Präsidentensymposium mit Prof. Dr. Christian Karagiannidis und Prof. Dr. Helge Braun: „Intensivmedizin in der COVID-Pandemie“ und „Politische Entscheidungen in der Corona-Krise“

Kanzleramtschef Helge BraunMit Spannung wurde das Präsidentenkolloquium erwartet, das mit Prof. Dr. Christian Karagiannidis, Köln, der das DIVI-Intensivbettenregister mit aufgebaut hat, und dem Chef des Bundeskanzleramtes Prof. Dr. Helge Braun, Berlin, hochkarätig besetzt war: „Wir haben als Hauptthema die COVID-Pandemie und ich bin froh, besonders exponierte Referenten für Vorträge gewinnen konnten“, so einleitend Prof. Dr. Eberhard Uhl, der das Thema als Kongresspräsident traditionell persönlich gesetzt hatte.

Welche immense Herausforderung eine bundesweite Registrierung von tagesaktuell freien Intensivbetten in Zeiten einer sich entwickelnden Pandemie mit unwägbarem Ausgang tatsächlich bedeutet, wird wohl kaum jemand in der ganzen Bandbreite erfassen. Prof. Dr. Karagiannidis gab einen Einblick, wie es trotzdem gelingen konnte, dies innerhalb kürzester Zeit auf die Beine zu stellen – in einem föderalistischen System mit all den verschiedenen Bestimmungen und Vorschriften, im ständigen Kontakt mit unterschiedlich strukturierten Kliniken und Krankenhausträgern. Unterstützt von Prof. Dr. Stefan Kluge, Direktor der Klinik für Intensivmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, in enger Zusammenarbeit mit dem RKI und, wie Prof. Karagiannidis betonte, gab es einen herausragenden Einsatz vieler Mitarbeiter der Intensivstationen während der ersten Welle, wie er es noch nie zuvor erlebt habe.

Prof. Dr. Christian KaragiannidisDabei sei COVID-19 extrem unangenehm zu behandeln, die Behandlung dauert zudem sehr lang. Bei diesem schwierigen Krankenbild habe die Zentrierung in Deutschland auf die großen Kliniken - 70% der COVID-19 Patienten werden in 25 % der Krankenhäuser behandelt – zu den im internationalen Vergleich guten Ergebnissen geführt. Doch COVID-19 habe auch Defizite aufgezeigt, wie zum Beispiel Engpässe und Schwierigkeiten bei der Beschaffung der Schutzausrüstung in den Kliniken. Und wie eine aktuell durchgeführte bundesweite Umfrage verdeutlichte, ist von der hohen Motivation der Pflegekräfte während der ersten Corona-Welle wenig übriggeblieben, ein Großteil der Befragten zeigte sich zunehmend frustriert.
Es gibt immer noch große Probleme, die noch lange nicht gelöst sind. Doch das „Register von Kliniken für Kliniken“ entstand aus eigener Kraft, aus den Fachgesellschaften heraus. In enger Zusammenarbeit mit dem RKI wurde ein Register aus den Zeiten von H1N1 weiterentwickelt, so dass erstmalig eine vollständige Abbildung von Intensivstationen in Deutschland vorliegt: transparent, für alle einsehbar, unabhängig von kommerziellen Interessen. Voraussetzung dafür war der hohe persönliche Einsatz und ehrenamtliche Tätigkeit. Wo gibt es Intensivbetten? Wie sind sie belegt? Und wie hoch ist die Notfallreserve? Das sind entscheidende Informationen, damit keine Versorgungsengpässe auftreten. Damit habe Deutschland etwas in der Hinterhand wie im weltweiten Vergleich kein anderes Land. Das Monitoring sei inzwischen exzellent, freie Bettplätze auf der Intensivstation mit Technik und Personal zum Zeitpunkt der Meldung jederzeit abrufbar. Ein nächster Schritt sei perspektivisch ein weiterer Ausbau des Registers. In Zusammenarbeit mit den Fachgesellschaften könnten dann bundesweit Weaning- und Neurorehabetten ausgewiesen werden. Doch das braucht weiteres Engagement und liegt noch in der Zukunft.

Unter dem Titel „Politische Entscheidungen in der Corona-Krise“ gab Prof. Dr. Gert Helge Braun, Berlin, Einblicke in aktuelle Diskussionen und Perspektiven. Mit dem Rekurs auf die große Unterstützung der Bevölkerung während der ersten COVID-19 Welle, dem breit mitgetragenen Lockdown und den daraufhin monatelangen niedrigen Infektionszahlen, stellte der Kanzleramtschef die Überwindung der Krise in Aussicht. Die Daten der letzten Tage zeigten schon in die richtige Richtung. Mit der Zulassung weiterer Impfstoffe steige die Chance, dass die Bevölkerung in den nächsten Monaten immer mehr geschützt werden könnte.

Damit sich die Einzelnen wieder infektionsvermeidend verhalten, müssten sie vor allem wieder das nötige Vertrauen aufbauen wie bei der ersten Corona-Welle. Dabei seien aber auch die Fachgesellschaften gefragt, indem die Probleme in den Kliniken öffentlich gemacht würden. Von größter Bedeutung sei es, dass auch die Ärzteschaft mithilft, dass Deutschland durch die Krise kommt. Der schon von Prof. Dr. Karagiannidis angesprochene „runde Tisch“, in dem die drängenden Probleme angesprochen würden, solle dann im Anschluss an die Krise zustande kommen.

Kongresspräsident Prof. Dr. Eberhard UhlAngesichts der mehrfach angesprochenen enormen körperlichen und psychischen Belastung des Klinikpersonals während der COVID-19 Pandemie ergriff Prof. Dr. Uhl die Gelegenheit zur Nachfrage nach konkreten Lösungen. Konfrontiert mit der Vorstellung, dass Berufe im Krankenhaus Lebensarbeitsplätze sein sollten und jahrzehntelange Schichtdienste kaum mit der Forderung junger Menschen nach Work-Life-Balance zu vereinbaren seien, verwies Helge Braun auf die Besprechung der Wissenschaftsministerkonferenz, in der die Finanzierung der Pflege besprochen werde. Das Problem sei erkannt, es werde unter Hochdruck daran gearbeitet und Ostern werde man mehr wissen. Bis dahin stehe die Überwindung von COVID-19 im Vordergrund. Zum Abschluss gibt sich der Kanzerlamtschef optimistisch: „Nach einem schwierigen Winter und Frühjahr können wir im Sommer die Pandemie überwinden“.

Wenn die Ausnahme zur Regel wird – Schädel-Hirn-Trauma im demographischen Wandel

Dr. med. Alexander YounsiDas Schädel-Hirn-Trauma (SHT) betrifft längst nicht mehr nur die Jungen! Im Rahmen der Sitzung zum „Schädel-Hirn-Trauma bei älteren Patienten – von der Ausnahme zum Regelfall“ beschrieb Dr. med. Alexander Younsi, Heidelberg, das SHT als Erkrankung im demographischen Wandel: Der Anteil der Älteren in der Bevölkerung steigt seit Jahren. In der Folge ist bei den über 65-Jährigen SHT-Patienten ein deutlicher Zuwachs zu verzeichnen. Auch die Ursachen haben sich gewandelt. Stellte noch vor 30 Jahren der Verkehrsunfall die häufigste Ursache für ein Schädel-Hirn-Trauma mit tödlichen Folgen dar, sind es heute überwiegend häusliche Stürze, die zu Verletzungen führen. Und weil die Alterung der Bevölkerung weiter voranschreitet, ist die Prognose leicht gestellt: „Das SHT bei Älteren ist im Kommen und wird uns beschäftigen“, so Younsi. Zugleich bringe die Behandlung beim älteren oder gebrechlichen, häufig vorerkrankten Patienten neue Herausforderungen mit sich. Die Einnahme von Blutverdünnern erhöhe die Inzidenz für Blutungen und so auch bei leichten SHTs das Risiko zu versterben. Vorerkrankungen verschlechtern das Behandlungsergebnis und machten häufiger erneute Eingriffe binnen 30 Tagen notwendig. Gleichwohl, betonte Younsi, stelle das SHT beim älteren Patienten kein schicksalhaftes Urteil dar. Die Behandlung müsse angepasst werden.

Dr. med. Nicole TerpolilliDr. med. Nicole Terpolilli, München, ging in ihrem Beitrag näher auf die Therapie erschwerende Faktoren beim betagten Patienten ein: auf die eingeschränkte Aussagekraft von Prognosescores etwa oder auf pathophysiologische Faktoren, die die Wirksamkeit etablierter Behandlungsstrategien vermindern. Generell hätten ältere Patienten ein schlechteres Outcome auch bei „leichtem“ SHT, müssten länger im Krankenhaus behandelt werden, verkrafteten aggressive wie invasive Therapien schlechter als junge und erhielten seltener eine Neurorehabilitation. Auch zeigten Rehamaßnahmen weniger Erfolg. Die Letalität erhöhe sich – je nach Studie – um das Zwei- bis Fünffache, so Terpolilli, und das Risiko steige bei den über 75-Jährigen im Vergleich zu den 65- bis 74-Jährigen noch einmal signifikant an. Dass Studien Patienten über 60 oder 65 Jahre nicht mehr einschließen, verstärkt die Herausforderung der Behandlungsstrategie: Es gibt keine Daten, auf die man sich stützen könnte. Damit das schlechte Outcome nicht zur selbsterfüllenden Prophezeiung wird, bedürfte es unter anderem, wie Terpolilli betont, einer individualisierten Prognose-Einschätzung, einer zügigen Diagnostik – aber auch einer besseren Berücksichtigung in künftigen Studien.