normothermie und nicht Hypothermie der Goldstandard in der Neuroprotektion zu sein.

Legriel S. et al. Hypothermia for Neuroprotection in Convulsive Status Epilepticus. N Engl J Med. 2016; 375:2457-2467.

2. Kopflagerung beim akuten Schlaganfall (HeadPoST-Studie)

Allgemein gilt eine 30-Grad-Oberkörperhochlagerung als Standard und wird in den Leitlinien empfohlen, sowohl bei Schlaganfallpatienten, als auch bei Patienten der Intensivstation. Die Lagerung hat Einfluss auf den intrakraniellen Druck, den zerebralen Perfusionsdruck und auf die Pneumonierate. In einer großen Studie wurden circa 11.000 Patienten mit akutem ischämischen und hämorrhagischen Schlaganfall für 24 Stunden verschieden gelagert: Flachlagerung versus Position mit 30-Grad-Oberkörperhochlagerung. Die initiale Schlaganfallschwere war in beiden Gruppen gering (NIHSS 4). Es wurden nur rund 31 Prozent Patienten mit großen Gefäßverschlüssen und acht bis neun Prozent Patienten mit intrazerebralen Blutungen eingeschlossen. Primärer Outcome-Parameter war der Grad der Behinderung nach 90 Tagen anhand der modified Ranking Skala (mRS). Im Vergleich zur „sitzenden Gruppe“ konnte bei signifikant weniger Patienten die liegende Position für 24 Stunden aufrechterhalten werden (87 versus 95 Prozent). Es ergaben sich nach 90 Tagen keine signifikanten Unterschiede zwischen beiden Gruppen bezüglich des Behinderungsgrades, der Mortalität oder schwerwiegender Komplikationen, wie beispielsweise Pneumonien.
Diese interessante Studie befasst sich mit einem alten, aber sehr wichtigen Thema: Wie sollten Patienten mit intrakraniellen Läsionen gelagert werden? Großer Vorteil der Studie ist die hohe Patientenanzahl. Interessant erscheint, dass die Lagerung die Pneumonierate nicht beeinflusst hat. Die hohe Abbruchrate im Behandlungsarm der 30-Grad-Oberkörperhochlagerung scheint damit zusammenzuhängen, dass ein Teil der Patienten nicht schwer betroffen war. Ein Unterschied im Outcome könnte aber vor allem bei schwer betroffenen Patienten und NeuroIntensivpatienten nachweisbar sein (Vigilanzminderung oder erhöhter intrakranieller Druck). Bis zum gegenteiligen Nachweis sollte die 30- bis 45-Grad-Oberkörperhochlagerung weiterhin Standard für diese Patientengruppe bleiben.

Anderson CS et al. Cluster-Randomized, Crossover Trial of Head Positioning in Acute Stroke. N Engl J Med. 2017; 376:2437-2447.

3. Intubationsnarkose versus Sedierung während der Thrombektomie (SIESTA-Studie)

Die mechanische Thrombektomie beim akuten ischämischen Schlaganfall wurde kürzlich aufgrund ihrer guten Wirksamkeit in die deutschen Leitlinien aufgenommen und hat sich neben der intravenösen Thrombolyse als weitere Therapie bei großen intrakraniellen Verschlüssen etabliert. Klare Empfehlungen oder Studien über die peri- oder postinterventionelle Behandlung fehlen bisher. Kürzlich wurde von den Heidelberger Kollegen die SIESTA-Studie veröffentlicht.
Diese monozentrische Untersuchung hat erstmals in einer randomisierten Studie die Intubationsnarkose mit der leichten Sedierung ohne Intubation („conscious sedation“) verglichen. Es wurden 150 Patienten eingeschlossen und das frühe Outcome anhand der Änderung des NIHSS nach 24 Stunden untersucht. Dabei zeigten sich keine signifikanten Unterschiede bezüglich dieses primären Outcome-Parameters unter den zwei Sedierungsverfahren. Die Studie konnte somit keinen Vorteil eines leichten Sedierungsregimes ohne Intubation im Vergleich zur Intubationsnarkose zeigen. Dennoch zeigten Patienten im Behandlungsarm ohne Intubationsnarkose weniger körperliche Beeinträchtigungen (geringerer modified Ranking Score) nach drei Monaten. Interessanterweise war die Pneumonierate in der Intubationsgruppe deutlich erhöht (13,7 versus 3,9 Prozent, p=0,03). Unabhängig vom Narkoseregime bleibt das Zeitintervall der wichtigste Faktor. Deshalb sind etablierte Abläufe innerhalb des gesamten Behandlungsteams wichtig, ebenso wie eine rasche Extubation nach der Intervention, die Pneumonien vermeidet und eine rasche klinische Beurteilbarkeit ermöglicht. Die Entscheidung für oder gegen eine Intubationsnarkose sollte abhängig von klar definierten Faktoren wie Unruhe des Patienten, Übelkeit und Erbrechen oder neurologische Verschlechterung gemacht werden.

Schönenberger S et al. Effect of Conscious Sedation vs General Anesthesia on Early Neurological Improvement Among Patients With Ischemic Stroke Undergoing Endovascular Thrombectomy: A Randomized Clinical Trial. JAMA. 2016; 316:1986-1996.

 

4. DAWN-Studie: Thrombektomie im 6-bis-24-Stunden-Zeitfenster bei nachgewiesenem Missmatch zwischen klinischem Defizit und Infarkt

Kürzlich wurde die DAWN-Studie veröffentlicht, die bereits vor der Publikation im New England Journal of Medicine sehr intensiv diskutiert wurde. In dieser randomisierten multizentrischen Studie wurden Patienten mit intrakraniellen Verschlüssen der A. carotis interna oder der proximalen A. cerebri media im 6-bis-24-Stunden-Zeitfenster („last well seen“) eingeschlossen.

Die Patienten wurden in einen Arm mit Standardbehandlung inklusive mechanischer Thrombektomie oder in einen Arm mit einer alleinigen Standardbehandlung randomisiert. Die Studie war darauf ausgelegt, das funktionelle Ergebnis nach 90 Tagen zu testen (modified Ranking Scale = mRS). Ein wichtiges Einschlusskriterium war ein Missmatch zwischen schwerem klinischen Defizit (NIHSS) und geringer Diffusionsstörung in der Kernspintomografie (Diffusions/ Perfusionsgewichtung) oder alternativ in der CT-Perfusion. Die Studie wurde nach einer Interimsanalyse aufgrund einer eindeutigen Überlegenheit der Patienten im Thrombektomie-Arm frühzeitig abgebrochen. Der mRS nach 90 Tagen war signifikant geringer und signifikant mehr Patienten waren funktionell unabhängig in der Gruppe der Thrombektomie-Patienten im Vergleich zur Kontrollgruppe (mRS: 3,4 versus 5,5; funktionelle Unabhängigkeit: 49 versus 13 Prozent). Die Thrombektomie erfolgte im Mittel 13 Stunden nachdem die Patienten zuletzt ohne Defizit gesehen wurden.

Diese Studie unterstreicht die Wichtigkeit der Thrombektomie und zeigt den Nutzen einer mechanischen Rekanalisation auch nach mehreren Stunden. In der Praxis ist es oft schwierig, den genauen Zeitpunkt des Symptombeginns festzulegen. Umso wichtiger ist die richtige Patientenauswahl, die neben einer frühen Darstellung der intrazerebralen Gefäße auch die klinischen Defizite und Perfusionsstudien mittels MRT oder CT-Perfusion in der Therapieentscheidung berücksichtigt. Damit eröffnen sich für eine Vielzahl von Schlaganfallpatienten neue Therapiemöglichkeiten.

Noguerira RG et al. Thrombectomy 6 to 24 Hours after Stroke with a Mismatch between Deficit and Infarct. NEJM; 2017 doi: 10.1056/NEJMoa1706442

 

Korrespondenz:

Roth Christian DrPriv. Doz. Dr. med. Christian Roth
Leitender Oberarzt, Neurologische Klinik, Klinikum Kassel
Mönchebergstraße 41-43
34125 Kassel
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5. Clip versus Coil: die BRAT-Studie

 Die häufigste Ursache für eine nicht-traumatische Subarachnoidalblutung (SAB) ist die Ruptur eines Aneurysmas. Die notwendige Versorgung eines Aneurysmas kann entweder endovaskulär mittels Coiling, Coiling in Verbindung mit Stenting oder Flow Diverter oder aber operativ mittels Clipping erfolgen. Für die Nachbehandlung auf einer NeuroIntensivstation ist die Art der Versorgung durchaus von Bedeutung, da die endovaskuläre Versorgung teilweise eine Thrombozytenaggregationshemmung notwendig macht. Dies kann im Fall notwendiger neurochirurgischer Eingriffe, wie der Anlage einer externen Ventrikeldrainage, zu einem deutlich erhöhten Blutungsrisiko führen. Große Multicenterstudien, wie die ISAT-Studie, kamen zu dem Schluss, dass Coiling eine sicherere Versorgungsalternative darstellt und innerhalb des ersten Jahres nach Versorgung ein besseres Outcome verglichen mit dem Clipping aufweist.

Die Post-hoc-Analyse der BRAT-Studie bezüglich sakkulärer Aneurysmen als Ursache für eine SAB untersucht erneut das Outcome der Patienten nach SAB im Verhältnis zum Versorgungsmodus, allerdings mit deutlich längerer Nachuntersuchungszeit.
Hierfür wurden die Patienten mit aneurysmatischer SAB dem Versorgungsmodus „Clip“ oder „Coil“ zufällig zugeteilt und entsprechend bei Entlassung, nach sechs Monaten, einem Jahr, drei Jahren und sechs Jahren nachuntersucht, wobei der modified Rankin Score (mRS) angewendet wurde. Insgesamt wurden 500 Patienten eingeschlossen, von denen 29 im Verlauf ausgeschlossen wurden, da die Einwilligung zur Teilnahme widerrufen wurde. Von den 471 verbleibenden Patienten hatten 414 ein Aneurysma als Blutungsursache, davon waren 362 (87 Prozent) sakkulär. Die Patienten wurden zu Clipping oder Coiling randomisiert, d.h. 181 in jede Gruppe. In jeder Gruppe verstarben drei Patienten vor der Therapie. Die verbleibenden Patienten waren hinsichtlich der demografischen Verteilung sehr gut vergleichbar. Von den 178 Patienten der Clipping-Gruppe gab es einen Cross-over in die Coiling-Gruppe, aber insgesamt 64 (36 Prozent) wurden von der Coiling-Gruppe in die Clipping-Gruppe überführt (p=0,0001). Die Ursache hierfür war in den meisten Fällen eine intrazerebrale Blutung, die zusätzlich operativ entfernt werden musste, was bedeutet, dass diese Patienten bereits initial eine neurologische Verschlechterung aufwiesen. Dies erklärt, dass die Coiling-Gruppe bei Entlassung und nach sechs Monaten ein weniger schlechtes Outcome hatte als die Clipping-Gruppe (5,5 versus 6,9 Prozent). Diese Daten stimmen mit der ISAT-Studie überein. Bei der Untersuchung des neurologischen Outcomes nach drei und sechs Jahren zeigte sich dann allerdings kein Unterschied zwischen den beiden Gruppen.

Große Metaanalysen haben nachgewiesen, dass es bei gecoilten Aneurysmen eine Rezidivrate von 20,8 Prozent mit notwendiger Behandlung in 10,3 Prozent der Fälle gibt. Dies ist abhängig von der Verschlussrate des Aneurysmas (Risiko 1,1 Prozent bei 90 Prozent Verschlussrate, 17,6 Prozent bei <70 Prozent Verschlussrate). In der BRAT-Studie konnte gezeigt werden, dass 96 Prozent der geclippten Aneurysmen und nur 48 Prozent der gecoilten Aneurysmen nach sechs Jahren noch komplett (>95 Prozent) verschlossen waren. Von den geclippten Patienten musste innerhalb des Untersuchungszeitraums nur einer, von den gecoilten Patienten insgesamt 21 nachbehandelt werden (p=0,001).

Zusammenfassend kommt die BRAT-Studie daher zu dem Schluss, dass Clipping hinsichtlich des Outcomes und des Nachbehandlungsrisikos gegenüber dem Coiling zu favorisieren ist.
Diese Daten unterstützen die Notwendigkeit einer erneuten randomisierten Studie mit Langzeituntersuchung, um die optimale Versorgung von Patienten mit sakkulären Aneurysmen zu ermitteln.

Spetzler RF, Zabramski JM, McDougall CG, Albuquerque FC, Hills NK, Wallace RC, Nakaji P. Analysis of saccular aneurysms in the Barrow Ruptured Aneurysm Trial (BRAT) Journal of Neurosurgery 2017; Feb 24:1-6. doi: 10.3171/2016.9.JNS161301.

 

6. CENTER-TBI-Schädel-Hirn-Trauma-Versorgung in Europa

Das Schädel-Hirn-Trauma (SHT) ist nach wie vor eine der führenden Ursachen für Todesfälle oder Behinderung weltweit. Allein in Europa erleiden 849/100000/Jahr ein SHT. Trotz vieler Studien ist die Evidenz für die Behandlung von Patienten mit SHT vergleichsweise niedrig und es wird derzeit angezweifelt, ob man allein mit randomisierten Studien zur Verbesserung der Behandlung beitragen kann. Daher werden immer häufiger vergleichende Effektivitätsstudien durchgeführt, um die Evidenz der Behandlung zu verbessern.

Die CENTER-TBI-Studie wollte Unterschiede in der Behandlung von SHT-Patienten innerhalb Europas untersuchen. Daher wurden elf Fragebögen mit insgesamt 321 Fragen auf der Grundlage von Literaturstudien, der Neurotrauma evidence map sowie Expertenbefragungen entwickelt, um ein sogenanntes Provider-Profil zu erstellen. Die Fragebögen beschäftigten sich mit strukturellen Fragen (Bettenzahl, fachspezifische Intensivstationen, Personalschlüssel etc.) sowie Behandlungsalgorithmen (Zeitpunkt einer CT-Untersuchung, Aufnahme auf die Intensivstation, Anlage einer Drucksonde etc.). Zur Validierung der Fragebögen wurden 17 Fragen doppelt eingebaut und die Übereinstimmung bei der Beantwortung der doppelten Fragen mit mehr als 90 Prozent als Referenz für Validität angesehen. Die Fragebögen wurden an 71 Zentren in 20 Ländern europaweit verschickt und als komplett bewertet, wenn mehr als 90 Prozent der Fragen, insbesondere aber die strukturbezogenen Fragen, entsprechend beantwortet wurden, um Informationen über die einzelnen Zentren zu erhalten. Die Auswertung erfolgte dann nach Art der Zentren (akademisches Krankenhaus, Traumazentrum etc.), Art des Gesundheitswesens, und ob die Zentren in Ländern mit hohem oder niedrigem Durchschnittseinkommen liegen.

Alle 71 Zentren hatten die Fragebögen bezüglich der strukturellen Gegebenheiten ihres Krankenhauses ausgefüllt. Die Beantwortung erfolgte durch mehrere Personen pro Zentrum (Neurochirurgen, Neurologen, Pflegepersonal etc.). Im Durchschnitt gab es 2,5 Zentren pro Land, wobei Großbritannien mit neun die höchste Beteiligung hatte. 65 Prozent der Zentren waren akademische Lehrkrankenhäuser, die als Level-I- oder -II-Traumazentren ausgelegt waren. Der Großteil der Zentren war städtisch (99 Prozent), 57 hatten einen eigenen Hubschrauberlandeplatz, 63 ein designiertes Traumateam. 40 Zentren zeichneten sich durch eine eigene NeuroIntensivstation aus. Bezüglich der Patientenzahlen waren Daten von 63 Zentren verfügbar. Die durchschnittliche Aufnahme von SHT-Patienten auf der Intensivstation lag bei 91 pro Jahr (52-160), operative Behandlungen (Entlastungskraniektomie, Entlastung von Kontusionen) wurden 22 pro Jahr (12-43) durchgeführt. Im Durchschnitt waren 14 Neurologen, 10 Neurochirurgen, 17 Intensivmediziner, 4 Traumachirurgen und 11 Notaufnahmeärzte angestellt. 69 Zentren verfügten über ein Programm zur Ausbildung von Fachärzten. 45 Zentren hatten eine „geschlossene Intensivstation“ (fachspezifisch), 22 eine offene Organisationsstruktur der Intensivstationen, der Rest „andere“ Organisationsstrukturen. Je höher das Durchschnittseinkommen des Landes war, desto häufiger war die Intensivstation fachspezifisch organisiert. Für die Versorgung der SHT-Patienten waren Notfallmediziner, Neurochirurgen und Intensivmediziner zuständig. Auf den Intensivstationen betrug das Verhältnis von Arzt zu Patient bzw. Pflegepersonal zu Patient 1:5 bzw. 1:2. Die nächtliche Versorgung auf der Intensivstation war in 44 Zentren (65 Prozent) durch einen Intensivmediziner mit Zusatzbezeichnung gewährleistet. Dies war in den Ländern mit niedrigem Durchschnittseinkommen erstaunlicherweise in 92 Prozent und in den Ländern mit hohem Durchschnittseinkommen nur in 58 Prozent der Zentren der Fall.

Bezüglich der „Standardversorgung“ von SHT-Patienten haben 68 Zentren die Fragen beantwortet. 54 Zentren (79 Prozent) gaben an, CT-Richtlinien in der Notaufnahme zu haben und anzuwenden. Von 71 Zentren verwandten sieben zusätzlich den Marker S-100 als prognostischen Faktor. Bezüglich der Aufnahmestrategie von SHT-Patienten auf die Intensivstation gab es deutliche Unterschiede. Von insgesamt 69 Zentren wurden Patienten mit mittelschwerem SHT (GCS 9-12) ohne auffällige CT-Befunde in 50 Zentren (72 Prozent) nicht auf eine Intensivstation (ITS) aufgenommen, außer es lagen besondere Risikofaktoren vor. Elf Zentren nahmen diese Patienten immer auf die ITS auf. Im Falle von pathologischen CT-Befunden (z.B. Kontusionen) wurden die Patienten in 44 Zentren (64 Prozent) immer und in 25 Zentren (36 Prozent) nur bei zusätzlichen Risikofaktoren auf die ITS aufgenommen. Bei leichtem SHT (GCS 13-15) und Einnahme von Antikoagulantien nahmen nur 16 Zentren (23 Prozent) die Patienten generell auf eine ITS auf, 59 (77 Prozent) nur bei Pathologie im CCT oder anderen Risikofaktoren.

Bezüglich einer Hirndruckmessung wurden die Fragen von 67 Zentren ausreichend beantwortet. Bei Patienten mit schwerem SHT (GCS <9) und Pathologie im CCT war die Anlage einer Hirndruckmesssonde (ICPS) in 61 Zentren (91 Prozent) Standard, in sechs Zentren (9 Prozent) wurde eine Drucksonde nicht oder nur bei zusätzlichen Risikofaktoren eingebracht. Bei schwerem SHT ohne Pathologie im CCT erfolgte nur noch in 15 Zentren (22 Prozent) generell die Anlage einer ICP-Sonde, in 52 Zentren (78 Prozent) nicht oder nur, wenn zusätzliche Risikofaktoren (Antikoagulation etc.) vorlagen. Bei einer intraventrikulären Blutung veranlassten 21 Zentren (31 Prozent) immer eine ICP-Sonde, 46 (69 Prozent) keine Druckmessung oder nur bei Vorliegen zusätzlicher Risikofaktoren. Welche Druckmessung angewandt wird (intraparenchymatös, intraventrikulär oder beides), unterschied sich ebenfalls: 21 Zentren arbeiteten ausschließlich mit intraparenchymatösen Sonden, sechs mit ventrikulären ICP-Sonden und 40 mit beiden Formen der Druckmessung. Auch die Grenzwerte, ab denen Hirndruck (ICP) therapiert wurde (66 Zentren vollständige Angaben), variierten von >15 mmHg in drei Zentren (5 Prozent), >20 mmHg in 57 Zentren (86 Prozent) und >25 mmHg in sieben Zentren (9 Prozent). Auch die ICP-Werte für die Indikation zur Entlastungskraniektomie unterschieden sich deutlich. Von 61 Zentren galt in sieben Zentren (12 Prozent) ein ICP >20 mmHg, in 35 Zentren (57 Prozent) ein ICP von >25 mmHg und in 19 Zentren (31 Prozent) der ICP >30 mmHg als Indikation zur Entlastungskraniektomie. Von 69 Zentren gaben hierbei 33 Zentren (48 Prozent) an, dass die Anlage einer ICP-Sonde von dem diensthabenden Neurochirurgen abhängt sei und nicht von einer Klinikrichtlinie.

Diese Zahlen belegen, dass selbst eine Maßnahme wie die Hirndruckmessung, die eigentlich einer „Standardmaßnahme“ bei schwerem SHT entspricht und von der Brain Trauma Foundation in deren Richtlinien empfohlen wird, innerhalb der europäischen Union und auch an deutschen Kliniken nicht einheitlich gehandhabt wird. Die deutliche Variation, die selbst innerhalb spezialisierter Zentren mit hohen Behandlungszahlen auftrat, eröffnet Möglichkeiten, Effektivität verschiedener Behandlungsfaktoren nach SHT zu untersuchen.

Cnossen MC, Polinder S, Lingsma HF, Maas AI, Menon D, Steyerberg EW; CENTER-TBI Investigators and Participants. Variation in Structure and Process of Care in Traumatic Brain Injury: Provider Profiles of European Neurotrauma Centers Participating in the CENTER-TBI Study PLOS One 08/2016; 11(8):e0161367. doi: 10.1371.

 

7. Subgruppenanalyse der INTERACT-1-Studie: Blutdruckeinstellung nach intrakranieller Blutung

Es ist bekannt, dass es nach einem Schlaganfall häufig zu einer kognitiven Beeinträchtigung kommt. Dies gilt ebenso für intrazerebrale Blutungen (ICB), die eine besonders schwere Form des Schlaganfalls darstellen. Hierbei ist im Langzeitverlauf eine Beeinträchtigung der kognitiven Fähigkeiten bekannt. Allerdings gibt es nur wenig Daten bezüglich der frühen kognitiven Beeinträchtigung nach ICB. Daher wertete die vorliegende Studie die Daten der INTERACT-1-Studie (offene randomisierte Studie zur Wirksamkeit von intensiver Blutdrucksenkung auf <140 mmHg systolischen Blutdruck versus Standardblutdrucksenkung bei Patienten mit ICB) nach 90 Tagen im Hinblick auf die Häufigkeit sowie die Prädiktoren der kognitiven Einschränkungen der Patienten aus.

Insgesamt 404 Patienten mit CT gesicherter ICB, die innerhalb von sechs Stunden aufgenommen wurden und erhöhten Blutdruck (systolischer Blutdruck/ RRs >150 mmHg) aufwiesen, wurden in die INTERACT-1-Studie eingeschlossen und randomisiert in die intensive RRs-Kontrolle (<140 mmHg RRs) und die Standard RRs-Behandlung (RRs <180 mmHg) eingeschlossen. Die Schwere der Blutung wurde anhand der Glasgow Coma Scala und der National Institute of Health Stroke Scale (NIHSS) bei Aufnahme, nach 24 Stunden und bei Entlassung bzw. nach sieben Tagen beurteilt. Die kognitive Beeinträchtigung wurde mithilfe der Mini Mental State Examination (MMSE) 90 Tage nach der Blutung untersucht. Als kognitive Beeinträchtigung wurde ein MMSE ≤24 gewertet und eine Sensitivitätsprüfung wurde zusätzlich bei Patienten mit schwerer kognitiver Einschränkung (MMSE ≤18) durchgeführt.

Von den 404 Patienten verstarben 46 innerhalb von drei Monaten und bei 127 lag kein korrekter MMSE vor. Von den 231 verbleibenden Patienten waren 35,5 Prozent weiblich und das mittlere Alter betrug 64 Jahre (52-72). Insgesamt 75 Patienten hatten eine kognitive Beeinträchtigung mit MMSE ≤24. Als statistisch signifikante Risikofaktoren zeigten sich Alter (p=0,0001), weibliches Geschlecht (p=0,03), ICB in der Vorgeschichte (p=0,004) und die initiale Schwere der Blutung (p=0,04) in der Multivarianzanalyse. Darüber hinaus wurde festgestellt, dass das Erreichen bzw. Aufrechterhalten eines RRs <140 mmHg innerhalb der ersten 24 Stunden seltener zu einer kognitiven Beeinträchtigung führt.

Zusammenfassend zeigt diese Studie, dass die behandelnden Ärzte der Intensivstationen oder Stroke Units mit einer suffizienten Blutruckeinstellung bei Patienten mit ICB durchaus einen positiven Einfluss auf die kognitive Leistungsfähigkeit der Patienten nehmen können. Daher sollte eine entsprechend strenge Blutdruckeinstellung das Ziel innerhalb der ersten 24 Stunden der Behandlung sein.

You S, Wang X, Lindley RI, Robinson T, Anderson CS, Cao Y, Chalmers J. Early Cognitive Impairment after Intracerebral Hemorrhage in the INTERACT 1 Study Cerebrovascular Diseases 2017; 7(3):173-180. doi: 10.1159/000481459.

 

Korrespondenz:

Bele SylviaDr. med. Sylvia Bele
Oberärztin, Uniklinikum Regensburg, Klinik und Poliklinik für Neurochirurgie
Franz-Josef-Strauß-Allee 11
93093 Regensburg
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