Mayer SA, Kreiter KT, Copeland D, Bernardini GL, Bates JE, Peery S, Claassen J, Du YE, Connolly Jr. ES
In: Neurology 2002;59:1750-1758


BEWERTUNGSSYSTEM

*****    = hervorragende Arbeit
****    = gute grundlagenwissenschaftliche Arbeit/klinische Studie/Übersichtsarbeit
***    = geringer Neuheitswert oder nur für Spezialisten geeignet
**    = weniger interessant, leichte formale oder methodische Mängel
*    = erhebliche Mängel

 

nima 2-2003


Bewertung: **





Zielstellung:

Trotz beträchtlicher Fortschritte in der Akuttherapie komplizieren kognitive Störungen den Langzeitverlauf und die Langzeitprognose nach Subarachnoidalblutung (SAB). Zwar ist bekannt, dass neuropsychologische Störungen wesentlich zur dauerhaften Behinderung und zu einer verminderten Lebensqualität nach Subarachnoidalblutung beitragen. Eine Testung dieser Störungen als Outcome Parameter nach Subarachnoidalblutung in klinischen Studien ist jedoch schwierig, da die Testung sehr aufwendig ist, es eine Vielzahl möglicher Testverfahren gibt, schwer beeinträchtigte Patienten diese häufig nicht vollständig durchführen können und die Tests durch das prämorbide Niveau der Patienten stark beeinflusst werden. Ein idealer kognitiver Funktionstest müsste demzufolge einen singulären Wert ermitteln, sowohl für leichter als auch schwerer beeinträchtigte Patienten anwendbar sein, demographische Fehler ausschließen, eine gute Interrater- und Test-Retest-Reliabilität aufweisen und eine gute Korrelation zwischen Grad der kognitiven Störung und Grad der Behinderung/Grad des „handicaps“ bzw. Lebensqualität zeigen.
In dieser Studie sollte der Zusammenhang, die Korrelation, von kognitiven Störungen und sozialer Beeinträchtigung („global handicap“), Grad der Behinderung („disability“) und Lebensqualität nach Subarachnoidalblutung evaluiert werden. Speziell sollte untersucht werden, ob einer von drei einfachen (telefonisch durchzuführenden) kognitiven Funktionstests als Alternative zu detaillierteren und aufwendigeren Testverfahren dienen könnte.

Design:

Zwischen 1996 und 2000 wurden 362 Patienten mit SAB in diese prospektive Studie eingeschlossen. Die Diagnose SAB wurde anhand von CT- und Liquoruntersuchung gestellt. Ausschlusskriterien waren: traumatische SAB oder SAB aufgrund einer AV-Malformation sowie Behandlungsbeginn > 14 Tage nach SAB. Drei Monate nach SAB wurde ein Teil der Patienten neben einer globalen Outcome-Einschätzung einer detaillierten neuropsychologischen Testung unterzogen. Zur globalen Outcome-Einschätzung kamen die modifizierte Rankin Scale („global handicap“), Barthel-Index und der IADL (Behinderung) sowie NIH Stroke Scale zum Einsatz. Lebensqualität wurde mit Sickness Impact Profile (SIP) und Life Satisfaction Scale eingeschätzt, der emotionale Status u.a. mittels CES-Scale.
Die neuropsychologische Testung bestand aus einer 3-stündigen Test-Batterie, die einmal summarische Tests beinhaltete (Telephone Interview of Cognitive Status, TICS; Verbal Series Attention Test, Short Blessed Test) und spezifisch sieben kognitive Funktionen untersuchte (verbales Gedächtnis, visuelles Gedächtnis, motorische Funktion, Reaktionszeit, Exekutivfunktion, visuellräumliche Funktion, Sprache). Mittels statistischer Analysen wurde dann versucht, Zusammenhänge zwischen verschiedenen neuropsychologischen Kategorien/Funktionen und globalen Outcome-Parametern aufzuzeigen.

Wichtige Resultate:

Von den 326 SAB-Patienten konnten 113 Patienten in diese Studie eingeschlossen werden. Hauptausschlussgründe waren: Tod (72 Patienten), Ablehnung durch den Patienten (74 Patienten), zu große kognitive Beeinträchtigung (31 Patienten). Das Altersspektrum reichte von 19 bis 86 Jahre, 43% der Patienten waren spanischer Abstammung, 59% native Englisch-Sprechende. 89 Patienten wurden neurochirurgisch mit einem Clip versorgt, 13 Patienten interventionsradiologisch mit einem Coil versehen.
Von den summarischen kognitiven Tests zeigte nur der TICS eine signifikante Korrelation zu allen globalen Outcome-Parametern („global handicap“, Behinderung, Lebensqualität, emotionaler Status) und zu allen sieben spezifischen kognitiven Funktionen.
Vier spezifische kognitive Funktionen (visuelles Gedächtnis, Reaktionszeit, motorische Funktion, visuellräumliche Funktion) korrelierten mit mindestens einer Kategorie aus den Bereichen Lebensqualität bzw. Behinderung.
Der TICS war der simpelste und beste summarische Test für klinisch relevante kognitive Störungen.

Schlussfolgerungen:

Kognitive Störungen nach SAB beeinflussen den funktionelles Status, die Lebensqualität und die emotionalen Gesundheit. Der TICS stellt eine nützliche Alternative zur detaillierten neuropsychologischen Testung für klinisch relevante kognitive Störungen nach SAB dar.

Kommentar:

Diese nicht unaufwendige Studie ist ein Paradebeispiel der oft segensreichen amerikanischen Herangehensweise, komplexe  Sachverhalte (hier neuropsychologische Defizite nach SAB) in simple und einfachhandhabbare Formeln oder Skalierungen zu transformieren. Mit einem 45-minütigen Telefon-Interview soll es möglich sein, den für seine Lebensqualität und eventuellen Behinderungs- und „Handicap“-Grad relevanten kognitiven Status eines Patienten nach Subarachnoidalblutung einzuschätzen.

Wofür ist das gut?

Für den einzelnen Patienten, für die individuelle Behandlungsplanung in der Rehabilitation sicher nicht. Da muss man schon detailliert wissen, welche Defizite bestehen, wie ausgeprägt diese sind, wie sie sich auf sein Alltags- und Berufsleben auswirken.
Sinnvoller ist der Einsatz eines derartigen Testverfahrens für den Vergleich einer Gruppe von Patienten, die, wie exemplarisch bei der SAB, oft keine neurologischen Defizite aufweisen, sondern neuropsychologische Defizite, um deren Behandlungsergebnis (sprich Outcome) vergleichbar zu machen. Das ist sinnvoll und gut und gehört eigentlich in jede interventionelle SAB-Studie, wenn man den globalen Outcome-Parametern (Rankin, Barthel etc.) nicht genügend Aussagekraft beimisst.
Welche Kritikpunkte gibt es aber?
Der hier gewählte Untersuchungszeitpunkt von drei Monaten nach SAB ist sicher zu kurz, befinden sich doch viele Patienten noch in der Rehabilitationsphase (eine 12-Monats-Studie wird folgen). Der hohe Anteil spanischstämmiger und der vergleichsweise geringe Anteil (nur 59%) nativ-Englisch-sprechender Patienten macht eine Übertragbarkeit in andere Regionen schwierig. Patienten mit höherem Behinderungsgrad, höherem Alter waren von der Testung ausgeschlossen. Wenn eine andere Graduierung von Behinderung verwendet wird, könnten sich auch die cutoff-Werte der korrelierenden Tests ändern.

(J. Berrouschot)