Conci F, Di Rienzo M, Castiglioni P
In: J Neurol Neurosurg Psychiat 2001; 71: 621 – 631

BEWERTUNGSSYSTEM

*****    = hervorragende Arbeit
****    = gute grundlagenwissenschaftliche Arbeit/klinische Studie/Übersichtsarbeit
***    = geringer Neuheitswert oder nur für Spezialisten geeignet
**    = weniger interessant, leichte formale oder methodische Mängel
*    = erhebliche Mängel

 

nima 1-2002


Bewertung: ****





Zielstellung:

Die Autoren haben die Variablen Blutdruck, Herzfrequenz-Variabilität und Baroreflex-Sensitivität vor und nach Eintreten des Hirntodes bei insgesamt 11 Patienten untersucht.

Methode:

Es wurden die spontane Varia-bilität des arteriellen Blutdrucks durch Power Spektralanalyse des systolischen und diastolischen Blutdrucks und des Puls-Intervalls untersucht sowie die spontane Baroreflex-Sensitivität durch Bestimmung von Alpha-Index und durch Sequenztech-nik. Die Messungen wurden bei 11 Patienten kurz vor Eintreten des Hirntodes und 1 Stunde nach Feststellung des Hirn-todes durchgeführt. Nur bei einem der 11 Patienten wurden Katecholamine zur Kreislaufunterstützung eingesetzt, damit war eine wesentliche Einflussnahme von Medikamenten auf die Messdaten weitest-gehend ausgeschlossen.

Wichtige Resultate:

  1. Nach Eintreten des Hirntodes waren Blutdruck und Herzfrequenz statistisch signifikant niedriger als vorher. Dieser Effekt war sowohl bei einzelnen Patienten wie auch in der Gruppenanalyse sehr deutlich.
  2. Die Puls-Intervall Spektra zeigten eine signifikante Power-Reduktion.
  3. Die dynamische Erfassung der Baro-reflex-Sensitivität mit 2 Methoden zeigte ebenfalls eine dramatische Abnahme nach Eintreten des Hirntodes.

 

Schlussfolgerungen:

Die gemessenen Parameter, welche den spontanen Verlauf des Blutdrucks und der Herzfrequenz-Variabilität wie auch die Indizes, welche die Sensibilität der Baroreflex-Funktion wider-spiegeln, erfahren nach Eintreten des Hirntodes deutliche Veränderungen. Diese Ergebnisse können zwanglos dem Ausfall der Regulationszentren für Herz-Kreislauffunktionen im Bereich des unteren Hirnstammes zugeordnet werden.

Kommentar:

Nach Eintreten des Hirntodes kommt es regelmäßig zu schweren Entgleisungen der Herz-Kreislauffunktion. Bisher sind dieser Veränderungen aber nicht systematisch vor und nach Eintreten des Hirntodes untersucht worden. Die Autoren haben mit relativ aufwendigen Mess- und Auswerteverfahren die Veränderungen des systolischen und diastolischen Blutdrucks, der Herzfrequenz-Variabilität sowie der Baroreflex-Sensitivität systematisch untersucht. Dabei konnten zunächst die aus der klinischen Beobachtung bekannten herunter Regulationen der Kreislaufparameter quantifiziert und statistisch ausgewertet werden. Die Untersuchung kann einerseits als kontrollierte und quantitative Untersuchung einiger ansonsten aus der klinischen Beobachtung bekannten Phänomene dienen, zum anderen ergibt die Untersuchung Einblicke in die Funktionsfähigkeit des kardiovaskulären Regelkreises nach endgültigem Ausfall der Kontrolle durch die Regulationszentren des Hirnstammes. Insofern hat die Untersuchung auch eine Be-deutung für das Verständnis der physiologischen Regulation von Herz- und Kreislauffunktionen.

Die Autoren empfehlen die Verwendung der von ihnen gewonnenen Daten in der Hirntoddiagnostik. Tatsächlich wird derzeit nur der Apnoe-Test als Funktionsuntersuchung für den untersten Hirnstamm ver-wendet. Dabei muss man in Rechnung stellen, dass der Apnoe-Test in bestimmten Situationen (COPD, Thoraxtrauma) schwierig anzuwenden sein kann. Insofern besteht Bedarf an einer alternativen Un-tersuchung für den Funktionsausfall des untersten Hirnstammes. Allerdings muss man bedenken, dass diese Messverfahren noch nicht von den entsprechenden Gremien für den Einsatz in der Hirntoddiagnostik zugelassen sind. Daher sollten diese Verfahren nur als ergänzende Methoden eingesetzt werden, wenn ein Apnoe-Test nicht möglich ist.

Der mit sehr viel technischen Details befrachtete Artikel behandelt ein interessantes und wichtiges Thema mit Implikationen für das theoretische Verständnis der Kreislaufregulation aber auch für die klinische Auswirkung des Ausfalls der Hirnstammfunktion.

(W.F. Haupt)