Kollef MH, Afessa B, Anzueto A et al.
In: JAMA 2008 20; 300 (7): 805-13

 

BEWERTUNGSSYSTEM

*****    = hervorragende Arbeit
****    = gute grundlagenwissenschaftliche Arbeit/klinische Studie/Übersichtsarbeit
***    = geringer Neuheitswert oder nur für Spezialisten geeignet
**    = weniger interessant, leichte formale oder methodische Mängel
*    = erhebliche Mängel

 

NIMA_1-2010

Bewertung: ***


Zielstellung:

In der North American Silver-Coated Endotracheal Tube (NASCENT) Studie wurde untersucht, ob der Einsatz eines silberbeschichteten, endotrachealen Tubus die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten beatmungsassoziierter Pneumonien vermindern kann.


Design:

Es handelt sich um eine prospektive randomisierte einfach-verblindete kontrollierte Studie, die an 54 nordamerikanischen Krankenhäusern von 2002 bis 2006 durchgeführt wurde. Es wurden 9417 erwachsene Patienten für die Studie gescreent. Eingeschlossen werden sollten Patienten, für die eine Intubationszeit von mehr als 24h zu erwarten war. Da¬mit wurden 2003 Patienten in 2 Arme randomisiert. Die Verum-Gruppe erhielt silberbeschichtete endotracheale Tuben und die Kontroll-Gruppe nicht-beschichtete Tuben. Primärer Endpunkt war die Inzidenz von beatmungsassoziierten Pneumonien (VAP), die mikrobiologisch (mehr als 104 koloniebildende Bakterien pro ml bronchoalveolärer Lavageflüssigkeit) gesichert wurde.


Wichtige Resultate:

Von den 2003 randomisierten Patienten blieben 1509 Patienten länger als 24 Stunden intubiert. Diese Patienten wurden in der Auswertung für den primären End¬punkt betrachtet. In der Gruppe mit silberbeschichtetem Tubus trat eine VAP bei 4,8% (37/766 Patienten; 95%-Konfidenzintervall: 3,4-6,6%) der Patienten auf. In der Kontrollgruppe mit einem konventionellem Tubus wurde ein VAP bei 7,5% (56/743; 95%-Konfi¬denzintervall: 5,7-9,7%) diagnostiziert. Der Unterschied zwischen den beiden Gruppen ist statistisch signifikant (p=0,03). Wenn man alle intubierten Patienten betrachtet, also auch die, die weniger als 24 Stunden intubiert waren, bleibt der Unterschied signifikant (p=0,04). Die relative Reduktion des Risikos eine VAP mit einem silberbeschichteten Tubus lag bei 34,2% (95%-Konfidenzintervall: 3,6-69 Prozent). Um bei einem Patienten eine Pneumonie zu verhindern, müssten 37 Patienten mit einem silberbeschichteten Tubus behandelt werden (number needed to treat 37; 95%-Konfidenzintervall: 3,6-69 Prozent). Der Einsatz eines silberbeschichteten Tubus verzögerte auch die Dauer bis zum Auftreten einer VAP. Er hatte aber keinen Einfluss auf die Gesamtdauer der Intubation sowie die Liegezeiten auf der Intensivstation bzw. im Krankenhaus. Ebenso konnte weder die Letalität noch die Häufigkeit und Schweregrad von Komplikationen reduziert werden. Unerwünschte Ereignisse traten ohne signifikanten Unterschied zwischen beiden Gruppen selten auf.


Schlussfolgerungen:

Durch den Einsatz von silberbeschichteten endotrachealen Tuben können beatmungs-assoziierte Pneumonien effektiv und nebenwirkungsfrei verhindert werden. Neben den Standardmaßnahmen zur VAP-Prävention handelt es sich damit um den ersten erfolgreichen Interventionsansatz zur Verhinderung beatmungsassoziierte Pneumonien. Im Gegensatz zu den Standardmaßnahmen ist der Einsatz von silberbeschichteten Tuben einfacher und unabhängig von der Umsetzung durch das ärztliche und Pflegepersonal.


Kommentar:

Beatmungsassoziierte Pneumonien (Ventilator-assoziierte Pneumonien: VAP) treten entsprechend großer Datenbanken von Intensivpatienten in ca. 15% aller invasiv beatmeter Patienten auf, zumeist innerhalb der ersten 10 Tage nach Intubation. VAP sind mit einer verlängerten Intubationsdauer sowie einem längerem Aufenthalt auf der Intensivstation und im Krankenhaus verbunden. Die VAP ist für die Hälfte aller Antibiotikaverschreibungen auf der Intensivstationen verantwortlich, was jedoch nicht verhindern kann, dass die Letalität und Morbidität der Patienten erhöht, die Behandlungsdauer auf der Intensivstation und im Krankenhaus verlängert und damit deutlich höheren Kosten entstehen. Zudem sind Infektionen mit multiresistenten Keimen signifikant häufiger bei einer VAP als bei nicht beatmungsassoziierten nosokomialen Pneumonien.

In der Praxis werden zur VAP-Prävention eine Vielzahl von Maßnahmen eingesetzt, die das Aspirations- und Pathogen-Kolonisationsrisiko mindern sollen. Dazu gehören u.a. die Oberkörperhochlagerung mit einem Winkel von etwa 30°, die den endogenen Infektionsweg aus dem Magen verhindern kann. Der exogene Infektionsweg wird u.a. durch die strikte Händehygiene bei jeder Manipulation am Beatmungssystem präventiv angegangen. Des weiteren werden Beatmungsfilter verwendet, regelmäßig Wasserfallen entleert, der Druck des Tubus-Cuffs regelmäßige überprüft, Hygienemaßnahmen bei Absaugen beachtet, die routinemäßiger Stressulkusprophylaxe vermieden, etc. Nichtsdestotrotz bleibt die VAP-Inzidenz hoch. Die vorliegende Arbeit setzt an einem anderen Punkt unserer pathophysiologischen Vorstellung zur VAP an. Da Silber eine breite antimikrobielle Wirkung hat und man davon ausgeht, dass sich eine bakterielle Besiedlung des Tubus mit einem festen Biofilm während der maschinellen Beatmung bilden kann, der auch bei optimaler Hygiene nicht effektiv verhindert geschweige denn beseitigt werden kann, erscheint der Einsatz silberbeschichteter Tuben sinnvoll.

Die NASCENT Studie ist im Design und der Durchführung eine hervorragende Studie, ob¬wohl sie nur einfach verblindet durchgeführt werden konnte. Die Diagnose der VAP erfolgte auf mikrobiologischer Basis und damit auf dem saubersten diagnostischen Kriterium. Die große Patientenzahl, eingeschlossen in mehr als 50 nordamerikanischen Zentren stellt sicher, dass bezüglich der Standardtherapie beatmeter Patienten eine repräsentatives Patientenkollektiv eingeschlossen wurde. Insbesondere wurden auch nicht die Präventionsmaßnahmen in den einzelnen Einrichtungen im Rahmen der Studie vereinheitlicht. Silberbeschichtete Tuben verhindern damit über die Standardpräventionsmaßnahmen hinaus signifikant beatmungsassoziierte Pneumonien. Basierend auf der NASCENT Studie müssten 37 Patienten mit einem silberbeschichteten Tubus behandelt werden (number needed to treat; NNT), um eine Pneumonie zu verhindern. Diese vergleichsweise hohe NNT liegt vor allem an der relativ geringen VAP-Inzidenz in dieser Studie, die in der Vergleichsgruppe bei 7.5% lag. Gründe für die niedrige VAP-Inzidenz liegen wahrscheinlich im harten mikrobiologische Kriterium für die Diagnosestellung sowie in der gesteigerten Aufmerksamkeit und damit besseren Umsetzung von Standardmaßnahmen zur VAP-Prävention.

Auf den ersten Blick überraschend ist, dass trotz der signifikanten Verhinderung beatmungsassoziierter Pneumonien durch silberbeschichtete Tuben keine Verminderung der Letalität nachgewiesen werden konnte. Allerdings zeigt NASCENT im Gegensatz zu vielen anderen VAP-Studien auch keine höhere Letalität der Patienten mit VAP (26,9% vs 28,7%; p=0.71). Insgesamt war die Letalität in der mit silberbeschichteten Tuben behandelten Gruppe mit 30,4% im Trend höher als in der Standardtherapie-Gruppe (26,6%; p=0.11). Hierbei muss allerdings berücksichtigt werden, dass eine Vielzahl anderer Faktoren einen Einfluss auf die Letalität der in der Regel schwer kranken Patienten haben, für die in dieser Studie keine Stratifizierung erfolgen konnte. Damit bleibt aber auch der Nachweis eines signifikanten Effekts auf das Outcome trotz der Verhinderung von beatmungsassoziierten Pneumonien durch die silberbeschichteten Tuben aus.
Nichtsdestotrotz belegt diese Studie, dass mit silberbeschichteten Tuben auf einem ver¬gleichsweise einfachen Weg Pneumonien verhindert werden können, vor allem auch solche, die durch hoch-resistente Keime ausgelöst werden. Resistenzentwicklungen gegen Silber sind sehr selten und Silber wird vom Menschen gut vertragen. Abgesehen davon, dass weniger invasiv beatmete Patienten Pneumonien durch Einsatz dieser Tuben erleiden würden, müssten vermutlich auch Antibiotika seltener eingesetzt werden. Vor dem Hintergrund steigender Häufigkeiten von Antibiotika-resistenten Keimen auf den Intensivstationen wäre dies alleine ein positiver Effekt, der natürlich auch ökonomisch relevant wäre. An dieser Stelle habe ich dann auch meine Hauptkritik an der NASCENT Studie. So wahrscheinlich ein geringerer Verbrauch an Antibiotika in der Behandlungs-Gruppe auch ist, untersucht haben die Autoren diesen nicht.

Für die Praxis ist in Ergänzung der Standardpräventionsmaßnahmen der Einsatz von silberbeschichteten Tuben zu empfehlen, insbesondere bei Hochrisikopatienten für beatmungsassoziierte Pneumonien. Dazu gehören vor allem auch Patienten neurologischer Intensivstationen mit akutem ZNS-Schaden und vorhersehbar langer Beatmungszeit.


(A. Meisel)