Cruz J, Minoja G, Okuchi K.
In: Neurosurgery 2002; 51: 628-638.


BEWERTUNGSSYSTEM

*****    = hervorragende Arbeit
****    = gute grundlagenwissenschaftliche Arbeit/klinische Studie/Übersichtsarbeit
***    = geringer Neuheitswert oder nur für Spezialisten geeignet
**    = weniger interessant, leichte formale oder methodische Mängel
*    = erhebliche Mängel

 

nima 2-2003


Bewertung: ****





Zielstellung:

Bei komatösen Schädel-Hirn-Trauma-Patienten mit temporalen Hämatomen und uni- oder bilateraler Pupillenerweiterung sollte die Wirkung von notfallmäßig im Schockraum präoperativ verabreichtem Hochdosis-Mannitol gegenüber der konventionellen (halben) Dosis hinsichtlich der Langzeitprognose und postoperativer (patho-) physiologischer Parameter verglichen werden.

Design:

Insgesamt wurden 140 Patienten mit traumatischen, nicht-geschossbedingten Temporallappenhämatomen und Pupillenerweiterung randomisiert und erhielten präoperativ  im Schockraum entweder eine Hochdosis-Mannitol-Behandlung (HDM) mit 1,4 g/kgKG (N= 72) oder eine normale „übliche“ Mannitol-Dosis (NMD) mit 0,7 g/kgKG (N=69). Als Zielparameter wurde die Glasgow-Outcome-Scale nach 6 Monaten und postoperative klinische und Messwert-Parameter (u.a. Pupillenweite, MAP, ICP, Arteriovenöse Laktat-Differenz AVDL, zerebrale Sauerstoff-Extraktion CEO2) als auch CT-Daten verwendet. Für die explorative Statistik wurden nonparametrische Verfahren und eine multivariate Varianzanalyse verwendet.

Wichtige Resultate:

Beide Gruppen erwiesen sich hinsichtlich der Eingangsparameter als vergleichbar; das Intervall zwischen Trauma und operativer Hämatomentfernung betrug im Durchschnitt 2,5 Stunden. Die Sterblichkeit nach 6 Monaten betrug 19,4% in der HDM-Gruppe und 36,2% in der NDM-Gruppe. Ein gutes Ergebnis mit schlechtestenfalls „moderatem Behinderungsgrad“ zeigten 61,1% der HDM-Gruppe gegenüber nur 33,3% der NDM-Gruppe. Eine frühe Besserung einer abnormen Pupillenweite wurde statistisch signifikant häufiger in der HDM-Gruppe (bilateral: 10/15; unilateral: 44/57) als in der NDM-Gruppe (bilateral: 3/13; unilateral 29/56) beobachtet. Während in den Ausgangs-CT-Befunden keine signifikanten Unterschiede zu beobachten waren, zeigte sich in den CT-Kontrollen an Tag 2 oder 3 eine Hirnschwellung bei nur 28,6% der HDM-Gruppe im Gegensatz zu 76% der NDM-Gruppe.  In der HDM-Gruppe fanden sich in den ersten 5 Tagen signifikant niedrigere ICP-Werte und höhere CEO2-Werte. Während nur bei 7 Patienten der HDM-Gruppe (9,7%) eine Dekompressions-Kraniotomie durchgeführt wurde, wurde dieser Eingriff bei 17 Patienten (24,6%) der NDM-Gruppe für notwendig erachtet.  

Schlussfolgerung:

Die Autoren kommen zu dem Ergebnis, dass bei traumatischen temporalen intrazerebralen Hämatomen mit Pupillenerweiterung eine präoperative  „Notfallapplikation“ von hochdosiertem Mannit mit deutlich günstigeren postoperativen Werten im „Monitoring“ einhergeht und zu einer signifikanten Verbesserung der Prognose führt – nämlich nahezu zu einer Halbierung der Sterblichkeit.

Kommentar:

In dieser Studie wendet der Autor Julio Cruz aus Sao Paulo ein Hochdosis-Mannitol-Regime bei Patienten mit temporalen Hämatomen nach Schädel-Hirn-Trauma an, nachdem er die positiven Wirkungen dieser Therapie bereits für Patienten mit Subduralhämatom beschrieben hat (Neurosurgery 49; 864-871; 2001). Die Arbeit ist grundsätzlich „sauber“ durchgeführt und das Resultat auch eindeutig. Da das verwendete Hochdosis-Mannitol-Re-gime grundsätzlich eine unkomplizierte Therapie darstellt, wäre eine Umsetzung in den klinischen Alltag auch recht leicht. Hier fallen allerdings dann schon einige Einschränkungen hinsichtlich einer generellen Übertragbarkeit der Ergebnisse auf: das in der Studie zur Anwendung gekommene sehr kurze Intervall zwischen Trauma und OP dürfte kaum dem neurochirurgischen Alltag entsprechen; insofern stellt sich schon die Frage, ob dieses Regime auch bei längeren Latenzen noch greift oder greifen kann. Auch ist man ja im Alltag mit Mannitol immer dann eingeschränkt, wenn die Patienten mit schweren Schädel-Hirn-Traumen z.B. bei begleitenden Polytraumen niedrige arterielle Drücke aufweisen; hier überrascht etwas der durchschnittlich sehr gute MAP von ca. 100 mmHg und der niedrige Anteil (4,6%) von Patienten mit arterieller Hypotension (RR syst. < 90 mmHg) in der Studie z.B. bei Polytrauma. Die pathophysiologischen Mechanismen der eindrucksvoll guten prognostischen Langzeitergebnisse der frühen Mannit-Hochdosisgabe werden von den Autoren nicht ganz schlüssig begründet. Allerdings spricht das schlechtere Abschneiden der Patienten mit Pupillenerweiterungen bereits am Unfallort im Vergleich zu denjenigen Patienten mit einer sich später entwickelnden Pupillenerweiterung für den „Faktor Zeit“ als Voraussetzung für die Effektivität des Hochdosis-Mannitol-Gabe. Somit müsste eine Abmilderung der deletären Kaskade aus Raumforderung und zerebraler Hypoxie mit all ihren Folgen durch die frühe hochdosierte Mannitol-Gabe die guten Ergebnisse erklären.
Die Arbeit zeigt, dass eine Modifikation eines einfachen altbekannten Therapieregimes durchaus eindrucksvoll positive Resultate zeigen kann; aber gerade weil die Therapie so einfach ist und die Daten dieser einen Studie so deutlich für ein Hochdosis-Mannit-Regime im Schockraum und evtl. sogar präklinisch sprechen, müssen diese Resultate reproduziert werden, bevor man sie voreilig in Leitlinien oder Empfehlungen zum „Management“ von Patienten mit schwerem Schädel-Hirn-Trauma aufnimmt.

(F. Erbguth)