Qureshi AI, Harris-Lane P, Kirmani JF, Ahmed S, Jacob M, Zada Y, Divani AA
In: Crit Care Med 2006; 34: 1975-1980

BEWERTUNGSSYSTEM

*****    = hervorragende Arbeit
****    = gute grundlagenwissenschaftliche Arbeit/klinische Studie/Übersichtsarbeit
***    = geringer Neuheitswert oder nur für Spezialisten geeignet
**    = weniger interessant, leichte formale oder methodische Mängel
*    = erhebliche Mängel

 

NIMA 2 2007


Bewertung: *





Zielstellung:

Zum einen sollte der mittlere arterielle Blutdruck (MAP) gemäß einer Leitlinie der AHA aus dem Jahre 1999 (Broderick et. al. Stroke 30;905-915) durch titrierte Gabe von Nicardipin, einem Kalziumblocker und Vasodilatator, auf 130 mm Hg gesenkt werden und zum anderen eine dadurch unterstellte Verminderung der Hämatomausdehnung die Rate von Behinderung und Tod senken.

Design:

Retrospektive Analyse der Datensammlung des "Stroke Research Center" eines universitätsassoziierten Krankenhauses in Newark (New Jersey, USA). Untersucht wurden aus 46 konsekutiven Patienten mit intrazerebraler Blutung jene 29 Kranken, die entweder bereits bei Aufnahme (18) oder innerhalb von 24 Stunden (11) einen MAP ≥ 130 mm Hg aufwiesen (Alter 58 ± 13 a; 10 Frauen; Blutungslokalisationen: Basalganglien 18, lobär 6, Kleinhirn 3, Hirnstamm 2, darunter 19 mit Ventrikeleinbruch; Hämatomvolumen initial 1 ml bis 106 ml, darunter 16 Pat. mit weniger als 20 ml; NIHSS initial 0 bis 38, darunter 3 Pat. mit 0 -2 und 1 Pat. mit NIHSS 3. Als "outcome documented…as part of the database" wurden angesehen: der MAP-Zielwert < 130 mm Hg, die neurologische Verschlechterung von Glasgow Coma Scale bzw. NIHSS um 2 oder mehr Punkte,
das CT-Hämatomvolumenwachstum um mehr als 33% nach 24 Stunden gegenüber dem Baseline-CT sowie die modified Rankin Scale (mRS) am Tag 30.

Wichtige Resultate:

Anamnestisch litten 27 der 29 Patienten an einer Hypertonie. Bei 25 der 29 Patienten reduzierte Nicardipin den MAP in den Zielbereich. Bei 1 Patienten wurde wegen Tachykardie, bei 1 Pat. wegen Hypotonie abgebrochen. Die restlichen 2 benötigten zusätzliche Antihypertensiva. 4 der 29 Patienten verschlechterten sich neurologisch ohne zeitlichen Zusammenhang zur Blutdruckreduktion (1 Pat. durch korrelierendes Hämatomwachstum, 1 Pat. ohne auswertbares Kontroll-CT, 1 Pat. verstarb und bei 1 Pat. war nicht die Blutung für die Verschlechterung verantwortlich). Am Tag 30 hatten 11 Patienten nur noch einen NIHSS-"Schweregrad" ≤ 2. 9 Pat. waren verstorben.

Kommentar:

Die Autoren haben sich offensichtlich die Blutdrucksenkung bei intrazerebraler Blutung zur schriftstellerischen Aufgabe gemacht (Qureshi et al. 1995, 1999, 2001, 2002, 2005). In den hier ausgewerteten Patientenakten war bei 17 der 46 Patienten mit intrazerebraler Blutung gar keine Blutdrucksenkung gemäß den AHA - Richtlinien erforderlich. Die hinsichtlich Lokalisation, Hämatomvolumen, klinischem Schweregrad und Ventrikeleinbruch völlig heterogene Gruppe der verbliebenen 29 Patienten mit MAP ≥ 130 mm Hg ließ keinerlei akuttherapeutische oder prognostische Aussage erkennen. Dem anspruchsvollen Titel, der eine praktische Anleitung auf einer statistisch sicheren Basis zur Behandlung der hypertonen Blutdruckwerte bei Patienten mit intrazerebraler Blutung suggerierte, wurde die Arbeit nicht im Geringsten gerecht. Warum fehlte eine Kontrollgruppe und wieso ist Nicardipin gegenüber anderen Substanzen bedeutungsvoll? Man wundert sich, dass solche Mitteilungen in "Stroke" Platz finden.


(D. Schneider)