Lawson McLeanAnna Lawson McLean: Meinung zur Berufspolitik Neurowissenschaften

Dass es einen Frauenanteil von zwei Dritteln unter den Medizinstudierenden gibt und dass sich dies nicht unbedingt in der Ausbildung und in Leitungspositionen fortsetzt, ist mittlerweile wohl bekannt in der deutschen Ärzteschaft. Es war wohl auch eine gefühlte Wahrheit, dass dies insbesondere auf die Neurochirurgie zutrifft, belegbare Zahlen gab es jedoch nur bedingt. In der Arbeit von Forster et al. konnten wir im letzten Jahr darstellen, dass wir in der Neurochirurgie Frauen nur in 9 Prozent der Leitungspositionen finden. [1] Inhaberinnen von W3-Professuren (Klinikdirektorinnen) gibt es momentan nur an zwei Standorten.

Die Frage ist, wie man es schafft, mehr Kolleginnen zu fördern und bei entsprechender Qualifikation in leitenden Positionen aufzustellen. Wahrscheinlich muss es Neuerungen auf drei Ebenen geben: der beruflichen Ebene, der sozialen Ebene und der persönlichen Ebene.

In Bezug auf die berufliche Ebene hat sich in den letzten Jahren bereits einiges getan. 35 Prozent der neurochirurgischen Assistenzärzt:innen sind Frauen. Das allein verändert die Wahrnehmung und den Umgang miteinander. Einschlägige Publikationen haben das Thema aufs Tableau gebracht [1-3] und aus der DGNC heraus konnten wir die Kommission „Frauen in der Neurochirurgie - offen für alle“ gründen. Unter anderem von dieser Kommission, aber auch von weiteren Seiten werden aktuell verschiedene Mentoring- und Leadership-Programme entwickelt, in denen junge Leistungsträger:innen gefördert werden. Die Mentoring und Leadership-Programme sollen bewusst für Menschen jeden Geschlechts und Hintergrundes offen sein: auf der Website der NOA wird z.B. die Initiative Diversity in Neurooncology vorgestellt und vom Dandy Neurosurgical Club gibt es ein neues Mentoring-Programm. Gezielte Stipendien und Förderungsprogramme sollen zudem vor allem Frauen fördern.

Die soziale Ebene ist weitläufig und schwerfällig. Die Gender Pay Gap liegt aktuell in der Ärzteschaft bei knapp 30 Prozent. [4] Auch sind verschiedene Stereotypen in der Bevölkerung weiterhin verankert. Aus diesem Grund ist es wichtig, Vorurteile aufzubrechen und eine ehrliche Gleichberechtigung zu normalisieren. Dazu gehört gleiche Bezahlung für gleiche Leistung. Außerdem sollte es im Sinne aller Beschäftigter möglich sein, die Ausbildung mit verschiedenen Lebensmodellen, wie zum Beispiel die Gründung einer Familie, verbinden zu können. Ein Knackpunkt sind hierbei Schwangerschaft und Elternzeit. Operieren während der Schwangerschaft ist unter bestimmten Bedingungen unkompliziert möglich. Nur häufig sind sich Ärztinnen und Arbeitgeber in Bezug auf die rechtliche Lage unsicher. Hier kann OPIDS (Akronym für Operieren in der Schwangerschaft) unter www.opids.de weiterhelfen. Derzeit wird an einer Leitlinie für Neurochirurginnen gearbeitet. In der Elternschaft später sollte eine ehrliche Gleichberechtigung möglich sein, will heißen, dass jeder Elternteil so viel Zeit mit den Kindern verbringen darf, wie er oder sie möchte. Das bedeutet die Entstigmatisierung von Männern in Elternzeit (auch hier gibt es scharfe Repressalien) und gegebenenfalls eine bessere Vergütung der Elternzeit, da oft aus finanziellen Gründen der schlechter verdienende Elternteil länger zu Hause bleibt (statistisch gesehen zumeist Frauen, siehe Gender Pay Gap). Weiterhin zählen zu diesem Aspekt auch Teilzeitbeschäftigung und die Öffnungszeiten von Kinderbetreuungsstätten. Gerade für medizinische Angestellte sollte eine 24-Stunden (Notfall-)Betreuung für Kinder möglich sein. Leider wird momentan noch nicht einmal bei den jährlichen Kongressen der DGNC eine Kinderbetreuung angeboten. Für nächstes Jahr plant die Kommission „Frauen in der Neurochirurgie - offen für alle“, eine solche Kinderbetreuung einzuführen.

Glücklicherweise kann jede und jeder selbst die Gleichberechtigung voranbringen. Der erste Schritt ist wie gewöhnlich die Selbsterkenntnis. Unter implicit.harvard.edu/implicit/germany/ können Sie Ihre eigenen Vorurteile einmal testen. Im nächsten Schritt müssen wir es schaffen, Stereotypen zu überwinden und gesellschaftliche Strukturen zu normalisieren, die unseren Idealen von Gleichberechtigung entsprechen. Hier kommt es immer wieder auch auf den persönlichen Mut und die persönliche Durchsetzungskraft an – beides Persönlichkeitsmerkmale, die sich durchaus mit dem neurochirurgischen Ideal verbinden lassen.

Wir befinden uns aktuell in einer hochinteressanten Phase, in der eine Gleichberechtigung durchaus erreichbar ist. Es wird von der Courage jeder und jedes Einzelnen abhängen, welche Ziele wir erreichen können.

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[1] Forster MT, Behrens M, Lawson McLean AC, Nistor-Gallo DI, Weiss M, Maurer S. Gender disparity in German neurosurgery. J Neurosurg. 2021 Sep 10;136(4):1141-1146.

[2] Lawson McLean A. Women in German Neurosurgery: Status and Representation at Annual National Meetings. Acta Neurochir (Wien). 2020 Feb;162(2):231-236. 

[3] Wolfert C, Rohde V, Mielke D, Hernández-Durán S. Female Neurosurgeons in Europe-On a Prevailing Glass Ceiling. World Neurosurg. 2019 Sep;129:460-466.

[4] Aerzteblatt: Gender Pay Gap in der Medizin (Accessed on 11 July 2022)

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