Ziai WC, Varela PN, Zeger SL, Mirski MA, Ulatowski JA
In: Neurologic Critical Care 2003, 31: 2782-2787


BEWERTUNGSSYSTEM

*****    = hervorragende Arbeit
****    = gute grundlagenwissenschaftliche Arbeit/klinische Studie/Übersichtsarbeit
***    = geringer Neuheitswert oder nur für Spezialisten geeignet
**    = weniger interessant, leichte formale oder methodische Mängel
*    = erhebliche Mängel

 

nima 2-2004


Bewertung: ***





Zielstellung:

Ziel der vorliegenden Studie war es einerseits, prädiktive Faktoren hinsichtlich der Notwendigkeit einer verlängerten intensivmedizinischen Überwachung von neurochirurgischen Patienten nach operativer Entfernung eines intrazerebralen Tumors zu untersuchen und andererseits, die Art und das zeitliche Auftreten von intensivmedizinischen Maßnahmen bei den Patienten zu evaluieren, die nur kurzer postoperativer intensivmedizinsicher Überwachung bedürfen.

Design:

Es handelt sich um eine retrospektive Datenanalyse von insgesamt 158 Patienten, die innerhalb eines Jahres (1998-1999) nach einem neurochirurgischen Eingriff zur postoperativen Überwachung auf die Intensivstation verbracht wurden. Die Patienten wurden in zwei Gruppen unterteilt: Patienten, die nur einen Tag oder kürzer auf der Intensivstation verbrachten und Patienten, die aufgrund besonderer Vorkommnisse länger als einen Tag auf der Intensivstation behandelt werden mussten. Bei den Kurzliegern wurde zusätzlich unterschieden zwischen Patienten, die nach den ersten vier postoperativen Stunden, was der in der dortigen Klinik üblichen Zeit im Aufwachraum entspricht, noch einer intensivmedizinischen Intervention bedurften und Patienten, bei denen eine solche Maßnahme nur innerhalb der ersten vier postoperativen Stunden erforderlich war. Die Gruppen wurden anhand 9 verschiedener Parameter auf signifikante Unterschiede getestet. Hierzu gehörten drei präoperative Parameter wie das Alter, supra- oder infratentorielle Tumorlokalisation und eine radiologische Graduierung des Tumors (Masseneffekt, Mittellinien naher Tumor, Mittellinienverlagerung). Perioperative Parameter schlossen ein die Dauer der Operation, Flüssigkeitsgabe und Blutverlust, die intraoperative Gabe von Vasopressoren, die intraoperative histologische Schnellschnittdiagnose, die sofortige Extubation am Ende der Operation sowie ein neu aufgetretenes neurologisches Defizit.

Wichtige Resultate:

135 (85%) der 158 Patienten konnten die Intensivstation innerhalb eines Tages wieder verlassen. 23 Patienten (15%) blieben länger (im Mittel 6(2 Tage). Prognostische Faktoren hinsichtlich eines verlängerten Aufenthaltes waren die radiologische Kriterien der Tumorlokalisation, Blutverlust und Volumengabe sowie die Unmöglichkeit der sofortigen Extubation im OP. Von den Patienten, die nur einen Tag auf der Intensivstation verbrachten, brauchten 33% eine intensivmedizinische Intervention nach den ersten 4 Stunden. In dieser Gruppe fanden sich signifikant mehr Frauen und ein signifikant höherer Anteil von Patienten mit gutartigen Tumoren sowie Patienten, die nicht sofort extubiert werden konnten. Bei den Interventionen nach den ersten vier Stunden handelte es sich am häufigsten um die intravenöse Gabe von Analgetika (72% aller Maßnahmen).


Schlussfolgerung:

Die Autoren ziehen die Schlussfolgerung, dass nur ein geringer Anteil der operierten Patienten einen verlängerten Aufenthalt auf der Intensivstation benötigt. Hierzu gehören Patienten mit besonderen radiologischen Kriterien hinsichtlich der Tumorlokalisation, erhöhtem Blutverlust und vermehrter Volumengabe während der Operation, und Patienten, die am Ende der Operation nicht zu extubieren sind. Bei den Kurzliegern sind die Interventionen, die nach den ersten vier Stunden gemacht werden, meistens nur von geringer intensivmedizinische Bedeutung und betreffen am häufigsten die Gabe von Analgetika. Die Autoren gehen daher davon aus, dass viele der Patienten auch im Aufwachraum nachbeobachtet werden könnten, was zu einer Kostenreduktion und geringeren Belastung der Intensivstationen führen könnte.

Kommentar:

Die vorliegende Arbeit untersucht die Notwendigkeit eines postoperativen Aufenthaltes auf der Intensivstation von neurochirurgischen Patienten, die sich einer operativen Entfernung eines Hirntumors unterzogen haben. Einmal mehr liegen einer solchen Untersuchung sozioökonomische Aspekte hinsichtlich der Reduktion von Kosten zugrunde. Die Untersuchung zeigt, dass nur ein geringer Anteil von 15% der Patienten eines längeren Aufenthaltes benötigt. Dies sind Patienten mit besonderen radiologische Kriterien hinsichtlich der Tumorlokalisation, vermehrtem Blutverlust während der Operation und die Unmöglichkeit, den Patienten nach der Operation zu extubieren.
Die Evaluation einer solche Fragestellung ist sicherlich schwierig und das Ergebnis kann immer nur unter der spezifischen Krankenhaussituation bewertet werden. Hierzu gehört unter anderem der Gesichtspunkt, ob eine spezialisierte neurochirurgische Intensivstation mit speziell ausgebildeten Pflege- und Ärztepersonal existiert oder ob der Patient postoperativ auf eine zentrale Intensivstation verlegt wird, was sicherlich bei der Überwachung und der Behandlung der Patienten von Bedeutung ist. Neben der rein chirurgischen Fragestellung spielen bei der Entscheidung zur postoperativen Überwachung auch andere Faktoren wie kardiale und pulmonale Begleiterkrankungen eine Rolle. Dies wurde von den Autoren nicht in die Analyse mit einbezogen. Neben der Tatsache, dass es sich um eine retrospektive Analyse mit den damit verbunden Problemen der Datenerhebung handelt, ist die Auswertung insofern schwierig, da nur 23 Patienten einen verlängerten Aufenthalt auf der Intensivstation hatten. Anhand dieser geringen Patientenzahl prädiktive Faktoren mittels einer multivariaten logistischen Regression zu erheben ist als äußerst fraglich anzusehen. Auch ist der radiologische Score zu kritisieren, dessen Einzelkriterien schlecht definiert sind und sich in zwei Punkten überschneiden (Masseneffekt und Mittellinienverlagerung). Auch die Unterscheidung bei den Kurzliegern, bei denen Frauen und Patienten mit einem gutartigen Hirntumor nach den ersten vier Stunden noch intensivmedizinischer Interventionen bedurften muss hinterfragt werden. Zum einen ist das Geschlecht initial nicht als prädiktiver Faktor definiert worden, zweitens könnte es sein, dass sich weibliches Geschlecht und gutartiger Tumor (z.B. Meningeome) überschneiden. Alles in allem ist die Schlussfolgerung der Autoren somit mit äußerster Vorsicht zu betrachten. Die mögliche Kosteneinsparung, die durch Vermeidung einer postoperativen Überwachung auf der Intensivstation erreicht werden kann, sollte allerdings mit dem Risiko eines zu spät erkannten neurologischen Defizites gegengerechnet werden. Hierzu gehören nicht nur die unmittelbar postoperativen Kosten, sondern auch die Langzeitkosten, die durch das Auftreten eines permanenten Defizites entstehen könnten. So ist den Autoren nur einem Punkt zuzustimmen, nämlich der Tatsache, dass weitere Daten in einer prospektiven Studie erhoben werden müssen.

(E. Uhl)