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Von Prof. Dr. med. Thomas Westermaier 

Die NeuroIntensiv- und Notfallmedizin ist ein sehr facettenreiches Fachgebiet. Im Vordergrund der wissenschaftlichen Aktivitäten stehen traditionellerweise zerebrale Erkrankungen, insbesondere Schlaganfälle, Subarachnoidalblutungen und Schädel-Hirn-Traumata. Der akute Rückenmarkschaden war bis jetzt ein eher weniger beleuchtetes Teilgebiet unseres Faches. Klinische Standards beziehen sich deshalb eher auf ältere Literatur. So wird unter einer chirurgischen Frühversorgung im Allgemeinen eine Operation innerhalb von 24 Stunden nach der Verletzung verstanden. Dies basiert auf zum Teil Jahrzehnte alten Studien. Erst in den letzten Jahren wird eine weit frühere Versorgung diskutiert und könnte tatsächlich einen Benefit für die betroffenen Patienten bieten (1). In die klinischen Leitlinien oder Metaanalysen ist dieser Sachverhalt jedoch noch nicht eingegangen. Ähnliches gilt für die Aspekte wie die spinale Druckentlastung über Liquordrainage oder für die Perfusion des Rückenmarks nach akuter Rückenmarksverletzung. 

Hier setzt die Studie von LaRiccia et al. an, die retrospektiv den Effekt einer Erhöhung des arteriellen Blutdrucks und somit des spinalen Perfusionsdrucks im Sinne einer Hyperperfusionstherapie auf die neurologische Erholung der betroffenen Patienten untersuchte. Es handelt sich um eine retrospektive single-center Studie, in die Patienten mit nicht penetrierendem Rückenmarktrauma eingeschlossen wurden. Die Studie wurde im Juli 2023 im Journal of Spinal Cord Medicine publiziert (2). 96 Patienten erhielten eine aktive Hyperperfusionstherapie nach stumpfem Rückenmarkschaden. Die Patienten wurden in klinische Outcome-Gruppen stratifiziert (neurologische Verbesserung vs. keine neurologische Verbesserung). Das Ansprechen auf die Hyperperfusionstherapie insbesondere in den ersten 12 Stunden korrelierte signifikant mit der Tendenz zur neurologischen Erholung. Ähnliches, aber in abgeschwächter Wirkung, galt für die Zeit zwischen 12 und 24 Stunden nach dem Trauma. Die Studie gibt einen Hinweis darauf, dass, ähnlich wie beim Schädel-Hirn-Trauma, die Aufrechterhaltung eines stabilen Blutdrucks und Induktion einer Hyperperfusionstherapie, möglicherweise über die stabile Perfusion einer periläsionalen Penumbra, eine Besserung des neurologischen Outcomes herbeiführen kann.

Hier könnte einer von mehreren möglichen Therapieansätzen sein. Weitere diesbezügliche Behandlungsmethoden sind z.B. die Liquordrainage zur Verbesserung des Perfusionsdrucks über eine Reduktion des intraspinalen Drucks oder eine chirurgische Dekompression mit Laminektomie und Eröffnung der Dura mater oder rheologische Maßnahmen. Diese Therapiemodalitäten wurden in einem kürzlich in Neurology publizierten systematischen Review untersucht (3). Wie eingangs angedeutet, scheint es sich um einen in der Literatur unterrepräsentierten Sachverhalt zu handeln. Nur wenige Studien konnten für die Auswertung herangezogen werden, insgesamt besteht ein sehr niedriges Evidenzniveau. Während die Aufrechterhaltung eines stabilen Blutdrucks durchaus untersucht ist und in den Handlungsempfehlungen berücksichtigt wurde, besteht für die aktive Hyperperfusion oder andere Interventionen keine klare Evidenz. Hier sehen die Autoren der Metaanalyse den dringenden Bedarf für weitere klinische Studien.

(1) Early Decompression (<8 Hours) Improves Functional Bladder Outcome and Mobility After Traumatic Thoracic Spinal Cord Injury. Wutte C, Becker J, Klein B, Mach O, Panzer S, Stuby FM, Strowitzki M, Maier D, Thomé C, Grassner L. World Neurosurg. 2020 Feb;134:e847-e854.

(2) Mean arterial pressure (MAP) augmentation in traumatic spinal cord injuries: Early hyperperfusion treatment influences neurologic outcomes. LaRiccia AK, Sperwer K, Lieber ML, Spalding MC, J Spinal Cord Med. 2023 Jul 10:1-8.

(3) Multimodal interventions to optimize spinal cord perfusion in patients with acute traumatic spinal cord injuries: a systematic review. Weber-Levine C, Judy BF, Hersh AM, Awosika T, Tsehay Y, Kim T, Chara A, Theodore N.J Neurosurg Spine. 2022 Jun 3:1-11.

Autorenkontakt:
Prof. Dr. med. Thomas Westermaier, Dachau
Präsident der DGNI
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