Molyneux AJ, Kerr RSC, Yu LM, Clarke M, Sneade M, Yarnoid JA, Sandercock P, for the International Subarachnoid Aneurysm Trial (ISAT) Collaborative Group
In: Lancet 2005; 366: 809-817


BEWERTUNGSSYSTEM

*****    = hervorragende Arbeit
****    = gute grundlagenwissenschaftliche Arbeit/klinische Studie/Übersichtsarbeit
***    = geringer Neuheitswert oder nur für Spezialisten geeignet
**    = weniger interessant, leichte formale oder methodische Mängel
*    = erhebliche Mängel

 

NIMA  2 2006


Bewertung: *****





Zielstellung:

Die Autoren veröffentlichten die 1-Jahres-Ergebnisse der prospektiven randomisierten ISAT-Studie (International subarachnoid aneurysm trial), in der die beiden Behandlungsoptionen der zerebralen Aneurysmabehandlung, das neurochirurgische Clipping und das endovaskuläre Coiling, bezüglich der Mortalität, des klinischen Outcomes, der Aneurysma-Okklusionsrate sowie möglicher Re-Blutungen und posttherapeutischer epileptischer Anfälle miteinander verglichen wurden.

Design:

Es wurden multizentrisch 2143 Patienten mit einer Subarachnoidalblutung (SAB) wegen eines angiographisch nachgewiesenen, intrakraniellen Aneurysmas, welches prinzipiell mit beiden verfügbaren Therapiemethoden behandelt werden konnte, randomisiert. In den 42 vornehmlich europäischen neurovaskulären Zentren wurden 1070 Patienten dem neurochirurgischen und 1073 Patienten dem endovaskulären Arm zugeordnet. Primäre Endpunkte waren Tod und eine bleibende Funktionsstörung >/= 3 auf der modifizierten Rankin-Skala (MRS). Sekundäre Endpunkte waren eine Re-Blutung aus dem behandelten Aneurysma und das Auftreten posttherapeutischer epileptischer Anfälle.
Die Studie startete 1994 mit einer Pilotstudie. Die Daten der vorliegenden Arbeit wurden zwischen 1997 und November 2004 akquiriert.

Wichtige Resultate:

95% der behandelten Aneurysmata waren im Karotisstromgebiet lokalisiert. Die mittlere follow-up Zeit betrug 4 Jahre. 23,5% der endovaskulär behandelten und 30,9% der chirurgisch behandelten Patienten waren nach einem Jahr schwer betroffen oder tot. Das ergab eine absolute Risikoreduktion um 7,4% und eine relative Risikoreduktion um 23,9% für die endovaskuläre Behandlung gegenüber der chirurgischen Behandlung (p=0,0001). Anhand von Kaplan-Meier-Kurven und einem Logrank-Test zum Vergleich der Überlebenskurven zeigte sich eine höhere Mortalität nach der chirurgischen als nach der endovaskulären Behandlung in den ersten 7 Jahre nach der Aneurysma-Behandlung (log rank p=0,03).
Eine intra-arterielle angiographische Kontrolluntersuchung wurde während der Nachbeobachtungszeit bei 89% der endovaskulär behandelten und bei 47% der chirurgisch behandelten Patienten durchgeführt. Hierbei zeigte sich, dass nach Coiling in 66% der Fälle und nach Clipping in 82% der Fälle ein kompletter Verschluß vorlag.
Re-Blutungen aus dem „target“-Aneurysma traten insgesamt sehr selten auf, aber nach Coiling häufiger als nach Clipping (log rank p=0.22), wobei sich hier 7 Blutungen nach Coiling und 2 Blutungen nach Clipping während des ersten Jahres gegenüberstanden.
Posttherapeutische epileptische Anfälle wurden hochsignifikant häufiger nach Clipping als nach Coiling diagnostiziert: Innerhalb des ersten Jahres wurden in 27 (post-coiling) versus 44 (post-clipping) Fällen und nach einem Jahr in 14 (post-coiling) versus 24 (post-clipping) Fällen epileptische Anfälle beobachtet.

Schlussfolgerungen:

Die Autoren kommen zu dem Ergebnis, dass in der Behandlung von intrakraniellen Aneurysmata, die beiden Behandlungsmethoden gleich gut zugänglich sind, das endovaskuläre Coiling mit einer größeren Wahrscheinlichkeit zu einem Überleben mit einem MRS von 0 bis 2 nach einem Jahr führt als das neurochirurgische Clipping. Die Gefahr einer Re-Blutung ist insgesamt gering, wobei die Blutungsrate nach einem Clipping noch niedriger als nach einem Coiling ist.

Kommentar:

Die Autoren der ISAT-Studie haben sich in Form einer prospektiven systematischen Untersuchung mit dem therapeutischen Dilemma beschäftigt, welche Therapiemethode (Clipping oder Coiling) bei prätherapeutisch anzunehmender gleich guter Behandelbarkeit des rupturierten Aneurysmas die für den Patienten im Verlauf günstigere ist. Dies ist angesichts der erheblichen Inzidenz der SAB mit 7 bis 15 Fällen auf 100000 Einwohner pro Jahr sowie der sozialmedizinischen Folgen einer SAB mit einer dauerhaften Behinderung auch jüngerer Patienten von großer Bedeutung.
Bereits in der Veröffentlichung der vorläufigen ISAT-Ergebnisse vor dreieinhalb Jahren (Molyneux A et al. Lancet 2002) zeichnete sich ab, dass das neurologische Outcome der endovaskulär behandelten Patienten nach einem Jahr besser ist als das der chirurgisch behandelten. Schon anhand der zu diesem Zeitpunkt ausgewerteten 1594 Patienten ließ sich eine relative Risikoreduktion von 22,6% und eine absolute Risikoreduktion von 6,9% zugunsten des Coilings nachweisen. Dieses Ergebnis der nicht-geblindeten Interimsanalyse vom Mai 2002 führte sogar zum sofortigen Stopp der Patientenakquisition. Die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit bestätigen die oben genannten Ergebnisse nach Auswertung aller eingeschlossenen Patienten (n = 2143).
Verschiedene Autoren haben zu Recht darauf hingewiesen, dass lediglich 22% der ursprünglich für eine mögliche Studienteilnahme gescreenten Patienten letztlich in die Studie eingeschlossen wurden. Dies legt die Vermutung nahe, dass sich ein Bias eingeschlichen haben könnte. Die Ergebnisse dürfen daher auch sicher nicht auf die Behandlung aller Patienten mit rupturierten intrakraniellen Aneurysmata übertragen werden: In der ISAT-Studie waren in beiden Gruppen mehr als 90% der Aneurysmata Der ebenfalls von Neurochirurgen häufig vorgebrachte Kritikpunkt an der Studie, die operativen Ergebnisse der ISAT-Studie bezüglich der Mortalität und der inkompletten Aneurysmaokklusionen (primäre chirurgische Okklusionsrate 82%) seien im Vergleich zu früheren, originär neurochirurgischen Studien oder eigenen Ergebnissen zu schlecht, ist nur sehr bedingt haltbar, zumal hochspezialisierte endovaskuläre Zentren mit großer Erfahrung im Coiling von Aneurysmata das Argument in gleicher Weise für sich einfordern könnten. Die Okklusionsrate nach Coiling lag in der ISAT-Studie nur bei 66%; die rasante Weiterentwicklung der Embolisationsmaterialien nach Beendigung der ISAT-Studie wie die Verwendung bioaktiv beschichteter Coils, intrakranieller Stents und Ballons und der Einsatz von sog. 3-D-Coils bei breitbasigen Aneurysmata wird zu einer weiteren Steigerung der primären Okklusionsrate nach Coiling führen.
Gespannt darf man sicherlich auf die Veröffentlichung der angekündigten Langzeitergebnisse bezüglich etwaiger Re-Blutungen und der angiographisch gesicherten Okklusionsraten nach endovaskulärer Behandlung sein. Auch die von den Autoren in Aussicht gestellte, dezidierte Analyse der Fälle mit einer posttherapeutischen Epilepsie wird für alle beteiligten Fachdisziplinen von großem Interesse sein. Eine der wichtigsten Konsequenzen, die aus der ISAT-Studie für Neurochirurgen, Neuroradiologen und Neurologen unmittelbar zu ziehen ist, ist die Einsicht, dass die Entscheidung für oder gegen eines der Behandlungsverfahren immer eine individuelle sein muß, bei der die Aneurysmalokalisation und -morphologie, das Patientenalter, der klinische Zustand des Patienten sowie die Erfahrung des Therapeuten eine entscheidende Rolle spielen. Diese Entscheidung muß direkt nach der Durchführung der diagnostischen Angiographie unter Berücksichtigung aller o.g. klinischen und angiologischen Faktoren interdisziplinär getroffen und getragen werden, frei von berufspolitischen Interessen und zum Wohle des Patienten.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass mit der vorliegenden Arbeit und der Vorläuferarbeit von 2002 eine hervorragende klinische Studie auf höchstem Evidenzniveau durchgeführt wurde, in der sich das Aneurysma-Coiling nicht nur als eine Therapieoption sondern vielmehr als eine gering-invasive und höchst effektive Behandlungsalternative zum Clipping herausgestellt hat. Die Studienergebnisse zeigen zudem, dass die Aneurysmabehandlung der Gegenwart und der Zukunft nur noch unter gleichberechtigter Berücksichtigung beider Therapieverfahren verantwortungsvoll an neurovaskulären Zentren mit erfahrenen Neurointerventionalisten und Neurochirurgen durchgeführt werden darf.

(G. Schulte-Altedorneburg)