Czosnyka M, Pickard JD
In: J Neurol Neurosurg Psychiatry 2004; 75:813–821


BEWERTUNGSSYSTEM

*****    = hervorragende Arbeit
****    = gute grundlagenwissenschaftliche Arbeit/klinische Studie/Übersichtsarbeit
***    = geringer Neuheitswert oder nur für Spezialisten geeignet
**    = weniger interessant, leichte formale oder methodische Mängel
*    = erhebliche Mängel

 

nima 2-2004


Bewertung: ***





Zielstellung:

Übersichtsarbeit zur intrakraniellen Druckmessung und ihrer erweiterten Anwendung aus klinischer und biophysikalischer Sicht.

Design:

Es handelt sich um eine Übersichtsarbeit ohne standardisierte Recherche.

Wichtige Resultate:

Wichtige klinische Aspekte der Grundlagen zur Physiologie, Pathophysiologie und Messung des intrakraniellen Druckes (ICP) sowie der Indikationen und des Nutzens der konventionellen ICP-Messung werden angerissen. Hier wird nun speziell auf einige, dem Kliniker weniger geläufige, Techniken und Anwendungen eingegangen. Hierzu gehören die Untersuchung der ICP-Wellenform mittels Frequenzanalyse, sowie die Bewertung der zerebralen Autoregulation anhand dieser Methoden. Die Autoren unterscheiden eine vaskuläre (hier: AMP), eine respiratorische und eine langsame Komponente, die mittels Spektralanalyse voneinander getrennt werden können. Aus der ersten Komponente wird nun ein weiterer Index, bzw. Korrelationskoeffizient mit dem mittleren ICP (hier: RAP)  oder analog zwischen den Mittelwerten aus ICP und Blutdruck (hier: PRx, pressure-reactivity index) abgeleitet. Diese sollen es erlauben die Druck-Volumen-Reserve (ursprünglich: PVI, pressure-volume index), respektive die zerebrovaskuläre Druckreaktivität (Autoregulation), abzuschätzen. Desweiteren wird auf ihre Anwendungen i.R. der Infusionstestung bei idiopathischer intrakranieller Hypertension (pseudotumor cerebri), Normaldruckhydrocephalus und Shuntdysfunktion eingegangen. Ein Ausblick auf technisch noch in der Entwicklung stehende, nicht-invasive Methoden zur ICP-Messung wird gegeben. Hier wird in der Regel aus einer kontinuierlichen, kombinierten Pulskonturanalyse von Blutdruck und Blutflussgeschwindigkeit in der A. cerebri media ein Schätzwert des ICP gewonnen. Gegenwärtige Verfahren haben nach Angaben der Autoren eine Genauigkeit von +/- 10 mmHg in 80% der Messungen.

Schlussfolgerung:

Bei verschiedenen neurologisch-neurochirurgischen Krankheitsbildern wird die invasive, kontinuierliche Messung des ICP heutzutage als nützlich, wenn nichts sogar essentiell, angesehen. Die Wellenformanalyse der ICP-Kurve kann als Spezialanwendung zusätzliche Informationen liefern, die u.U. klinischen Nutzen versprechen. Einzeitige Druckmessungen, z.B. nach Lumbalpunktion, können irreführend sein, so dass eine Mittelung der Werte über mindestens 30 Minuten empfohlen wird. Nicht-invasive Techniken zur Bestimmung des ICP befinden sich in der Entwicklung.

Kommentar:

Die Autoren geben einen scharf-umrissenen Überblick der (patho)physiologischen Grundlagen. Der Abschnitt über Messmethodik ist ebenfalls kondensiert und weitestgehend auf die Erfahrungen der Autoren mit intraparenchymalen Mikrotransducern beschränkt. Auf interessante Neuerungen wie antibiotikabeschichtete Ventrikelkatheter und Telemetriesensoren der Shuntventiltechnik wird leider nicht eingegangen.
Wichtige klinische Aspekte der Indikationen und des Nutzens der konventionellen ICP-Messung werden in drei getrennten Abschnitten angerissen. Obwohl es aus ethischen Gründen letztendlich keine Evidenzbasis i.S. einer randomisierten Studie geben wird, ist der Nutzen der ICP-Messung bei Krankheitsbildern wie dem schweren Schädel-Hirn-Trauma und höhergradigen Subarachnoidalblutungen unter Neurochirurgen weitestgehend unangefochten. Wie und wann jedoch der erhöhte ICP behandelt werden sollte, wird teilweise noch kontrovers diskutiert. Ein Verdienst der Entwicklung evidenz-basierter Leitlinien ist es, hier Klarheit geschaffen zu haben.
In weiten Teilen des Artikels wird Spezialwissen zur Wellenformanalyse der ICP-Kurve vermittelt. Wie obenangeführt werden hierbei die Parameter AMP, RAP und PRx abgeleitet. Czosnyka und Pickard geben hier zahlreiche anschauliche Beispiele dieser Parameter in multiplen Trendanalysen. Obwohl es sich sicherlich um interessante Konzepte handelt, sind diese noch nicht in der Klinik etabliert.
Beispielsweise erfolgt die ICP-Messung bei wachen Patienten oftmals diskontinuierlich (z.B. durch Messung des mittleren Eröffnungsdruckes nach Lumbalpunktion). Die Autoren betonen die Notwendigkeit einer Messung und Mittelung der Ergebnisse über einen Zeitraum von mindestens 30 Minuten. Um der Dynamik des ICP gerecht zu werden, wird empfohlen, diese bei nicht-bewusstseinsgetrübten Patienten auch über Nacht durchzuführen. Infusionstestungen sind Spezialanwendungen der ICP-Messung bei idiopathischer intrakranieller Hypertension, Normaldruckhydrocephalus und Shuntdysfunktion. Auch hier werden Beispiele gegeben, wie die vaskuläre Komponente des ICP zusätzliche Informationen geben kann. Insgesamt reichen die Daten allerdings noch nicht, um ein Standardverfahren (einfache Druckmessung vs. Infusionstestung mit oder ohne Wellenformanalyse) zu begründen.
Der Abschnitt zur technischen Entwicklung nicht-invasiver ICP-Messverfahren ist interessant. Wenn die Genauigkeit dieser Schätzungen auch für die meisten klinischen Anwendungen noch unzureichend ist, zeichnet sich hiermit jedoch ein positiver Trend in der Entwicklung ab.
Obwohl Titel und Zusammenfassung der Arbeit von Czosnyka und Pickard etwas anderes suggerieren, kann diese die Lektüre eines aktuellen Lehrbuchkapitels zur Messung und Therapie des erhöhten intrakraniellen Druckes sicher nicht ersetzen. So konstatieren die Autoren zwar in einem Satz des abstracts, dass die computer-unterstützte Aufnahme und (Wellenform-)Analyse des ICP “sehr hilfreich” sei. Dieser Punkt wird auch über weite Teile dieser Arbeit erörtert und durch zahlreiche Publikationen der Autoren unterstützt. Die Ansprüche der meisten klinisch-tätigen Ärzte werden sich jedoch an den aktuellen Realitäten des ICP-Monitorings bemessen. Zur Veranschaulichung soll hier dienen, dass heutzutage in Deutschland und selbst bei “klaren” Indikationen, wie dem schweren Schädel-Hirn-Trauma, allein die konventionelle Hirndruckmessung nicht an allen Kliniken routinemäßig durchgeführt wird.
Für Fragen des Klinikers zum gegenwärtigen Stand der Indikationen zur ICP-Messung, sowie Therapierelevanz und -prinzipien, sollten, wie oben bereits angeführt, weitere Quellen zu Rate gezogen werden.

(O.W. Sakowitz)