Univ. Prof. Dr. Erich Schmutzhard

 

Einleitung:

Ein Status epilepticus wird in einer Inzidenz von 10,357/ 100.000/Jahr (Coeytaux et al. 2000; Haut et al. 1999; Hesdorffer et al. 1998) beobachtet, die ätiologische Eingrenzung ist in vielen Fällen schwierig möglich, trotzdem steht eine kausale Therapie der zugrundeliegenden Pathologie (z. B. Enzephalitis, Theophyllinintoxikation, etc.) neben der symptomatischen Therapie im Vordergrund. Dies vor allem, da das 30Tages„outcome“ überwiegend durch die zugrundeliegende Pathologie bzw. Ätiologie geprägt wird. Die 30TagesMortalität wird von verschiedenen Autoren zwischen 20 und 30% angegeben (DeLorenzo et al. 1996; Mbodj et al. 2000; Treiman 2001). Das raschestmögliche therapeutische Eingreifen ist vor allem deswegen ein Gebot der Stunde, da die Ätiologie/Pathologie sowie die Dauer des Status epilepticus nicht nur die Mortalität prägt, sondern auch die Langzeitmorbidität beeinflusst. Ein generalisierter konvulsiver Status epilepticus (GCSE) führt zu einem in der diffusionsgewichteten Kernspintomographie nachweisbaren zytotoxischen Ödem, damit zu einer möglicherweise persistierenden Schädigung der neuronalen Strukturen. Diese wurden im Hippocampus, in der Amygdala sowie im dorsalen Nukleus des Thalamus von Fujikawa et al, wie auch ein Verlust der Purkinje-Zellen im Zerebellum, beschrieben (Fujikawa et al. 2000). Walker u. Lee beschrieben bei einem 10-Wochen dauernden GCSE eine kortikale Atrophie (Walker u. Lee 1999). Pohlmann-Eden und Szabo betonen, dass ein GCSE eine dringlichste Akutbehandlung bereits am Ort des Geschehens erforderlich macht, da nicht nur eine klare Korrelation zwischen Langzeitmorbidität/Mortalität und Dauer des GCSE besteht, sondern, da es auch eine klare Korrelation zwischen zunehmender Therapieresistenz des GCSE und seiner bisherigen Dauer gibt. Daher ist nach Ausreizen der „konventionellen“ GCSE-Therapie ein aggressives Management eines solchen therapierefraktäre GCSE erforderlich (Pohlmann-Eden u. Szabo 1999). Diese Zusammenstellung diskutiert nun das gesicherte Wissen über den Einsatz von Allgemeinanästhetika, insbesondere, welche Substanzen eingesetzt werden, bzw. eingesetzt werden sollen und mit welchen Komplikationen beim Einsatz solcher Allgemeinanästhetika zu rechnen ist. Das oberste Gebot im Management eines GCSE ist ein raschestmögliches Unterbrechen der epileptischen Daueraktivität, um die persistierende Schädigung neuronaler Zellstrukturen zu verhindern und damit die Morbidität und Mortalität zu reduzieren, die auch durch die Komplikationen der Therapie mit Allgemeinanästhetika einerseits, sowie die Komplikationen der Intensivtherapie andererseits, geprägt sind.
Ein therapierefraktärer GCSE ist unter allen Umständen nur in einem intensivmedizinisch voll ausgerüsteten Ambiente möglich, eine Beatmung ist zwingend erforderlich.

Therapie eines refraktären GCSE mit Allgemeinanästhetika:
Folgende Allgemeinanästhetika werden in der klinischen Routine beim refraktären GCSE eingesetzt: Thiopental (oder Phenobarbital i.v.), Propofol, Midazolam, Ketamin.
Die Kombination von Barbituraten und MK 801 sowie der Einsatz von volatilen Anästhetika (z. B. Isofluran) bzw. Lidocain ist derzeit als experimentell zu bezeichnen, in Einzelfällen jedoch als „compassionate treatment“ auch einzusetzen.
Die Dosierung dieser Anästhetika kann nicht verallgemeinert dargestellt werden, in vielen Fällen ist nach einem initialen Bolus eine Dauertherapie mittels Perfusor anzuschließen, mit dem die appropriate Anästhesietiefe, die ausreicht, sowohl den klinisch apparenten (tonischklonische Zuckungen) Status epilepticus als auch die elektrophysiologisch nachweisbare epileptische Aktivität zu supprimieren.
Phenobarbital wird mit einem Bolus von 200mg in infusione (über 2-5 Minuten) begonnen, eine maximale Tagesdosis von 1000mg sollte nicht überschritten werden (d. h. bis maximal 20 mg/kg KG/Tag). Die Flussgeschwindigkeit des Perfusors sollte nach Verabreichung des Phenobarbitalbolus 0,5-3 mg/kg/KG/Stunde betragen.
Thiopental ist mit einem initialen Bolus von bis zu 250 mg i.v. (über 2 - 5 Minuten) zu starten und dann im Perfusor mit 3-5 mg/kg KG/Stunde weiter zu verabreichen. Die Titrierungen sind entsprechend der klinischen Symptomatik und der elektrophysiologischen Aktivität zu wählen. Eine Maximaldosis von Thiopental von bis zu 7.000 mg über 24 Stunden soll nicht überschritten werden.

Propofol wird als Initialdosis (Bolus) von bis zu 40 mg verabreicht und dann im Perfusor mit 2-2,5 mg/kg KG/24h verabreicht.
Ein wesentlicher Aspekt in der Wahl dieser 3 Allgemeinanästhetika ist auch die Geschwindigkeit des Wirkungseintrittes: während Phenobarbital einen Wirkeintritt innerhalb von 15-25 Minuten zu erwarten hat, wird Thiopental innerhalb von 10 (bis 15) Minuten wirken und Propofol innerhalb von wenigen Minuten die Wirksamkeit als Anästhetikum entfalten. Alternative intravenöse Anästhetika stellen Midazolam, Lidocain und Ketaminhydrochlorid dar.

Midazolam wird als Bolus mit 10-15 mg begonnen und im Perfusor mit bis zu 0,3 mg/kg KG/24 Stunden weiter verabreicht.

Lidocain wird als Bolus von bis zu 200 mg begonnen und mit 3,5 mg/kg KG als maximale Tagesdosis im Perfusor verabreicht.

Ketaminhydrochlorid wird im Bolus mit bis zu 2 mg/kg KG verabreicht und im Perfusor in der Dosis von bis zu 140 mg/kg KG/24 Stunden weitergegeben.
Während Lidocain einen extrem raschen Wirkungseintritt (innerhalb von <30 Sek.) zeigt, Midazolam ebenfalls einen sehr raschen Wirkeintritt (<5 Minuten) zeigt, ist Ketamin mit bis zu 10 Minuten wohl ein rasch wirkendes, aber doch deutlich langsameres Alternativpräparat zum Management des therapierefraktären GCSE.
Großer Wert muss auf das bestmögliche intensivmedizinische Management gelegt werden, daneben sollte die Neuroprotektion mit bestmöglichem Management der Körpertemperatur (Normothermie) einerseits sowie evtl. der zusätzlichen Applikation von neuroprotektiven Substanzen überlegt werden. Prasad und Mitarbeiter konnten zeigen, dass MK 801 (ein NMDA Rezeptor-Antagonist) als adjuvante Therapie zu Phenobarbital den Langzeit-Outcome beim GCSE verbessert (Prasad et al. 2002), im Tierversuch (bei Ratten) konnten Kelsey et al zeigen, dass eine adjuvante (vorausgehende MK 801-Therapie) imstande ist, vor allem den neuronalen Zellverlust, insbesondere im Hippocampus, zu reduzieren (Kelsey et al. 2000).
Die Auswahl der oben diskutierten Substanzen ist im wesentlichen auf empirischer, auf den einzelnen Patienten ausgerichteter Basis zu treffen; prospektive, randomisierte Studien existieren nicht. Lohr und Mitarbeiter haben in einer nicht randomisierten vergleichenden Studie Thiopental und Midazolam analysiert. Wenngleich das Studiendesign (Vergleich von retrospektiven Daten (Thiopental) und prospektiv erhobenen Daten (Midazolam) sicherlich statistische Schwächen beinhaltet, konnte doch eindeutig gezeigt werden, dass bei gleicher Effizienz die respiratorischen Komplikationen (z. B. nosokomiale Pneumonie) in der Midazolamgruppe häufiger auftraten, andererseits Midazolam im Vergleich zu Thiopental eine prolongierte Halbwertszeit aufwies und damit wiederum zu einer potentiellen Erhöhung von intensivmedizinischen Komplikationen, die unter anderem auch durch die Dauer des Intensivaufenthaltes definiert werden, beiträgt (Lohr, Jr. u. Werneck 2000).

Das Inhalationsgas Isofluran, welches im experimentellen therapierefraktären Status epilepticus als wirksam gezeigt werden konnte (Murao et al. 2000), soll – als ultima ratio – in einer endexpiratorischen Konzentration von 0,8-2% verabreicht werden, der Wirkungseintritt ist sehr rasch, die klinische Erfahrung jedoch extrem limitiert.
Neben- und Wechselwirkungen: Die Verabreichung der oben angeführten Substanzen zur Therapie eines therapierefraktären GCSE erfordert das volle intensivmedizinische Ambiente. Neben der Atemdepression, die im intensivmedizinischen Kontext keine Nebenwirkung im eigentlichen Sinn darstellt, da jeder GCSE Patient ohnehin beatmungspflichtig ist, stellen vor allem kardiale sowie metabolische Funktionsstörungen (Leber und Niere) ein beträchtliches Potential an Komplikationen dar, die per se eine Verschlechterung von Morbidität und Mortalität bedingen. Darüber hinaus soll auf die Möglichkeit des Reboundeffektes mit GCSE-Rezidiv einerseits und die Entwicklung von Abhängigkeiten (damit dem Risiko deliranter Zustände von Entzugssymptomen, etc.) hingewiesen werden. Letztlich werden noch die Wechselwirkungen der einzelnen Substanzen mit anderen Arzneimitteln diskutiert, insbesondere, da diese andere Arzneimittel häufig Teil eines breiten intensivmedizinischen Managements darstellen. Besondere Kontraindikationen von einzelnen Substanzen werden ebenfalls dargestellt.

Midazolam: Midazolam kann neben einem Reboundeffekt auch – als Benzodiazepinabkömmling – zu Abhängigkeit und Entzugserscheinungen führen. Es ist besonders bei eingeschränkter Leber- und/oder Nierenfunktion Wert auf vorsichtige Dosierung zu legen. Substanzen, die bestimmte Leberenzyme – insbesondere Cytochrom P 450 IIIa – hemmen, führen zu einer verstärkten und verlängerten Sedation, dazu gehören Cimetidin, Diltiazem, Verapamil, Erythromycin, sowie die Azolpräparate (Ketoconazol, Fluconazol, Itraconazol) und Saquinavir.

Propofol: Die Verabreichung von Propofol ist bei Patienten mit ausgeprägten Störungen des Fettstoffwechsels kontraindiziert, ebenso bei Kleinkindern (<3 Jahre) mit schweren viralen Atemwegsinfektionen, insbesondere Epiglottitis und Krupp. Nebenwirkungen von Propofol inkludieren, insbesondere bei Bolusapplikation, Hypotonie, aber auch Hypertonie, Bradykardie, aber auch Tachykardie, Myoklonien, Rhabdomyolyse (sehr selten), Hyperlipidämie, lokale Thrombosen und Phlebiditen sowie – sehr selten – eine Pankreatitis. Propofol zeigt Wechselwirkungen, wenn kombiniert, mit folgenden Substanzen: Benzodiazepine, Parasympatholytika sowie Inhalationsnarkotika, diese Kombination verlängert die Narkosedauer und führt zu einer verstärkten „Atemnot“ – letzteres sollte bei intensivpflichtigen Patienten kein wirkliches Problem sein. Opiate verlängern in Kombination mit Propofol ebenfalls seine atemdämpfende Wirkung. Grosse Vorsicht ist unter Propofol auf die gleichzeitige Gabe von Suxamethonium und Neostigmin zu legen, unter dieser Kombination wurde eine schwer behandelbare Bradykardie bis zum Herzstillstand beobachtet.

Barbiturate: Es gibt eine Reihe von Erkrankungen, bei denen Barbiturate, insbesondere auch Thiopental, kontraindiziert sind: diese inkludieren Myasthenia gravis, Status asthmaticus, schwere Herzrhythmusstörungen bzw. vorbestehende Myokardschädigungen, hepatische Porphyrie, schwere metabolische Störungen sowie Niereninsuffizienz und Leberinsuffizienz. Vorausbestehende vagotone Zustände verstärken die Hypotoniegefährdung. Eines der größten Probleme unter einer längerdauernden Thiopentaltherapie ist die deutliche Zunahme von infektiösen Komplikationen, insbesondere Sepsis bzw. von Hautveränderungen (Blasenbildung). An Nebenwirkungen werden vorwiegend in der Narkoseeinleitungsphase ein Laryngospasmus und ein Bronchospasmus gesehen, bei Bolusapplikation nehmen häufig das Herzminutenvolumen und der Blutdruck deutlich ab. Wenn peripher appliziert, führt Thiopental zur raschen Entwicklung einer Thrombophlebitis. Wie bei allen anderen Substanzen sind allergische Reaktionen möglich, bei Thiopental nicht selten bis zum anphylaktischen Schock führend. Thiopental zeigt Wechselwirkungen mit anderen Substanzen: durch Enzyminduktion setzen Barbiturate die Wirkung von all jenen Arzneimitteln herab, die durch mikrosomale Leberenzyme metabolisiert werden, dazu gehören Steroide, hormonale Kontrazeptiva, Antikoagulanzien vom Cumarintyp, Phenylbutazon sowie Phenytoin (u.a.). Eine antihypertensive Therapie wird durch Thiopental noch verstärkt. Valproinsäure verstärkt die Wirkung von Thiopental, die Toxizität von Methotrexat wird durch Thiopental ebenfalls verstärkt. Demgegenüber kann Aminophyllin die Wirkung von Thiopental antagonisieren, eine Reihe von Antibiotika (Penicilline, Cephalosporine, Amicazin) sowie Kodein, Ephedrin, Phenothiazin und Suxamethonium gelten ebenfalls als inkompatibel mit Thiopental. Eine irrtümliche intraarterielle Injektion führt zu einer akuten Thrombose des Gefäßes mit entsprechender Nekrose.

Zusammenfassung:

Die derzeit zum Management eines therapierefraktären GCSE in Verwendung befindlichen Allgemeinanästhetika sind Thiopental, Propofol und Midazolam. Perspektivisch kommt dem Ketamin und auch den volatilen Anästhetika, insbesondere Isofluran, vermutlich eine zunehmende Bedeutung zu, die uneingeschränkte Empfehlung darf aufgrund des Fehlens von größeren Fallberichtserien oder prospektiver Studien noch nicht abgegeben werden. Dass ein Patient mit einem therapierefraktären GCSE auf einer nur mit allen Möglichkeiten ausgestatteten Intensivstation betreut werden kann, dass besonders auf Interaktionen und Nebenwirkungen der Allgemeinanästhetika mit einer Reihe sowohl bei neurologischen als auch intensivpflichtigen Patienten verabreichten Substanzen besonders Wert zu legen ist, soll zum Abschluss nochmals betont werden.

(E. Schmutzhard)

Referenzen:

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