Naval NS, Stevens RD, Mirski MA, Bhardwaj A
In: Crit Care Med 2006;34:511-524


BEWERTUNGSSYSTEM

*****    = hervorragende Arbeit
****    = gute grundlagenwissenschaftliche Arbeit/klinische Studie/Übersichtsarbeit
***    = geringer Neuheitswert oder nur für Spezialisten geeignet
**    = weniger interessant, leichte formale oder methodische Mängel
*    = erhebliche Mängel

 

NIMA  2 2006


Bewertung: ****





Zielstellung:

Übersichtsarbeit in Hinblick auf die jüngsten Entwicklungen und Kontroversen in der Sekundärprophylaxe und Therapie aneurysmaler Subarachnoidalblutungen (SAB) und deren Komplikationen.

Design:

Der vorliegende systematische review zitiert insgesamt 158 Literaturstellen mit breiter Streuung der Aktualität (1972 bis 2005). Als Suchbegriffe wurden Aneurysma, subarachnoidal, Blutung, Vasospasmus und Ischämie unter Einbezug von MEDLINE, Cochrane Datenbanken und eigener Durchsicht von Literaturverzeichnissen verwendet. Acht Themenkomplexe werden jeweils in Form einer kurzen Einleitung und anschließender Darstellung der vorliegenden Studienergebnisse abgehandelt, zusammengefasst und kommentiert.

Wichtige Resultate:

Die bislang größte randomisierte Multicenterstudie (ISAT = International Subarachnoid Aneurysm Trial) zu der Frage, welcher Form der Sekundärprophylaxe einer aneurysmalen SAB (aSAB) der Vorzug zu geben ist, zeigt für Patienten mit einer aSAB Hunt & Hess I-III° hinsichtlich des 1-Jahres-Outcomes bei Vorliegen eines Aneurysmas der vorderen Zirkulation eine Überlegenheit der endovaskulären Sekundärprophylaxe (Coiling) im Vergleich zum operativen Vorgehen (Clipping). Einschränkend besteht zwar eine erhöhte Rate unvollständig versorgter oder im Verlauf rekurrenter Aneurysmen nach Coiling mit entsprechend erhöhtem Reblutungsrisiko und dem Erfordernis einer erneuten Intervention; im Langzeitverlauf scheint das Coiling angesichts seiner niedrigeren Mortalität und geringer Risiken epileptischer Anfälle und kognitiver Defizite dennoch die überlegene Methode. Unklar bleibt zum gegenwärtigen Zeitpunkt der Einfluss der jeweiligen Methode auf die Prävalenz zerebraler ischämischer Komplikationen.
Hinsichtlich der Detektion komplikativer Vasospasmen (vornehmlich der A. cerebri media) muss die transkranielle Dopplersonografie in Kombination mit der farbkodierten Duplexsonografie nach wie vor als am einfachsten verfügbare und sinnvollste Verlaufsuntersuchung angesehen werden. Für alle übrigen in diesem Zusammenhang untersuchten Methoden ( u.a. CT-Angiografie ggf. in Kombination mit Perfusions-CT, cMRT inkl. DWI und PWI, Mikrodialyse und EEG) stehen eindeutige Ergebnisse, die eine Empfehlung ihrer Priorisierung nach sich zögen, aus.
Hinsichtlich des Managements manifester Vasospasmen legen Beobachtungsstudien älteren Datums die Sinnhaftigkeit einer hämodynamisch wirksamen, druckunterstützenden Therapie nahe, wobei bislang nicht hinreichend geklärt ist, welcher Parameter (mittlerer arterieller Druck versus cardiac output) als Zielgröße zur Steuerung des Volumenangebots bzw. der Wahl des geeigneten Katecholamins herangezogen werden sollte. Es bleibt unklar, welchen Anteil Hämodilution und Perfusionsdrucksteigerung am Therapieerfolg haben, zumal in einer Studie keine Erhöhung des zerebralen Blutflusses erreicht werden konnte. Bei guten technischen Erfolgen der transluminalen Ballon-Angioplastie zur Therapie manifester Vasospasmen werden aber auch die damit einhergehenden Risiken (Gefäßdissektion, -ruptur, -thrombose und Reperfusionsblutung) genannt. Größter Nachteil des Einsatzes der intraarteriell vasodilatatorisch wirksamen Substanz Papaverin ist neben ihrer Neurotoxizität der nur transiente vasodilatatorische Effekt. Für alle anderen zerebralen Vasodilatatoren liegen lediglich anekdotische Berichte vor. Kleinere Fallserien weisen zwar auf einen positiven Effekt hinsichtlich des Einsatzes einer Intraaortalen Ballonpumpe (IABP) hin, in Ermangelung ausreichender Studienevidenz erscheint diese Option zum gegenwärtigen Zeitpunkt wie auch der therapeutische Einsatz einer Hypothermie oder die Induktion eines Barbituratkomas lediglich als ultima ratio nach Ausschöpfung der anderen o.g. Therapieoptionen erwägenswert.
Als neuroprotektive Pharmakotherapie ist die orale Gabe von Nimodipin bekanntermaßen gut belegt. Bei Patienten der Schweregrade Hunt & Hess °IV und V erscheint nach einer Metaanalyse der 4 zu dem Einsatz des Lazaroids Tirilazad-Mesylat vorliegenden Studien die Gabe dieser Substanz gerechtfertigt. Die intravenöse Gabe von Magnesium und der Einsatz von Statinen bedürfen weiterer Untersuchungen.
Die vorliegenden Ergebnisse zur Applikation thrombolytisch wirksamer Substanzen in den Subarachnoidalraum legen zwar eine mögliche positive Wirksamkeit hinsichtlich des Outcomes nahe, bedürfen aber der weiteren Untermauerung durch randomisierte, kontrollierte Studien mit ausreichend großen Patientenkollektiven. Gleiches gilt für den Einsatz thrombozytenaggregationshemmender Substanzen. Für den primärprophylaktischen Einsatz von Antikonvulsiva liegt keine positive Studienevidenz vor.
Zum Thema kardiale Komplikationen bei SAB ergeben sich keine relevanten neuen Aspekte. Die aus der Kardiologie bekannten Zusammenhänge zwischen erhöhten BNP (B-Typ des natriuretischen Peptids)-Spiegeln und erhöhtem Risiko hinsichtlich eines Herztodes bei prädisponierender Grunderkrankung (KHK und dekompensierter Herzinsuffizienz) scheinen sich insofern auch bei aSAB-Patienten widerzuspiegeln als dass erhöhte BNP-Spiegel mit der Entwicklung einer kardialen Dysfunktion zu korrelieren scheinen. Gegenstand der Diskussion bleibt aber neben der ursächlichen Quelle des BNP-Anstiegs (kardial versus zerebral) auch die Frage nach einer eventuellen therapeutischen Konsequenz.

Schlussfolgerungen:

Den wenigsten auf dem Gebiet der akut- und intensivmedizinischen Versorgung von aSABs und deren Komplikationen etablierten Behandlungsschemata liegt eine prospektiv randomisiert gesicherte Wirksamkeit zugrunde. Grundlegende Therapiestrategien, die vormals als Standard galten (operative Aneurysmaausschaltung) haben einen Wandel erfahren und sind in ihrer Wertigkeit in Frage gestellt worden. Um die erheblichen Lücken in der Evidenz verschiedener, aktuell diskutierter diagnostischer und therapeutischer Verfahren schließen zu können, werden weitere, groß angelegte, multizentrische Studien Verfahren notwendig sein.

Kommentar:
Die vorliegende Übersichtsarbeit wird dem Titel, die wesentlichen Kontroversen im Management der aSAB und ihrer Komplikationen aufzugreifen durchaus gerecht und bietet einen umfassenden Überblick der Datenlage unter besonderer Berücksichtigung der jüngsten Studienergebnisse. Gut gelungen ist dabei die Untergliederung in 8 wesentliche Themenkomplexe mit tabellarischer Auflistung der zu den jeweiligen Themen existenten Evidenzen bzw. Empfehlungen mit Anregungen seitens der Autoren hinsichtlich sinnvoller zukünftiger Studiendesigns. Klar wird hierbei, dass vielerorts gängiges diagnostisches und therapeutisches Vorgehen einer ausreichenden wissenschaftlichen Evidenz entbehrt. Die einzigen Level I Evidenzen (Grad A) liegen für die Themengebiete Clipping vs. Coiling und den neuroprotektiven Einsatz des Calciumantagonisten Nimodipin vor. Mit Vorliegen neuerer Daten der ISAT-Studie aus dem Jahr 2005 über das als unzureichend kritisierte 1-Jahres-Outcome hinaus, erscheint der Vorteil der endovaskulären Therapie eines rupturierten Aneurysmas im Bereich der vorderen Zirkulation bei gutem klinischen Zustand des Patienten und geeigneter Aneurysmaanatomie hinreichend gut belegt; bei einem mittleren Follow-up von 4 Jahren ist die Rezidivblutungsrate mit 0,2% pro Patient im Jahr zwar höher als in der operativ therapierten Patientengruppe, insgesamt jedoch sehr niedrig und offensichtlich ohne wesentliche Einflussnahme auf die Prognose (Mortalitätsrate verbunden mit rekurrenten aSABs).
Hinsichtlich der Detektion komplikativer Vasospasmen bleibt die transkranielle Dopplersonografie aufgrund der raschen und einfachen Handhabung als bed-side-Test nach wie vor die am einfachsten verfügbare und sinnvollste Verlaufsuntersuchung, deren Sensitivität und Spezifität durch den Einsatz der farbkodierten Duplexsonografie erhöht werden kann. Klinisch praktikabel/sinnvoll erscheint zum gegenwärtigen Zeitpunkt ein an die jeweiligen technischen Gegebenheiten angepasstes Vorgehen, das basierend auf den bekannten Ultraschall-Parametern, die mit einem angiografischen Vasospasmus korrelieren (rascher Anstieg der Strömungsgeschwindigkeiten >50 cm/sec in 24 h; Erreichen mittlerer Strömungsgeschwindigkeiten von 200 cm/sec, Lindegaard-Index >3) ein weiteres diagnostisch-bildgebendes Verfahren (CT-Perfusion, diffusions- und perfusionsgewichtete kernspintomografische Sequenzen) anschließt, um ggf. eine endovaskuläre (Ballondilatation) u./o. pharmakologische Intervention (Papaverin, v.a. bei distaler gelegeneren Vasospasmen) anzuschließen. Grundsätzlich erwägenswert erscheint der prophylaktische Einsatz der transluminalen Ballon-Angioplastie bei Patienten mit einem hohen Risiko Vasospasmus-assoziierter Komplikationen. Ob der Nutzen dieser Therapie ihre Risiken übertrifft ist eine weitere Frage an zukünftige Studien.
Der Einsatz von Nimodipin p.o. als Neuroprotektivum ist hinreichend gut belegt; keine weitere neuroprotektive Substanz hat bislang überzeugende Ergebnisse geliefert. Die Autoren weisen allerdings zurecht darauf hin, dass die Frage offen bleibt, ob die Effekte von Nimodipin bei aneurysmaler SAB tatsächlich auf einen neuroprotektiven Effekt der Substanz selbst oder vielmehr auf ein vermehrtes Volumenangebot (und damit aggressiveres Triple-H Management) als Reaktion auf einen Nimodipin-bedingten Blutdruckabfall zurückzuführen sind. Der Einsatz von Tirizalad bei Patienten mit aSABs Hunt & Hess°IV-V scheint gerechtfertigt. Auch die intravenöse Gabe von Magnesium erscheint insofern gerechtfertigt, als in einer randomisierten, placebo-kontrollierten Studie hinsichtlich des Auftretens verzögerter ischämischer Defizite zwar keine signifikante Reduktion des relativen Risikos gezeigt werden konnte, allerdings signifikant mehr behandelte Patienten einen mRS von 0 nach 3 Monaten aufwiesen.
Hinsichtlich des Einsatzes von Statinen (Pravastatin) zeigte eine Studie jüngeren Datums bei allerdings kleinem Kollektiv eine Reduktion der DIND-Inzidenz um 83% und eine Reduktion der Mortalität um 75%. Allerdings traten in dieser Studie Vasospasmen und verzögerte ischämische Defizite nach Beendigung der Statin-Therapie (jenseits von 14 Tagen) auf. Der Behandlungszeitraum sollte also offensichtlich über 14 Tage hinaus ausgedehnt und ein abruptes Absetzen vermieden werden. Diese Empfehlung wird weiter untermauert durch das Ergebnis einer retrospektiven Analyse, die zeigt, dass SAB-Pat. bei denen eine präexistente Statin-Therapie nach dem Ereignis abgesetzt wurde, möglicherweise ein schlechteres Outcome haben.
Ein primärprophylaktischer Einsatz von Antikonvulsiva erscheint wie bei anderen zerebrovaskulären Erkrankungen nicht sinnvoll. Zur Sekundärprophylaxe aufgetretener Anfälle sollten gut verträgliche, möglichst nebenwirkungsarme Antikonvulsiva der neueren Generation zur Anwendung kommen.

(B. Otto)