Gegenwärtig steht allerdings der ökonomische Gesichtspunkt sehr viel mehr im Vordergrund. Anders als etwa bei der Etablierung der Stroke Units, bei denen die neurologische Kernkompetenz zur Etablierung von Strukturmerkmalen und entsprechenden Abrechnungsmodalitäten geführt hat, ist die Entwicklung bei der Intensivmedizin umgekehrt. Hier haben die Kostenträger in den letzten Jahren die Strukturvoraussetzungen vorgegeben, ohne dass die Fachgesellschaften hier rechtzeitig die Initiative ergriffen und, wie im Beispiel Stroke Unit, durch die Erarbeitung und vor allem Etablierung von Qualitätsindikatoren nachfolgend die Verbesserung der Strukturqualität durch die Kostenträger eingefordert und erreicht hätten. Bis heute war bei der Intensivmedizin die Entwicklung leider umgekehrt, erst kamen die Vorgaben der Kostenträger und dann die Qualitätsindikatoren der Intensivmediziner.

Für die Neurologie und die Neurochirurgie ergeben sich daraus folgende Probleme:

  1. Es fehlt eine standardisierte Weiterbildung der neurologischen und neurochirurgischen Weiterbildungsassistenten auf interdisziplinären Intensivstationen. Stattdessen wird die Tätigkeit auf Stroke Units vielerorts als Weiterbildungszeit für die neurologische Intensivmedizin anerkannt. Diese Praxis wird zu einer Reduzierung der Weiterbildungsberechtigungen in solchen Abteilungen führen, da intensivmedizinische Kenntnisse, Fertigkeiten und Fähigkeiten auf einer Stroke Unit sicher nicht vermittelt werden können.
  2. Es droht ein Verlust im akademisch-medizinischen und wirtschaftlichen Bereich durch die fehlende Einbindung der neurologischen und neurochirurgischen Fachabteilungen in die intensivmedizinische Behandlung. Betrachtet man die letzten Jahre, so sind gerade in der NeuroIntensivmedizin bahnbrechende Fortschritte erzielt worden: man denke an die mechanische Thrombektomie, die Hemikraniektomie, die Aneurysmatherapie, das Guillain-Barré-Syndrom, den Status epilepticus oder die Meningitis.

Was ist zu tun?

Der DGN-Kommission „Neurologische Intensivmedizin“ gehören Neurologen und Neurochirurgen aus verschiedenen hierarchischen ärztlichen Ebenen aus Versorgungsmedizin und Wissenschaft an. Wesentlicher Bestandteil der Kommission sind die „Jungen Neurologen“ und die „Sprecher der Neurochirurgischen Assistenten“. Dadurch versucht die Kommission einen „Bottom-up“-Ansatz umzusetzen, realistischer Weise ist der „Top-Down-Ansatz“ durch die Kostenträger bereits umgesetzt. Ziel der Kommissions-Arbeit ist die Darstellung der neurointensivmedizinischen Kernkompetenz in der Intensivmedizin allgemein. So sind Kommissionsmitglieder auch Mitglieder des DIVI-Arbeitskreises zur Etablierung von Qualitätsindikatoren in der Intensivmedizin. Ein Teil der Kommission beschäftigt sich mit der Entwicklung von deutschlandweiten Registern und klinischen Studien, z.B. über die Qualität der Prognoseabschätzung nach Herzkreislaufstillstand mit zerebraler Hypoxie.

Die Jungen Neurologen haben die Intensivmedizin als Teil ihrer Online-Selbstbewertung von Weiterbildungsstätten („Weiterbildungs-Check“) aufgenommen. Die Teilnahme hieran sei ausdrücklich empfohlen.

Die Kommissionsmitglieder verstärken die Präsenz der Neuro-Intensivmedizin auf den großen Fachkongressen, sowohl in den „Muttergesellschaften“ DGN und DGNC als auch auf den intensivmedizinischen Kongressen u.a. der DIVI und der DGAI. Die Deutsche Gesellschaft für Neurorehabilitation wird intensiver in das Programm der ANIM integriert.

Momentan zeichnet sich bei der Diagnostik des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls ein möglicher Hebel ab, über den die Neuro-Intensivmedizin als „conditio sine qua non“ ihre Kernkompetenz auch strukturell nutzen könnte. Hier sind Kommissionsmitglieder in den bundesweiten Gremien vertreten.

Bei sachlicher Betrachtung der Neuro-Intensivmedizin bieten sich große Chancen, da sie wie kaum ein anderes Fach ein Triumvirat aus Klinik, Forschung und Ökonomie darstellt. Auf der ANIM Jahrestagung 2018 in Würzburg wurde uns von den US-amerikanischen Kollegen der „Neurocritical Care Society“ sehr anschaulich vor Augen geführt, wie die Neuro-Intensivmedizin als eigenständige Spezialisierung von ganz verschiedenen Fachrichtungen als Weiterbildung wahrgenommen und sehr erfolgreich umgesetzt werden kann. Neurologen, Anästhesisten, Neurochirurgen, Internisten, Notfallmediziner  und Pädiater absolvieren dasselbe Curriculum auf großen Neuro-Intensivstationen. Vielleicht ein Modell, dass auch bei uns Zukunft hat?

Autorenkontakt:

Prof. Dr. med. Georg Gahn, M.B.A., FEAN
Direktor der Neurologischen Klinik, Städtisches Klinikum Karlsruhe
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