Aktuelle Publikationen von Interesse 2011Clifton GL, Valadka A, Zygun D, Coffey CS, Drever P, Fourwinds S, Janis LS, Wilde E, Taylor P, Harshman K, Conley A, Puccio A, Levin HS, McCauley SR, Bucholz RD, Smith KR, Schmidt JH, Scott JN, Yonas H, Okonkwo DO. Lancet Neurol. 2011 Feb;10(2):131-9.


Referenten:

Oliver W. Sakowitz (Neurochirurgische Intensivstation Univ.-Klinik Heidelberg)
Hagen B. Huttner (Neurologische Intensivstation Univ.-Klinik Erlangen)


Zusammenfassung:

In der ersten National Acute Brain Injury Study: Hypothermia (NABISH) von 2001 (Clifton et al., 2001) wurde kein Vorteil für Schädel-Hirn-Trauma (SHT) Patienten durch eine Hypothermie (HT) – Behandlung berichtet. Es gab allerdings einen Trend, dass junge Patienten, die hypotherm zur Aufnahme kamen und weiter hypothermiert wurden ein besseres Outcome hatten als Patienten der Normothermie-(NT)-Gruppe (Clifton et al., 2002).
Die Folgestudie NABISH II wurde mit dem Ziel begonnen, 240 Patienten mit schwerem SHT in einem 1:1 Design zu randomisieren. In der Behandlungsgruppe sollte innerhalb von 2.5 h eine Oberflächenkühlung auf 35°C begonnen werden. Die Patienten wurden dann anhand einer zweiten Liste von Ausschlusskriterien überprüft und ggf. für 48h weiter auf 33°C gekühlt oder normotherm behandelt (Clifton et al., 2009). Von 232 am Unfallort randomisierten Patienten konnten 97 Patienten gemäß dem Studienprotokoll bis zum Ende weiterbehandelt werden. Diese bilden die Grundlage der vorliegenden Untersuchung, die aufgrund mangelnder Aussicht auf Erfolg vorzeitig abgebrochen werden musste. Das Ziel einer Absenkung der Körperkerntemperatur auf 35°C wurde im Mittel nach 2.6h erreicht (und auf 33°C nach 4.4h). Die HT-Gruppe (n=52) und die NT-Gruppe (n=45) unterschieden sich hinsichtlich des neurologischen Outcome, gemessen an der Glasgow Outcome Scale, und der Mortalität nicht.


Kommentar:

NABISH II  war eine ambitionierte Studie. Der ultrafrühe Patienteneinschluss war initial für die ersten 2h nach Trauma avisiert und musste auf 2.5h verlängert werden. Dieses war nur durch einen Verzicht auf jegliche Einwilligung („waiver of consent“) möglich, wovon bei den meisten Patienten Gebrauch gemacht wurde. Desweiteren setzte die Anwendung der HT eine fachliche Expertise voraus, die offensichtlich nur an 6 US-Zentren vorhanden war. Die Hälfte der Patienten wurde von nur einem Zentrum eingeschlossen. Studienbeginn und –einschluss waren verzögert bzw. schleppend. Aufgrund einer anderen Studie, die ein schlechteres Outcome bei Kindern mit schwerem SHT und HT-Behandlung aufgezeigt hatte (Hutchison et al., 2008), wurde dennoch auf eine Interim-Analyse gedrängt, die 2009 mit 97 Patienten (anstelle der geplanten 120 von 240 Patienten insgesamt) durchgeführt wurde.

Die Studie hat keinen Vorteil aufgezeigt, den eine ultrafrühe HT-Behandlung bei SHT-Patienten mit sich bringen könnte. Im Gegenteil, in der HT-Gruppe war eine erhöhte Volumengabe zur Kreislaufunterstützung notwendig, die Anzahl von Ereignissen intrakranieller Hypertension war signifikant erhöht. Während die erhöhte Rate der ersteren Komplikation bereits in Vorgängerstudie berichtet wurde, ist die schlechtere ICP- Kontrolle ein bislang nicht beschriebener Befund (Clifton et al., 2001). Es wird argumentiert, dass die erhöhte Vigilanz der Behandler für negative Kreislauf-Ereignisse zu einer Überkompensation geführt haben könnte. Ferner limitiert (i) das oligozentrische Design, (ii) die hohe Drop-out Rate, (iii) die fehlende Richtschnur für oder wider Interventionen, sowie (iv) das nicht ICP-gesteuerte Patientenmanagement die Aussagekraft der Arbeit.

Das SHT ist ein heterogenes Krankheitsbild (mit variabler Ausprägung von Frakturen, Blutungen, Parenchym- und Gefäßschaden, Ischämie, Hypoxämie, metabolischer Dysfunktion, etc.), dass vermutlich nicht mit „einfachen Patentrezepten“ zu behandeln ist. Dieses schließt nicht aus, dass „bestimmte“ SHT-Patienten unter „bestimmten“ Umständen von einer HT profitieren könnten.

In der Tat wird dieser Punkt auch von den Autoren verfolgt. Ein differenzierter Nutzen der ultrafrühen HT-Behandlung bei Patienten mit chirurgisch-evakuierten Hämatomen (gegenüber Patienten mit diffuser Hirnschädigung / - schwellung) ist durch die Daten allerdings nur schwach belegt. Diese Hypothese gründet sich auf 28 Patienten und dort auf einen Unterschied von  5/15 Patienten (HT-Gruppe, 33%) vs. 9/13 Patienten (NT-Gruppe, 69%) mit schlechtem neurologischen Outcome.

Die ultrafrühe HT-Behandlung bringt bei SHT-Patienten insgesamt keinen Vorteil. Die Autoren geben uns dennoch eine wichtige Hausaufgabe mit auf den Weg: Gibt es eine Subgruppe von Patienten mit schwerem SHT, bei denen dennoch eine ultrafrühe HT-Behandlung durchgeführt werden sollte?

 

Referenzen

  • Clifton GL, Miller ER, Choi SC, Levin HS, McCauley S, Smith KR, Muizelaar JP, Wagner FC, Marion DW, Luerssen TG, Chesnut RM, Schwartz M (2001) Lack of effect of induction of hypothermia after acute brain injury. N. Engl. J. Med 344:556-563 
  • Clifton GL, Miller ER, Choi SC, Levin HS, McCauley S, Smith KR, Muizelaar JP, Marion DW, Luerssen TG (2002) Hypothermia on admission in patients with severe brain injury. J. Neurotrauma 19:293-301 
  • Clifton GL, Drever P, Valadka A, Zygun D, Okonkwo D (2009) Multicenter trial of early hypothermia in severe brain injury. J. Neurotrauma 26:393-397 
  • Hutchison JS, Ward RE, Lacroix J, Hébert PC, Barnes MA, Bohn DJ, Dirks PB, Doucette S, Fergusson D, Gottesman R, Joffe AR, Kirpalani HM, Meyer PG, Morris KP, Moher D, Singh RN, Skippen PW (2008) Hypothermia therapy after traumatic brain injury in children. N. Engl. J. Med 358:2447-2456