Rossi S, Roncati Zanier E, Mauri I, Columbo a, Stocchetti N
In: J Neurol Neurosurg Psychiatry 2001;71:448-454


BEWERTUNGSSYSTEM

*****    = hervorragende Arbeit
****    = gute grundlagenwissenschaftliche Arbeit/klinische Studie/Übersichtsarbeit
***    = geringer Neuheitswert oder nur für Spezialisten geeignet
**    = weniger interessant, leichte formale oder methodische Mängel
*    = erhebliche Mängel

 

nima 1-2002


Bewertung: ***





Zielstellung:

Frequenz des Auftretens von Fieberspitzen bei akut erkrankten neurochirurgischen Patienten; das Verhältnis Hirn- zu Körperkerntemperatur und der Einfluss von Änderungen der Hirntemperatur auf den intrakraniellen Druck (ICP).

Design:

Beobachtungsstudie an 20 Patienten mit akuter, neurochirurgischer Erkrankung (Schweres Schädel-Hirn-Trauma, n=10; Subarachnoidalblutung, n=8; Hirntumor, n=2) mit einem medianen GCS von 6 Punkten. Bei dieser Patientengruppe wurde die intrakranielle Temperatur über einen Thermistor bestückten Ventrikelkatheter (Camino System) und die Körperkerntemperatur über einen Swan-Ganz-Katheter in der Apulmonalis gemessen. Nach Beendigung der Messungen wurden beide Thermistoren in vitro überprüft (Ventrikelkatheter, n=8; Swan-Ganz, n=5). Bei 15/20 Patienten wurde zusätzlich die Sauerstoffsättigung im Bulbus jugulare bestimmt.

Wichtige Resultate:

Sowohl die verwendeten Ventrikelkatheter, wie auch die Swan-Ganz Katheter maßen die Temperatur verlässlich. In 3 Fällen konnte keine Ventrikelpunktion durchgeführt werden und die Sonde wurde intraparenchymal plaziert. Die Messdauer reichte von 78-288 Stunden. An Komplikationen werden intraparenchymale Blutung (n=2) und Meningitis (n=2) angegeben.
Die mittlere Hirntemperatur (HT) betrug 38,4 °C ± 0,8 (sd), die mittlere Körperkerntemperatur (KT) 38,1 °C ± 0,8. 73% der HT und 57,5% der KT waren =38°C. Die mittlere Differenz beider Temperaturen betrug 0,3 °C ± 0,3 (range –0,7 – 2,3 °C). Nur bei 12% der Patienten war die HT einmal höher als die KT. Der Hauptgrund für die Unterschiede beider Temperaturmessungen war die Körperkerntemperatur: die Differenz zwischen Hirn- und Kerntemperatur stieg signifikant mit ansteigender Kerntemperatur an und fiel signifikant wenn diese abnahm. Unter Berücksichtigung von Temperaturänderungen zeigte die Hirntemperatur einen deutlichen Zusammenhang mit dem ICP: Anstiege der Temperatur wurden von einem signifikanten ICP-Anstieg begleitet (14,9 mmHg ± 7,9 auf 22 mmHg ± 10,4). Der ICP Abfall bei Temperaturabfall war schwach signifikant.

Schlussfolgerung:

Die Autoren ziehen den Schluss, dass die Inzidenz von Fieber bei akuter zerebraler Läsion sehr hoch ist und die Hirntemperatur signifikant über der Körperkerntemperatur liegt. Die Messung der Körperkerntemperatur kann die Hirntemperatur unterschätzen, insbesondere in Phasen, in denen die Temperatur den größten Einfluss auf z.B. den ICP hat.

Kommentar:

Es fällt schwer, diese Arbeit länger zu kommentieren, da der Neuheitswert sehr gering ist: sämtliche beschriebenen Befunde sind seit mehreren Jahren bekannt und veröffentlicht (Mellergård et al. 1990 – 1995). Man kann der vorliegenden Arbeit einzig zu Gute halten, dass die Befunde methodisch einigermaßen korrekt erhoben wurden (bis auf die invitro Überprüfung sämtlicher verwendeter Messfühler) und sauber analysiert und dargestellt sind. Daher ergeben sich, wenig überraschend, auch keine neuen Erkenntnisse aus den beschriebenen Ergebnissen.
Unterstrichen werden sollte, dass Hyperthermie grundsätzlich ein nicht erstrebenswerter Zustand ist und offensichtlich speziell beim Vorliegen einer intrakraniellen Läsion schädigend ist. Bei ausgewählten Fällen, meiner Meinung nach praktisch immer dann, wenn aufgrund des neurologischen Zustands die Indikation zur Hirndruckmessung gestellt wird, sollte parallel zum ICP die Hirntemperatur gemessen werden, um frühzeitig reagieren zu können. So umstritten die prophylaktische und therapeutische Hypothermie in der neurologisch/neurochirurgischen Intensivmedizin auch ist, über den Sinn der Euthermie gibt es keinen Dissens, auch wenn zur Aufrechterhaltung aufwendige Maßnahmen wie z.B. endovaskuläre Kühlverfahren notwendig sein sollten.

(A. Piepgras)