Thwaites GE et al.
In: Lancet 2002; 360: 1287-92


BEWERTUNGSSYSTEM

*****    = hervorragende Arbeit
****    = gute grundlagenwissenschaftliche Arbeit/klinische Studie/Übersichtsarbeit
***    = geringer Neuheitswert oder nur für Spezialisten geeignet
**    = weniger interessant, leichte formale oder methodische Mängel
*    = erhebliche Mängel

 

nima 2-2003


Bewertung: ****





Zielstellung:

Die frühzeitige Diagnose einer tuberkulösen Meningitis ist weiterhin schwierig. Dies liegt an der geringen Sensitivität der Ziehl-Neelsen-Färbung und der langwierigen Kultur für Mykobakterien. Die Sensitivität der PCR scheint aufgrund der dicken lipidhaltigen Zellwand der Mykobakterien nur wenig über der Sensitivität der Mikroskopie zu liegen. Ziel der vorliegenden Arbeit war, mittels einfacher klinischer Kriterien einen diagnostischen Index mit hoher Sensitivität und Spezifität für die tuberkulöse Meningitis zu entwerfen.

Design:

Es handelt sich um eine prospektive Datenerhebung mit standardisierter Anamnese, klinischer Untersuchung und laborchemisch/apparativer Basisuntersuchung (Labor, LP, 2. LP nach 48h, Röntgen Thorax, wenn möglich, kraniales CT) an 251 Erwachsenen im Zeitraum von 1997 bis 2000, bei denen als endgültige Diagnose entweder eine tuberkulöse oder bakterielle Meningitis gestellt wurde. Die diagnostischen Kriterien beinhalteten bei fehlendem Erregernachweis auch das Ansprechen auf eine Therapie mit Tuberkulostatika bzw. beta-Laktam-Antibiotika. Die Untersuchung wurde an der 15 Betten führenden Clinical Research Unit, Centre for Tropical Diseases, Ho Chi Minh-Stadt, Vietnam, durchgeführt. In diesem Zeitraum wurden insgesamt 357 Erwachsene mit Meningitis dort behandelt.
Die stufenweise logistische Regression wurde  benutzt zur Detektion unabhängiger bei Aufnahme bestehender Prädiktoren einer tuberkulösen Meningitis. Um ein Optimum an Sensitivität und Spezifität zu erreichen, wurde eine Receiver Operator Characteristic (ROC)-Kurve konstruiert.

Wichtige Resultate:

Die stufenweise logistische Regression identifizierte fünf unabhängige Variabeln, die mit einer tuberkulösen Meningitis vergesellschaftet waren: Alter, Leukozytenzahl im Blut, Liquorpleozytose, Dauer von Beginn der Erkrankung bis zur Aufnahme, Prozentsatz neutrophiler Granulozyten im Liquor. Für die folgenden Merkmale wurden deshalb für einen diagnostischen Index Punkte vergeben: Alter 36 Jahre 4, Leukozytenzahl im Blut 15000/?l 4, Liquorpleozytose 900/?l 3, Dauer von Beginn der Erkrankung bis zur Aufnahme  > 6 Tage –5, < 6 Tage 0, Prozentsatz neutrophiler Granulozyten im Liquor 75% 4. Anhand der ROC-Kurve wurde als optimaler Cutoff eine Punktzahl von 4 bestimmt: wenn der Patient im diagnostischen Index eine Punktzahl von 4 oder weniger aufwies, hatte er mit einer Sensitivität von 97% und einer Spezifität von 91% eine tuberkulöse Meningitis, bei einer Punktzahl von mehr als 4 mit hoher Wahrscheinlichkeit eine bakterielle Meningitis. Durch Einbeziehung von bei einer zweiten LP 48h nach Aufnahme erhobenen Daten ließ sich der diagnostische Index nicht verbessern.
Darüber hinaus werden zwei verschiedene auf der Grundlage der empirischen Daten entwickelte Entscheidungsbäume zur Differentialdiagnose zwischen tuberkulöser und bakterieller Meningitis vorgestellt, die jedoch nicht besser abschnitten als der diagnostische Index.
Nach Entwicklung des diagnostischen Index wurde seine Validität an weiteren 75 Patienten erprobt, bei denen entweder eine tuberkulöse oder bakterielle Meningitis als endgültige Diagnose gestellt wurde. Hier war die Sensitivität 86% und die Spezifität 79%.

Schlussfolgerungen:

Die mit dem hier vorgestellten diagnostischen Index erreichte Sensitivität (86%) und Spezifität (79%) liegt im Bereich der mittels der derzeit besten laborchemisch/ mikrobiologischen Tests erreichbaren Sensitivitäten und Spezifitäten. Die Stärke des Index ist, dass die benötigten Daten sofort nach der ersten Liquorentnahme zur Verfügung stehen. Weil die Sensitivität und Spezifität einer Messmethode von der Prävalenz der zu detektierenden Erkrankung abhängt (Bayessches Theorem), soll der Index ohne zusätzliche Validierung nicht in Populationen mit erheblich zu Südvietnam divergierender TBC- und HIV-Prävalenz  angewendet werden.

Kommentar:

Die vorliegende Arbeit ist von hoher Originalität, die statistische Datenanalyse erscheint fundiert. Unter den Bedingungen eines Entwicklungslandes mit relativ niedriger HIV-Prävalenz ist der vorgestellte diagnostische Index eine rasch durchführbare, therapierelevante Entscheidungshilfe. Wie viele unter den Bedingungen von Entwicklungsländern durchgeführte Untersuchungen, weist diese Studie Mängel auf, die vor allem durch die begrenzten Ressourcen verursacht werden:
1. Nur bei den 66 Patienten, die einer Risikogruppe für eine HIV-Infektion angehörten, wurde ein HIV-Test durchgeführt. 8 Patienten waren HIV-positiv. Wie viele der übrigen 185 Patienten HIV-positiv waren, ist unbekannt.
2. Nicht bei allen Patienten wurde offenbar ein CCT durchgeführt, obwohl typische CCT-Veränderungen ein Kriterium für die definitive Diagnose einer tuberkulösen Meningitis waren.
3. Es bleibt offen, wie oft die LP wiederholt und der Liquor kultiviert wurde, um zur definitiven Diagnose einer tuberkulösen Meningitis zu gelangen.
4. Die TBC-PCR wurde offenbar überhaupt nicht angewandt.
5. Die benutzten Kriterien für die definitive Diagnose einer tuberkulösen Meningitis bei fehlendem Erregernachweis sind nicht unproblematisch.
Nichtsdestotrotz erscheint mir lohnenswert, den vorgestellten diagnostischen Index an einem zentraleuropäischen Patientenkollektiv zu evaluieren und ggf. durch CCT- bzw. CMRT-Kriterien zu erweitern. Ein für unser Patientenkollektiv wenig taugliches Kriterium scheint mir das Alter zu sein ( 36 Jahre für bakterielle Meningitis sprechen). Alle in den Index eingehenden Parameter sind bei Aufnahme nach der ersten LP verfügbar. Ein solcher Index ist nützlich, um die Indikation zu einer tuberkulostatischen Behandlung rasch zu stellen. Im Zweifel wird man in einem hochentwickelten Land allerdings mit der antituberkulösen Therapie beginnen. Die vorgestellte Untersuchung bestätigt die hohe Wertigkeit der Dauer des Krankheitsverlaufs vor Aufnahme: bei der tuberkulösen Meningitis handelt es sich im Gegensatz zur bakteriellen Meningitis in der Regel um eine subakut verlaufende Erkrankung.

(R. Nau)