Walker MC
In: J Neurol (2003)250:401-406


BEWERTUNGSSYSTEM

*****    = hervorragende Arbeit
****    = gute grundlagenwissenschaftliche Arbeit/klinische Studie/Übersichtsarbeit
***    = geringer Neuheitswert oder nur für Spezialisten geeignet
**    = weniger interessant, leichte formale oder methodische Mängel
*    = erhebliche Mängel

 

nima 3-2003


Bewertung: ***





Zielstellung:

Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um einen Review, der von der European Neurological Society in Auftrag gegeben wurde mit speziellem Fokus auf Status epilepticus (SE) auf Intensivstationen.

Design:

Der vorliegende Review wird von einem sowohl experimentell wie auch klinisch erfahrenen Epileptologen, Herrn Dr. Matthew C. Walker, geschrieben, der sich seit vielen Jahren intensiv mit Mechanismen, der Prognose und Therapie des Status epilepticus beschäftigt und am Queen Square, in London arbeitet.  

Wichtige Resultate:

Der vorliegende Review versucht unter Berücksichtigung der vorhandenen publizierten Mitteilungen einen aktuellen Überblick zur Relevanz von subklinischer und klinischer Statusepilepticus-Aktivität auf Intensivstationen zu geben.

Diskussion:

Der Autor problematisiert gleich zu Anfang zu Recht, dass es z. Zt. keine vernünftige Klassifikation des SE gibt, zumal die klinischen Anfallssyndrome des SE nicht einfach analog der Anfallsklassifikation umzusetzen ist und für eine Klassifikation gleichzeitig die zugrundeliegende Ätiologie als Prognose bestimmender Parameter eingearbeitet werden müsste. Hauptursachen des SE sind im Kindesalter fieberhafte Infekte, während bei Erwachsenen bekannte Epilepsiesyndrome mit Medikamentenentzug, zerebrovaskuläre Ereignisse, Hypoxien, metabolische Störungen und eine Alkoholproblematik zu nennen sind. Die Mortalität des SE wird angegeben mit über 20%, meist unter der zu Grunde liegenden Ätiologie und nicht dem Status selbst folgend. Der Autor erwähnt nicht die sehr interessante Arbeit aus der Arbeitsgruppe aus Virginia von Waterhouse EJ 1998, in der synergistische Effekte  des SE und der ischämischen Hirnschädigung gezeigt werden konnten: hier wiesen Patienten in der Untergruppe der Akutischämie mit begleitendem SE die mit Abstand höchste Mortalität gegenüber solchen Patienten mit rein akuten Ischämien oder solchen, die einen SE nach einer alten Ischämie erlitten auf. Der Autor des Reviews betont, wie allgemein akzeptiert, dass mit der Länge des SE die Möglichkeit der Therapieresistenz des SE steigt, ohne gleichzeitig die inzwischen bekannt gewordenen Mechanismen der Rezeptormodulation oder andere Effekte im Detail für diese Beobachtungen zu nennen.  Es ist inzwischen insbesondere für die Gaba-Rezeptoren gut dokumentiert, dass diese im experimentellen Modell über die Zeit refraktär gegenüber Benzodiazepin und auch Barbitursäure werden.  
Der Autor zitiert die bekannten Arbeiten von Meldrum (zur Übersicht siehe Meldrum et al 1991), bei denen in einem kontrollierten Experiment die neuronalen Schädigungen mit Schwerpunkt im Bereich des Hippocampus allein durch andauernde neuronale Aktivität gezeigt werden konnten. Der Review zeigt auch die Schwierigkeit auf, dass es unverändert für den non-onvulsiven SE keine gesicherte Evidenz für eine neuronale Schädigung gibt. Die Datenlage bleibt hierzu kontrovers. Dies hängt damit zusammen, dass insbesondere beim nonkonvulsiven SE auf der Intensivstation, dieser häufig ein Begleitphänomen einer zugrunde liegenden schweren Hirnschädigung ist und so auch Messwerte, die als Parameter der neuronalen Schädigung genommen werden, wie die Neuronen spezifische Enolase relativiert sind. Im Review wird
der interessante Punkt gemacht, dass eine aggressive Behandlung des nonkonvulsiven SE insbesondere beim alten Patienten, dem Patienten möglicherweise mehr schadet als eine zurückhaltende Einstellung, da die Nebenwirkungen über eine Hypotension zu schwerer respiratorischer Depression bis hin zum Herzstillstand reichen können (Kaplan PW 2000). Der klinische Verlauf des SE mit einer Früh- und einer Spätphase und assoziierten Veränderungen wie kardialen Arrhythmien, Anstieg des zerebralen Blutflusses, Anstieg der zentralen Körpertemperatur, Azidose, Laktatanstieg,
mit einer 2. Phase in der dann protektive Neuromechanismen versagen und es zu einer kritischen Hirndruckerhöhung kommt, werden kursorisch dargestellt. Bezüglich der Therapieempfehlungen des SE wird auf das gleichfalls weitestgehend bekannte Schema eingegangen, mit einer initialen Benzodiazepingabe bzw. Phenytoingabe, ohne auf inzwischen bewährte Alternativen wie die i.v. Valproinsäuretherapie näher einzugehen. Bzgl. der Alternativen zur Barbiturattherapie, wird das zunehmend im Einsatz befindliche  Propofol für den Leser eingeführt, das sich als hoch effektiv, leicht steuerbar, extrem gut fettlöslich mit einem hohen Verteilungsvolumen im Gehirn als Alternative anbietet. In dem Review wird leider nicht in ausreichendem Maße problematisiert, dass es einen erheblichen Mangel an prospektiven Therapiestudien zur Initialtherapie des SE gibt (insgesamt nur 3 placebokontrollierte prospektive randomisierte Studien) und dass es für den refraktären SE - ein häufiges praktisches Problem - überhaupt keine kontrollierten Therapiestudien gibt. Im letzten Teil des Reviews wird die Notwendigkeit eines EEG-Monitoring eines SE auf einer Intensivstation unterstrichen, durch das häufig weiterlaufende spezifisch epileptische EEG-Aktivität auch bei Sistieren klinischer Aktivität gezeigt werden kann. Zusätzlich wird der wichtige Punkt gemacht, dass ein EEG burst suppression Muster unter Einhaltung von zeitlich festgelegten interburst Intervallen von 2-30 sec für eine effektive Anästhesie zu erzielen ist. Die Dauer des EEG-Monitoring wird mit mindestens 24 h angegeben. Der Autor des Review problematisiert zu Recht die Schwierigkeit, EEG-Veränderungen im Koma als Korrelat tatsächlicher epileptischer Aktivität zu interpretieren. Er geht auf die differentialdiagnostisch zu beachtenden metabolischen Enzephalopathien ein, sowie auf PLEDs (periodisch lateralisierte epileptiforme Entladungen) von denen die
Behandlungsbedürftigkeit gleichfalls kontrovers ist. Es wird betont, dass der non-konvulsive SE im Koma prinzipiell sich mindestens in 3 Gruppen manifestieren kann, 1. in solchen Patienten, bei denen ein konvulsiver SE voran-gegangen ist (oft nur durch EEG-Diagnostik erkennbar), 2. eine Gruppe die nur durch subtile klinische motorische Aktivität auffallen und 3. solche, die überhaupt keine klinischen Zeichen aufweisen. Im letzten Absatz wird kurz auf den posthypoxischen Myoclonus und auf seine ungünstige Prognose und schließlich auch seine symptomatische Behandlung durch Clonazepam, Valproat oder Levetiracetam eingegangen.

Kommentar:

Dieser sehr verdienstvolle Review stellt gewissermaßen einen „kleinen Gemüseladen“ der unterschiedlichen Aspekte des SE auf der Intensiv-Station dar, in dem auf vielfältige Aspekte eingegangen wird, ohne diese allerdings wirklich zu vertiefen. Dies ist aber nur teilweise dem Autor selbst anzulasten, da es einen hohen Bedarf an experimentellen und klinischen Studien zum SE gibt, sowohl was die pathophysiologischen, pathobiochemischen Vorgänge, wie auch die Richtlinien zur Therapiealgorhythmen angeht.

(B. Pohlmann-Eden)

Literatur:
Kaplan PW (2000) Prognosis in non-convulsive status epilepticus. Epileptic Disord 2: 185-193

Meldrum B (1991) Excitotoxicity and epileptic brain damage. Epilepsy Res 10: 55-61 Waterhouse EJ et al: Synergetic effect of status epilepticus and ischemic brain injury on mortality, Epilep Res., 1998 Feb 29 (3) 175 - 183