Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Photo by Helios Amper-Klinikum Dachau

„Danke, dass Sie sich so gut um ihn kümmern. Wie soll es jetzt mit ihm weitergehen? Wir können uns nicht um ihn kümmern. Wir sind alle berufstätig.“ Jedem von uns dürften diese Gespräche mit Angehörigen bekannt sein. Immer mehr ältere Menschen leben alleine, bzw. zum Teil mit ihren Partnern selbständig und sind in guter geistiger und körperlicher Verfassung. Das ist natürlich uneingeschränkt positiv zu sehen und zum Teil sicher auch ein Erfolg der modernen Medizin und der Vorsorgemaßnahmen. Andere Senioren leben in der häuslichen Umgebung mit Unterstützung durch professionelle Pflege oft über längere Zeit stabil und mobil.

Das Versorgungsproblem beginnt dann, wenn eine Verschlechterung des Gesundheitszustands eintritt und der ältere Mensch zum Patienten wird. Das Volumen der Alterstraumatologie und der Neurogeriatrie nimmt zu. Und sei es auch nur eine „Kleinigkeit“ wie z.B. eine infektbedingte Elektrolytentgleisung, eine Fraktur oder ein „kleiner Schlaganfall“. Selbst der biologisch überdurchschnittlich fitte ältere Mensch erreicht dann sehr schnell sein kalendarisches Alter. Eine fragile häusliche Versorgungssituation bricht dann zusammen.

Was hat das mit der Situation in den Krankenhäusern zu tun? Der überwiegende Anteil dieser Patienten erhält nach wenigen Tagen keine Diagnostik oder Therapie mehr, kann aber nicht entlassen werden, weil „es zuhause nicht mehr geht“. Die Patienten werden zu pflegeintensiven Dauerliegern, manche mit, die meisten aber mit allenfalls sehr geringem Reha-Potenzial. Die häusliche Versorgung wird von den Angehörigen aus den verschiedensten Gründen abgelehnt, ein Platz in einem Pflegeheim ist auf absehbare Zeit nicht in Aussicht. Eine Schnellanalyse in der eigenen Klinik zeigt, dass der Anteil diese Patienten an der Stationsbelegung bisweilen bis zur Hälfte ansteigt. Tendenz bei bekannter Alterung der Bevölkerung zunehmend.

Was hat das nun mit der Intensiv- und Notfallmedizin zu tun, für die unsere Gesellschaft steht? Die Ressourcen sind knapp, immer häufiger müssen wegen Personalmangel Betten geschlossen werden, Intensivstationen, Stroke Units oder sogar ganze Kliniken aus der Notfallversorgung abgemeldet werden. Eine Überbelegung der Normalstationen führt zu einem Rückstau auf Überwachungseinheiten und Intensivstationen. Für die Versorgung kritisch kranker Patienten muss aber immer ein Platz sein, es muss eine 24/7 Aufnahmebereitschaft bestehen. Das gilt für Intensivpatienten ebenso wie für Schlaganfälle auf den Stroke Units.

Wie kann dieses Problem gelöst werden? Die Politik scheint es offensichtlich nicht anzugehen, möglicherweise ist es zu groß. Auf jeden Fall überschreitet es eine Legislaturperiode. Auch das könnte ein Hinderungsgrund sein, denn es übersteigt damit den Planungshorizont von Politikerinnen und Politikern. Die kommende Krankenhausreform wird dieses Versorgungsproblem nicht bessern, eher noch aggravieren, wenn sich die Zahl der Krankenhausbetten durch natürliche Auslese möglicherweise weiter reduzieren wird.

Zwar gibt es die Möglichkeit, für die Pflege und Betreuung von Angehörigen Sonderurlaub zu nehmen, die Grundlage hat der Gesetzgeber schon lange geschaffen. Davon wird aber nur in den seltensten Fällen Gebrauch gemacht. Es könnte erwogen werden, dieses Angebot zur Pflicht zu machen, anderenfalls eine entsprechend hohe und empfindliche finanzielle Beteiligung für die Pflege dieser Patientinnen und Patienten in den Akutkliniken einzuführen. Alternativ müssten die Pflegeplätze deutlich ausgeweitet werden um einen zeitgerechten Abstrom dieser Patienten aus den Akutkliniken zu garantieren. Es ist jedenfalls nicht Aufgabe der Akutkliniken, Patienten zu versorgen, die keinerlei Diagnostik oder Therapie mehr erhalten. Die Krankenkassen werden auch nach einer Änderung des Erlössystems größtenteils durch Vorhaltepauschalen kein aktiver Partner für die Lösung dieses Problems werden, für sie macht es auch weiterhin keinen Unterschied, ob ein Patient nach 5 Tagen oder nach 20 Tagen die Akutklinik verlässt. Dies ist ein Aufruf an die Politik. Es handelt sich um ein Problem, das demographisch gesehen mit den „Baby Boomern“ in den nächsten Jahren weiter deutlich zunehmen wird.

Beste Grüße
Thomas Westermaier