Steiner LA, Coles JP, Johnston AJ, Chatfield DA, Smielewski P, Fryer TD, Aigbirhio FI, Clark JC, Pickard JD, Menon DK, Czosnyka M
In: Stroke. 2003;34:2404-9


BEWERTUNGSSYSTEM

*****    = hervorragende Arbeit
****    = gute grundlagenwissenschaftliche Arbeit/klinische Studie/Übersichtsarbeit
***    = geringer Neuheitswert oder nur für Spezialisten geeignet
**    = weniger interessant, leichte formale oder methodische Mängel
*    = erhebliche Mängel

 

NIMA  2 2006


Bewertung: ****





Zielstellung:

Die von der Arbeitsgruppe von Herrn Steiner vom Wolfson Brain Imaging-Center in Cambridge publizierte Arbeit beschäftigt sich mit der Fragestellung, ob patientennahe Messverfahren der cerebralen Autoregulation bei Patienten nach einem Schädelhirntrauma, einem definierten Referenzverfahren gegenüber valide sind. Diese Fragestellung ist von erheblicher Bedeutung für die Neuro-Intensiv-Medizin, denn es hat sich gezeigt, dass insbesondere bei Patienten nach einem Schädelhirntrauma die Autoregulation zum Teil erheblich eingeschränkt sein kann und darüber hinaus, eine eingeschränkte cerebrale Autoregulation einen negativen Prädiktor für das Langzeit-Outcome darstellt. Demgemäß wäre es wünschenswert, patientennahe Testverfahren zu haben, um einerseits gefährdete Patienten zu erkennen und andererseits die Grundlage für pharmakologische Interventionsstudien zu geben. Als Referenzverfahren in dieser vorliegenden Arbeit diente ein Positronen-emmissions-tomographisches Verfahren, welches gleichzeitig den cerebralen Blutfluss und die cerebrale Metabolisierungsrate für Sauerstoff gemessen hat. Aus diesen Parametern wurde ein Autoregulationsmaß errechnet (SRORPET) was die prozentuale Veränderung der cerebrovaskulären Resistenz geteilt durch die prozentuale Änderung des cerebralen Perfusionsdruckes (CPP), der diese Veränderung induziert, darstellt. Dieser Parameter kann zwischen 0 und 100% schwanken. Dieses Referenzverfahren wurde bei 20 Patienten mit einem Schädelhirntrauma angewendet, die 1-5 Tage vor dieser Untersuchung verunfallt waren. Das Alter der Patienten schwankte zwischen 18 und 69 Jahren, die initiale Glasgow Coma Scale zwischen 3 und 9. Die nun von den Autoren getesteten patientennahen Untersuchungsverfahren sollen kurz im Detail dargestellt werden:

1.    SRORTCD: In Analogie zur PET-basierten Referenzmethodik wird hierbei der cerebrale Blutfluss durch die mittlere Geschwindigkeit der Arteria cerebri media (ACM) gemessen mittels transkranieller Dopplersonographie (TCD) ersetzt.

2.    AJDO2: Gemäß des Fick’schen Prinzipes ist die arterio-juguläre O2-Differenz proportional zum CBF, wenn die cerebrale Metabolisierungsrate für Sauerstoff (CMRO2) konstant ist. Die AJDO2 kann demgemäß wie die ACM-Geschwindigkeit als Surrogat des CBF verwendet werden.

3.    PPX: Hierbei handelt es sich um eine lineare Wellenkorrelation zwischen dem mittleren arteriellen Blutdruck und dem intracerebralem Druck über einen bestimmten Zeitabschnitt. Diese Korrelation kann Werte von -1 bis +1 annehmen, wobei negative Werte und 0 eine intakte Vasregulation anzeigen und positive Werte eine zunehmend eingeschränkte Autoregulation.

4.    MX: Hierbei handelt es sich ebenfalls um eine lineare Wellenkorrelation zwischen der mittleren ACM-Geschwindigkeit und dem CPP. Die Bewertung erfolgt genau so wie Methode 3.

Wichtige Resultate:

Sowohl das Referenzverfahren, als auch alle vier Testverfahren wurden auf dem Niveau eines normalen CPP ((70 mmHg) und einem erhöhten CPP ((92 mmHg) gemessen. Für die exakte Beschreibung der Methodik sowie die verwendeten mathematischen Formeln wird auf den Appendix der Originalarbeit verweisen. Dies kann innerhalb dieses Reviews nicht dargestellt werden.
Die absoluten Werte von mittlerer ACM-Geschwindigkeit und CBF sind signifikant, aber mäßig korreliert (r2=0,33), relative Veränderungen der Geschwindigkeit und des CBF sind besser korreliert (r2=0,42-0,48), so dass die statische Autoregulationsmessung (Methode 1) signifikant mit der PET-Methode korreliert (r2=0,32-0,53). Es ergibt sich keine signifikante Korrelation zwischen AJDO2 und CBF, so dass die Methode 2 verworfen werden muss. Methode 3 verhält sich ähnlich gut wie Methode 1, allerdings ist hierbei die Variabilität etwas geringer, so dass die Ergebnisse besser reproduzierbar sind. Methode 4 zeigt keine Korrelation mit der mittels PET gemessenen cerebralen Autoregulation. Des Weiteren ist wichtig, dass sich kein Unterschied in den gemessenen Werten zwischen der läsionierten und der kontralateralen Hemisphäre ergibt.
Zusammenfassend kommen somit die Autoren zu dem Ergebnis, dass es sowohl TCD als auch mittels der linearen Korrelation zwischen mittlerem arteriellen Blutdruck und intrakraniellem Druck die Abschätzung der cerebralen Autoregulation für den klinischen Alltag patientennah und zuverlässig möglich erscheint.


Schlussfolgerungen:

Die vorliegende Arbeit muss durchgehend als eine hervorragende grundlagenorientierte klinische Studie beurteilt werden. Sie ist mit einem enormen Aufwand durchgeführt worden, die Methodik und das Studiendesign sind absolut adäquat und demgemäß kommen die Autoren zu wichtigen Erkenntnissen, welche im folgenden noch einmal zusammengefaßt werden sollen:

1.    TCD ist gut geeignet, eine Abschätzung des cerebralen Blutflusses und damit auch der cerebralen Autoregulation zu leisten, wenn er mit dem cerebralen Perfusionsdruck in Beziehung gesetzt wird (Methode 1). Ähnlich gut geeignet ist die Korrelation zwischen mittleren arteriellen Blutdruck und zentralem Perfusionsdruck (Methode 3).

2.     Es muss auf zwei verschiedenen CPP-Niveaus gemessen werden, was in der Regel durch die Verabreichung von Katecholaminen und Volumen gelingt. Hierbei besteht allerdings die große Gefahr, dass sich auf diesen unterschiedlichen CPP-Niveaus auch die CMRO2 verändert, was insgesamt Unsicherheiten bringt, wenn diese nicht gleichzeitig erfasst werden kann wie in der PET-Methodik.

3.    Es ergibt sich kein signifikanter Unterschied zwischen der Messung der Autoregulation in der läsionierten bzw. in der kontralateralen Hemisphäre. Dies gilt selbstverständlich nur für die PET-Methodik bzw. für die TCD-Methodik.

4.    Beide Methoden sind klinisch verwertbar. Es wird empfohlen, dass auf entsprechenden Intensivstationen Messprotokolle etabliert werden ähnlich wie bei einer HZV-Messung. Da damit keine kontinuierliche Messung möglich ist, sollten zumindestens zwei bis drei Mal pro Tag diese Parameter gemessen werden.

Kommentar:

Die vorliegende Arbeit schafft weitere Grundlagen, um Autoregulationsmessungen im Alltag zu etablieren. Hierbei scheint es möglich zu sein, insbesondere bei Patienten mit einem Schädelhirntrauma solche zu erkennen, die schon frühzeitig eine eingeschränkte Autoregulation haben. Des Weiteren ergibt sich die Möglichkeit, Autoregulationsstörungen auch im Rahmen anderer neuro-intensivmedizinischer Krankheitsbilder wie z.B. der Subarachnoidalblutung oder der akuten cerebralen Ischämie zu studieren. Ebenso ist es für die Etablierung von potentiellen Therapiestudien (z.B. unter der Verwendung von Statinen oder L-Arginin) notwendig, valide und reliable, patientennahe Verfahren zur Verfügung zu haben, um cerebrale Autoregulation bei Intensivpatienten messen zu können.

(M. Sitzer)