Jamarillo A, Góngora-Rivera J, Labreuche J, Hauw JJ, Amarenco P
In: Neurology 2006;66:815-820


BEWERTUNGSSYSTEM

*****    = hervorragende Arbeit
****    = gute grundlagenwissenschaftliche Arbeit/klinische Studie/Übersichtsarbeit
***    = geringer Neuheitswert oder nur für Spezialisten geeignet
**    = weniger interessant, leichte formale oder methodische Mängel
*    = erhebliche Mängel

 

NIMA 2 2007


Bewertung: **





Zielstellung:

Ziel der vorliegenden Arbeit war es, anatomische und vaskuläre Prädiktoren bei Patienten mit malignem Mediainfarkt zu eruieren.
Es handelte sich um eine retrospektive Untersuchung. Die Grundlage bildete eine Datenbank von 886 verstorbenen Patienten mit neurologischen Erkrankungen, bei denen in den Jahren 1982 bis 1989!!! am Pariser La Sâlpetrière Krankenhaus eine Autopsie vorgenommen wurde. Zur Auswertung kamen Autopsie-Protokolle, Fotos der Gehirne und Hirnschnitte, die detaillierten makroskopischen und mikroskopischen Sektionsberichte sowie aller verfügbaren anamnestischen, klinischen und radiologischen Daten von 192 verstorbenen Schlaganfall-Patienten.

45 der 192 Patienten erlitten einen malignen Mediainfarkt. In der multivariaten Analyse waren die Patienten mit malignem Mediainfarkt verglichen mit den Patienten ohne malignen Mediainfarkt jünger, häufiger weiblichen Geschlechts, hatten keinen Schlaganfall in der Vorgeschichte, ein höheres Herzgewicht, hatten häufiger einen Karotisverschluß verbunden mit Anomalien des ipsilateralen Circulus arteriosus Willisii im Sinne einer schlechteren Kollateralversorgung.

Wichtige Resultate:

Die Autoren schlußfolgerten, dass diese Faktoren eine frühe Detektion von Patienten mit malignem Mediainfarkt erlauben könnten.

 

Kommentar:

Welche neuen Erkenntnisse oder Ideen lieferte diese Arbeit? Keine wirklich neuen.
Verstorbene Patienten mit malignem Mediainfarkt waren in der Regel jünger: bekanntermaßen hat der 80-jährige Schlaganfall-Patient durch seine Hirnatrophie eine größere intrakranielle Raumreserve als der 40-jährige Patient und wird demzufolge seltener unmittelbar am raumfordernden Infarktödem versterben. Ähnlich verhält es sich mit Patienten, die schon in der Vorgeschichte einen Hirninfarkt erlitten haben.
Dass Frauen häufiger einen malignen Mediainfarkt haben sollten als Männer, war sicher Zufall und in keiner (z.B. prospektiven) anderen Studie reproduzierbar.
Dass höheres Herzgewicht ein Prädiktor für malignen Mediainfarkt sein sollte, nun gut - das hilft uns für die Entscheidung einer z.B. frühen Hemikraniektomie nicht so richtig weiter.
Distaler Karotisverschluß kombiniert mit insuffizienter Kollateralversorgung fand sich häufiger bei Patienten mit malignem Mediainfarkt - bei wem sonst? Alles andere wäre auch eine große Überraschung gewesen.
Was lernen wir aus dieser Arbeit? Erstens: auch vor 24 Jahren verstarben schon Patienten am malignen Mediainfarkt, zweitens: damals wurden noch beeindruckende 73% aller verstorbenen Patienten autoptisch untersucht und drittens: der Pathologe kann wenig dazu beitragen, frühzeitig Patienten mit sich entwickelndem malignem Mediainfarkt zu erkennen.


 

(J. Berrouschot)