Druschky A, Herbert M, Radespiel-Tröger M, Druschky K, Hund E, Becker CM, Hilz MJ, Erbguth F, Neundörfer B
In: Intensive Care Med 2001; 27: 686-93


BEWERTUNGSSYSTEM

*****    = hervorragende Arbeit
****    = gute grundlagenwissenschaftliche Arbeit/klinische Studie/Übersichtsarbeit
***    = geringer Neuheitswert oder nur für Spezialisten geeignet
**    = weniger interessant, leichte formale oder methodische Mängel
*    = erhebliche Mängel

 

nima 1-2002


Bewertung: **





Zielstellung:

Die Studie über die Critical-Illness-Polyneuropathie (CIP) hat zwei Ziele. Zum einen soll sie den Beitrag typischer intensivmedizinischer Bedingungen wie Sepsis, Beatmungsdauer, Einsatz bestimmter Medikamente und metabolischen Störungen zur Entwicklung einer CIP klären. Zum anderen soll eine mögliche Neurotoxizität des Serums von Patienten mit CIP in einem in vitro Assay bestimmt werden.

Design:

Prospektiv wurden 28 Patienten auf einer Neurologischen Intensivstation eingeschlossen, die über mindestens vier Tage beatmet wurden. Zwölf der Patienten hatten einen ischämischen Insult, 16 eine intrazerebrale Blutung erlitten. Während der Beatmungsphase wurden die Patienten an den Tagen vier, acht und 14 nach Beginn der Beatmung untersucht, dabei wurde die Diagnose einer CIP klinisch und elektrophysiologisch gestellt und zu den genannten Risikofaktoren in Beziehung gesetzt.
Für den in vitro Neurotoxizitätsassay wurden Kulturen von Motoneuronen fetaler Ratten verwendet, zu denen das Serumfiltrat der Patienten in unterschiedlichen Fraktionen (aufgetrennt nach Molekülgrößen) gegeben wurde. Zur Bestimmung der Neurotoxizität wurde der Anteil vitaler Motoneurone mikroskopisch und kalorimetrisch gemessen.

Wichtige Resultate:

Nach festgelegten Kriterien entwickelten 16 der 28 Patienten eine CIP, wobei sich Zeichen einer Polyneuropathie bei zwei der Patienten bereits bei der ersten Untersuchung zeigten. Dabei fanden sich als Risikofaktoren, die mit dem Auftreten einer CIP positiv korrelierten, der Multiple Organ Failure Score (MOFS) am Tag acht nach Beginn der Beatmung, die Beatmungsdauer, Entwöhnungsprobleme von der Beatmung sowie Sepsis und Lungenversagen.
Im in vitro Assay zeigten nur niedermolekulare Fraktionen der Seren (bis 5 kDa) eine Neurotoxizität. Neurotoxisch waren Seren von zwölf der 16 Patienten mit CIP und von sechs Patienten ohne CIP.

Schlussfolgerung:

Die Studie zeigt als Risikofaktoren zur Entwicklung einer CIP die folgenden Faktoren: Sepsis und MOFS am Tag acht nach Beginn der Beatmung, Ateminsuffizienz und Lungenversagen und eine längere Beatmungsdauer. Dabei bestätigt die Untersuchung mehrere vorangegangene Studien, die die Bedeutung der Sepsis in der Pathogenese der CIP zeigten. 15 von 16 Patienten erfüllten die Kriterien einer Sepsis bei der weit gefassten Definition. Keinen bzw. wenig Einfluss auf die Entwicklung einer CIP scheinen die geprüften Medikamente und metabolischen Faktoren zu haben.
Im Gegensatz zu den Seren gesunder Kontrollpersonen zeigte die niedermolekulare Fraktion vieler Studienpatienten eine Neurotoxizität im in vitro Assay. Diese fand sich häufiger bei Patienten, die eine CIP entwickelten, jedoch waren die Unterschiede zwischen den Gruppen mit und ohne CIP nicht signifikant. Die Autoren spekulieren, ob diese Neurotoxizität mit toxischen Produkten bei Hirnschädigung in Verbindung gebracht werden kann. Welche niedermolekularen Faktoren, wie z.B. TNF-alpha, IL-1 oder IL-6 für die Neurotoxizität verantwortlich sind, bleibt offen.

Kommentar:

Einige der bekannten Risikofaktoren, die bei Intensivpatienten zur Entwicklung einer CIP beitragen können, werden von den Autoren bestätigt. Dabei überrascht es nicht, dass septische Komplikationen, respiratorische Insuffizienz und eine längere Beatmung die Wahrscheinlichkeit einer CIP erhöhen. Dabei sind die Kriterien einer Sepsis recht weit gefasst, weshalb sehr viele Intensivpatienten diese erfüllen.
Bei den elektrophysiologischen Untersuchungsergebnissen sind die Unterschiede zwischen den Gruppen mit und ohne CIP z.T. relativ gering, so dass die Zuordnung einiger Patienten zur entsprechenden Gruppe schwierig erscheint, zumal die klinische Polyneuropathie-Untersuchung bei den beatmeten und sedierten Patienten ebenfalls problematisch sein dürfte.
Die nachgewiesene Neurotoxizität einer niedermolekularen Fraktion des Patientenserum bei drei Vierteln der Patienten mit CIP ist interessant. Da sie jedoch auch bei der Hälfte der Patienten ohne CIP nachweisbar ist, ist die Deutung dieser Ergebnisse schwierig. Sämtliche eingeschlossenen Patienten litten an einer akuten zerebrovaskulären Krankheit, so dass die Neurotoxizität durch die dadurch freigesetzten Faktoren und Mediatoren bedingt sein könnte. Ob diese eine wesentliche Bedeutung in der Pathogenese der CIP haben, bleibt offen. Hierbei wäre die Untersuchung nicht hirngeschädigter Intensivpatienten möglicherweise von größerer Bedeutung.

(C. Wessig)