Mayer SA, Brun NC, Begtrup K, Broderick J, Davis S, Diringer MN, Skolnick BE, Steiner T for the rekombinant activated factor VII intracerebral hemorrhage trial investigators
In: NEJM 2005; 352: 777- 785


BEWERTUNGSSYSTEM

*****    = hervorragende Arbeit
****    = gute grundlagenwissenschaftliche Arbeit/klinische Studie/Übersichtsarbeit
***    = geringer Neuheitswert oder nur für Spezialisten geeignet
**    = weniger interessant, leichte formale oder methodische Mängel
*    = erhebliche Mängel

 

NIMA  2 2006


Bewertung: *****





Zielstellung:

Broderick und Brott aus Cincinnatti fanden Ende der 90iger Jahre durch serielle CT-Untersuchungen heraus, dass sich intrazerebrale Blutungen in den ersten Stunden erheblich weiter ausdehnen. Aufgrund dieser Ergebnisse wurde nach Möglichkeiten einer Begrenzung dieses initialen Wachstums gesucht. Ideal schien der Gerinnungsfaktor VII. Er soll rein theoretisch nur am Ort einer Blutung wirken. Damit war das Ziel der Studie die Untersuchung der therapeutischen Wirksamkeit von rekombinantem Faktor VII zur Vermeidung des Hämatomswachstums nach intrazerebraler Blutung.

Design:

Randomisierte und kontrollierte Studie an 399 Patienten mit nachgewiesener intrazerebraler Blutung, die innerhalb der ersten drei Stunden ein CCT und dann Plazebo (96 Patienten), 40 µg/kg (108 Patienten), 80 µg/kg (92 Patienten) oder 160 µg/kg Körpergewicht Novoseven (102 Patienten) eine Stunde nach dem CCT erhielten. Es wurde als primärer Endpunkt das Hämatomwachstum nach 24 h untersucht und weiterhin die klinischen Parameter nach 90 Tagen.

Wichtige Resultate:

Die Hämatome in der Plazebogruppe wuchsen stärker als bei Patienten unter Verum (29% Wachstum in der Plazebogruppe, 16%, 14% und 11% in den drei Novosevengruppen, aufsteigende Dosierung, p< 0.01). In absoluten Zahlen kam es zu einer Reduktion des Hämatomwachstums gegenüber Plazebo in den drei Dosisgruppen von 3,3/4,5 und 5,8 ml. Der Endpunkt Tod und schwere Behinderung trat bei 69% der Plazebogruppe ein, dagegen bei 55, 59 bzw. 54% der drei Dosisgruppen (p= 0.004). Die Letalität war 29% nach 90 Tagen für die Plazebogruppe und 18% für die drei Novosevengruppen zusammen (p= 0,02). Schwere thromboembolische Komplikationen traten bei 2 Patienten der Plazebogruppe und sieben der drei Verumgruppen auf (p=0,12). Es handelte sich um Herz- und Hirninfarkte.

Schlussfolgerungen:

Die Autoren schlussfolgern, dass die Behandlung mit Novoseven in den ersten vier Stunden nach einer intrazerebralen Blutung zu einer Reduktion der Ausbreitung der Blutunge, zu verminderter Sterblichkeit und reduzierter Behinderung führt, trotz einer leichten Zunahme an thromboembolischen Komplikationen.

Kommentar:

In der Gruppe der Schlaganfallerkrankungen ist die intrazerebrale Blutung eher vernachlässigt. Dies lag bisher v.a. an dem Fehlen spezifischer Therapiemaßnahmen außer der konservativen Behandlung des erhähten intrakraniellen Drucks oder der strittigen Hämatomausräumung. Die Mortalität der spontanen intrazerebralen Blutung ist hoch und neben den Steigerungen des intrakraniellen Druckes kommt es durch die Blutung selbst zu erheblichen Gewebsschädigungen. Nun stellt die NOVO-SEVEN Studiengruppe im NEJM ihre Ergebnisse vor. Spannend sind die sehr guten Zahlen zu dem Hämatomwachstum in der Placebogruppe, wo es zu einer 29% Gräßenzunahme kam. Dies entspricht der klinischen Beobachtung und kann als Meilensteinbefund für weitere Studien benutzt werden. Die Reduktion des Hämatomvolumens zwischen 3 und 6 ml wirkt gering, allerdings kann es sich hier um die Verhinderung des "Tropfens, der das Faß zum †berlaufen bringt" handeln, d.h. auch kleine Hämatomvolumina kännen bei erschäpften intrakraniellen Reserveräumen zu starker klinischer Verschlechterung führen. Dies erklärt, warum, trotz der nicht unerheblichen Zunahme (von 2 auf 7%) thromboembolischer Komplikationen, die Rate der Patienten mit schlechtem Outcome zwischen 15 und 20% gesenkt werden konnte. Die Autoren schlussfolgern, dass rekombinanter Faktor VII das Hämatomwachstum vermindert, die Mortalität reduziert und das funktionelle Outcome verbessert. Dem kann grundsätzlich zugestimmt werden, ob die aber doch nur relativ geringen Unterschiede die derzeit hohen Medikamentenkosten von rund 5000€ pro Fall rechtfertigen, sei weiteren, auch Budget-, Diskussionen überlassen. Ungeklärt ist auch die bestmägliche Dosis, während in der Hochdosisgruppe (Dosis doppelt so hoch wie bei einer Bluterbehandlung) die Hämatombegrenzung am stärksten war, waren hier auch die Komplikationen am häufigsten und Outcomeunterschiede wurden klinisch zwischen den Gruppen nicht festgestellt. Die Studiengruppe und die unterstützende Pharmafirma führen deshalb derzeit eine neue Studie durch. Hierbei wird eine niedrigere Dosis untersucht und es soll die niedrigst noch wirksame Dosis bestimmt werden. In einem die Veräffentlichung begleitenden Editorial im NEJM gehen Brown und Morgenstern auf weitere Limitationen der Studie ein, insbesondere wird zu Recht bemängelt, dass Blutdruckeffekte und Therapieabbrüche nicht ausreichend gewürdigt wurden.
Bis zu einer Aufnahme der Therapie der intrazerebralen Blutung mit rekombinantem Faktor VII in die aktuellen Leitlinien muss trotz aller Euphorie von Seiten der unterstützenden Pharmafirma und den Studienteilnehmern das Ergebnis der Nachfolgestudie und die Zulassungsdebatte (Benefit vs Kosten und erhähten thromboembolischen Komplikationen) abgewartet werden. Einschränkend kommt hinzu, dass das enge Zeitfenster von 4 h nach Symptombeginn die Verbreitung der Therapie ähnlich, wie bei der Lyse des ischämischen Hirninfarktes, auf einen exklusiven Patientenkreis einengen würde. Studien zu einer Optimierung der Blutdruckbehandlung in der Akutphase oder der Therapie des erhähten intrakraniellen Drucks, neben weiteren Studien zur Patientenselektion für die operative Behandlung, kännten ähnliche wenn nicht dramatischere Effekte bei Patienten mit intrazerebralen Blutungen erzielen.

(G. F. Hamann)