Am 10. April wurde die wegweisende Studie "Trial of Early Minimally Invasive Removal of Intracerebral Hemorrhage" (ENRICH) im New England Journal of Medicine publiziert, welche erstmals in einem großen, prospektiven randomisierten, multizentrischen Studiendesign einen Nutzen für eine minimal invasive neurochirurgische Entlastung bei Patient:innen mit intrazerebaler Blutung (ICB)  im Vergleich zu einer konservativen medizinischen Behandlung zeigen konnte. Die Ergebnisse der Studie waren bereits beim ESOC im Mai 2023 präsentiert und mit Standing Ovations bedacht worden.

An 37 US-amerikanischen Zentren wurden zwischen dem 1. Dezember 2016 und 24. August 2022 insgesamt 300 Patient:innen mit ICB innerhalb von 24 Stunden entweder einer minimal invasiven chirurgischen Entfernung des Hämatoms plus leitlinienbasierter medizinischer Behandlung (Operationsgruppe) zugeordnet oder erhielten eine medizinische „Standardbehandlung“ (Kontrollgruppe). Einschlusskriterien waren u.a. ein Hämatomvolumen von 30 bis 80 ml, eine ICB-Lokalisation in den anterioren Basalganglien oder lobär sowie die mögliche Randomisierung und Behandlung innerhalb von 24 Stunden. Die chirurgische Behandlung erfolgte mittels kombinierter Aspiration und Fragmentierung des Hämatoms.

Die intrazerebralen Blutungen waren in 30,7% in den anterioren Basalganglien lokalisiert, 69,3% wurden als lobäre Blutungen definiert. Das Outcome wurde mittels der nutzengewichteten modifizierten Rankin-Skala (UW-mRS-Score) beurteilt, welche das Ausmaß der neurologischen Einschränkungen zwischen 0 und 1 quantifiziert, wobei höhere Werte für eine geringeres Ausmaß der Defizite sprechen und bereits ab einem Unterschied von 0,03 ein klinischer Nutzen vorliegt. Beim primären Endpunkt nach 180 Tagen betrug der UW-mRS-Score 0,458 in der Operationsgruppe und 0,374 in der Kontrollgruppe, was einem signifikanten Unterschied entsprach mit einer Überlegenheitswahrscheinlichkeit von ≥ 0,975. Dieser insgesamt gesehene positive Effekt konnte auf einen deutlichen Nutzen der Operation bei Patienten mit lobären Blutungen zurückgeführt werden (Mittelwertdifferenz 0,127), während bei den Basalganglien-Blutungen kein Vorteil der Operation erkennbar war (Mittelwertdifferenz -0,013). Die Sterblichkeitsrate nach 30 Tagen war in der Operationsgruppe niedriger (9,3% vs. 18,0%). Postoperative Nachblutungen und neurologische Verschlechterungen traten bei 3,3% der operierten Patienten auf.

"Diese Studie ist ein Meilenstein für die notfallmedizinische Versorgung von Patient:innen mit lobärer ICB und liefert uns endlich eine Entscheidungsgrundlage, die entsprechend bestmögliche Behandlung zu wählen", so Prof. Dr. med. Matthias Klein, 2. Vizepräsident der DGNI.

"Diese Studie ist ein großer Erfolg für die Neurofächer; der positive Nachweis der operativen Entlastung von lobären ICB ist der hervorragenden Strukturierung, der klaren Randomisierung sowie den strengen Ein- und Ausschlusskriterien zu verdanken, auch wenn dies dazu geführt hat, dass von 11.303 Patient:innen im Screening lediglich 300 Patient:innen erfolgreich in die Studie eingeschlossen wurden. Die Anwendung der Bayesianischen Statistik für die Auswertung unterstützt ebenfalls eine präzise Abschätzung der Behandlungseffekte und erhöht die Glaubwürdigkeit der Studie" lautet das Fazit von Prof. Dr. med. Patrick Czorlich, Beisitzer im Präsidium der DGNI.

Auch Prof. Dr. med. Julian Bösel, 1. Vizepräsident der DGNI und diesjähriger Präsident der ANIM ist von den Studienergebnissen begeistert: "Die erste, positive randomisierte Studie einer neurochirurgischen Behandlung von lobären ICBs, welche höchstrangig publiziert werden konnte. Wir können gespannt sein auf die Ergebnisse weiterer aktuell laufender Studien zu diesem Thema, wie die Studien DIST, EMINENT-ICH oder EVACUATE, aber auch auf andere operative Ansätze wie die Dekompression (SWITCH-Studie). Insgesamt, kombiniert mit den kürzlich positiven Ergebnissen für u.a. Maßnahmen in Richtung Blutdruckeinstellung und Antagonisierung der Antikoagulation, macht dies Hoffnung darauf, auch den hämorrhagischen Schlaganfall bald ähnlich rasch, konkret und protokollbasiert behandeln zu können wie den ischämischen".

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