Dennis LJ, Claassen J, Hirsch LJ, Emerson RG, Connolly ES, Mayer SA
In: Neurosurgery 51: 1136 – 1144 in 2002


BEWERTUNGSSYSTEM

*****    = hervorragende Arbeit
****    = gute grundlagenwissenschaftliche Arbeit/klinische Studie/Übersichtsarbeit
***    = geringer Neuheitswert oder nur für Spezialisten geeignet
**    = weniger interessant, leichte formale oder methodische Mängel
*    = erhebliche Mängel

 

nima 2-2003


Bewertung: ****





Zielstellung:

Untersuchung der Häufigkeit und des Erscheinungsbildes nicht konvulsiver Anfälle im Krankengut der Patienten mit Subarachnoidalblutung (SAB). Prognose des nichtkonvulsiven status epilepticus (NCSE) nach SAB.

Design:

Prospektive Erhebung und Auswertung klinischer und kontinuierlich registrierter EEG-Daten (cEEG) von Patienten mit aneurysmatischer Subarachnoidalblutung mit 1. unerklärtem, z.B. epileptisch begründeten Koma oder 2. neurologischer Befundverschlechterung. Komaursachen wie raumfordernde Läsionen mit Mittellinienverlagerung im CT, refraktäre ICP-Erhöhung, sekundäre Enzephalopathien bei Organversagen, komplizierter Verlauf wegen Ventrikulitis oder exzessive Sedierung waren jeweils bei diesen Patienten ausgeschlossen worden.
Alle 26 selektierten Patienten wurden unter Standardintensivtherapiebedingungen wenigstens 24 Stunden abgeleitet (22 EEG-Elektroden), ab Tag 3 nach Blutung. Das Kriterium war erfüllt, sobald wiederkehrende Anfallsmuster im EEG länger mehr als 60 Minuten auftraten, mit abgrenzbarem Beginn, Ende und einem Anfallsverlauf der Graphoelemente. PLED und generalisierte EGE für sich genommen wurden nicht als iktuale Muster akzeptiert. Die Outcome-Beurteilung erfolgte anhand der Zielkriterien Mortalität, Länge des intensivtherapeutischen Aufenthaltes und Behandlungserfolg von Antikonvulsiva gemessen am EEG-Befund. Gesucht wurde bei allen Patienten nach nicht-konvulsiven Anfällen in statusartiger Häufung.

Wichtige Resultate:

Aus dem gesamten Krankengut von 233 Patienten wurden 26 Fälle selektiert, die mittels cEEG über gemittelt 16 Tage wg. unerklärtem Koma abgeleitet wurden. 8 dieser Patienten, alle bereits unter prophylaktischer Antikonvulsivatherapie, erlitten einen NCSE. Von ihnen waren 4 dauerhaft komatös, 4 verschlechterten sich aus dem Sopor zum Koma. Obwohl in 5 Fällen eine Beendigung des NCSE durch antikonvulsive Therapie erreicht wurde, überlebte keiner. Als NCSE-Risikofaktoren wurden identifiziert: hohes Lebensalter, externe Ventrikeldrainage, Hirnödembefund im CT und schlechtester Hunt- und Hess-Grad ? IV.

Schlussfolgerung:

Der nichtkonvulsive Status epilepticus lässt sich durch cEEG-Monitoring bei 8 % der Patienten mit an-ders nicht erklärbaren Koma oder neurologischer Verschlechterung feststellen. Diese Anfälle sind überaus therapierefraktär, es zeigt sich eine sehr schlechte Prognose. Zur Verbesserung des Outcome schlagen die Autoren vor, zumindest bei SAB-Patienten mit höherem NCSE-Risiko bei routinemäßig postoperativ cEEG-Monitoring einzusetzen.

Kommentar:

Jeder Intensiv-Neurologe kennt SAB-Patienten, die nach versorgter höhergradiger Aneurysmablutung nicht wieder aufwachen oder sich nach anfangs günstigem Verlauf rasch verschlechtern, obwohl der intrakranielle Druck und die Metabolik gut kontrolliert sind, Infarkte sich nicht demarkieren und entzündlicher Begleiterkrankungen und Blutungen fehlen. Gerade diese relevante Problematik greifen die Autoren auf, indem sie aus ihrem großen Krankengut von über 275 Patienten über drei Jahre die EEG-Monitoringergebnisse solcher sekundär verschlechterter SAB-Patienten im Hinblick auf die Inzidenz des nichtkonvulsiven Status epilepticus untersuchen.
Dem ja prinzipiell vielversprechenden Ergebnis eines NCSE bei knapp jedem dritten der betreffenden Patienten steht die ernüchternde Feststellung gegenüber, dass dieser Status im EEG zwar zu durchbrechen ist, leider aber ohne Auswirkung auf das Outcome (100 %ige Letalität). Insofern kommt diese systematische, sehr sorgfältige und aufwändige Untersuchung zu keinem ganz befriedigenden Ergebnis.
Sie behandelt jedoch eine diagnostische Spezialität der neurologischen Intensivmedizin, die zumindest aus prognostischen Gründen von Belang ist. Was den nichtkonvulsiven Status epilepticus und seine Therapie angeht, hat die gleiche Arbeitsgruppe um Steven Mayer auf die prognostisch ungünstigen Zustände des refraktären Status epilepticus in Arch. Neurol. 59:205-210 (2002) hingewiesen. Die ungünstige Prognose nach lang anhaltendem Status epilepticus beschränkte sich in jener Arbeit nicht auf bestimmte Diagnosen, sondern wurde gleichermaßen bei Patienten mit toxischmetabolischen Enzephalopathien, kompliziert verlaufenden Anfallsleiden, hypoxischen Enzephalopathien wie auch Schlaganfällen und SAB angetroffen. Mit Ausnahme einzelner Fallberichte von Jordan 1999 und Claassen et al.  2000 (Nervenarzt 71: 813-821) liegen keine weiteren Informationen vor, so dass diese Arbeit einen innovativen Beitrag leistet.
Sie eröffnet auch eine therapeutische Perspektive, da zumindest die Hoffnung besteht, dass das frühere Entdecken des nichtkonvulsiven Status epilepticus mit einem entsprechend frühzeitigerem Therapiebeginn doch die Prognose wenden kann und so nicht die gegenteilige Auffassung Recht behält, dass der nicht konvulsive Status epilepticus nur ein Ausdruck des präterminalen „brain failure“ ist. Über den Aufwand der zeitraubenden Auswertung und auch Ableitung machen die Autoren leider keine genaueren Angaben, so dass ihr Vorschlag einer Routineableitung zumindest bei den Risikopatienten nach SAB im Unklaren bleibt. Es bliebe zu hoffen und zu zeigen, dass eine Outcome-Verbesserung durch dann frühzeitiges Terminieren des NCSE und seiner neuroexzitatorischen Effekte auch die neuronalen Schädigungen im Umfeld der SAB durch Vasospasmen, ICP-Krisen, ggf. entzündlichen Komplikationen zurückzudrängen vermag. Hierfür bedarf es umfassenderer, am besten multizentrischer Untersuchungen.

(H.-C. Hansen)