Van Koningsfeld R, Steyerberg EW, Hughes RAC, Swan AV, van Doorn PA, Jacbos BC   In: Lancet Neurol 6:589-594 (2007)

 

BEWERTUNGSSYSTEM

*****    = hervorragende Arbeit
****    = gute grundlagenwissenschaftliche Arbeit/klinische Studie/Übersichtsarbeit
***    = geringer Neuheitswert oder nur für Spezialisten geeignet
**    = weniger interessant, leichte formale oder methodische Mängel
*    = erhebliche Mängel

 

NIMA 08


Bewertung: ***





Zielstellung:

Die möglichst frühzeitige prognostische Einschätzung von intensivmedizinsichen Krankheitsbildern ist die Festlegung der Therapiestragie von hoher Bedeutung. Dies gilt auch für die Prognosestellung bei Patienten mit schwer verlaufender intensivpflichtigem GBS
Die Autoren haben aus den Daten mehrerer grosser GBS Therapestudien versucht, einen prognostisch aussagefähigen einfachen klinischen Score zur Vorhersage der Erholung von GBS Patienten zu erstellen. Die Daten von insgesamt 388 Patienten flossen in die Studie ein.

Design:

Es wurden aus den Daten mehrerer internationaler kontrollierter GBS Studien die Patienten ermittelt, die nicht mehr 10 m ohne Unterstützung gehfähig waren (GBS score 3). Es handelte sich um Patienten aus Nordwesteuropa. Alle Patienten erfüllten die Einschlusskriterein der internationalen GBS Studien. Es wurden klinische Kriterien untersucht, die mit der Gehunfähigkeit zum Zeitpunkt 6 Monate nach Krankheitsbeginn assoziiert waren.
Zu den untersuchten Kriterien gehörten: Alter, Geschlecht, antecedente Infekionen, Antikörper gegen verschiedene Viren, Anti-Gangliosid Antikörper, klinischer Score bei Aufnahem und zu verschedenen Zeitpunkten im Verlauf, Hirnnervenbeteiligung, sensible Störungen
Es wurde eine multivariate statistische Analyse durchgeführt, Die berechneten Daten werden graphisch dargestellt und analysiert.

Wichtige Resultate:

Die Analyse der gewonnenen Daten zeigte, dass mehrere Faktoren prognostische Bedeutung aufwiesen.Die wichtigsten Faktoren waren: Alter, Durchfall in den letzten 4 Wochen vor Erkrankung und der GBS score 2 Wochen nach Krankheitsbeginn.
Aus diesen Variablen wurde ein score ermittelt, der "Erasmus GBS outcome score" genannt wird. Dieser weist eine Punktzahl von 1 (gute Prognose) bis 7 (ungünstige Prognose) aufweist.

Kommentar:

Die vorliegende Arbeit stellt einen klinisch orientierten Ansatz zur Festlegung der Prognose von Patienten mit GBS dar. Die frühzeitige Festlegung der Prognose ist für die Therapiestrategie von Bedeutung. Bei Patienten mit ungünstiger Prognose wird man sich auf eine frühzeitige aggressive Therapie sowie auf eine lange Intensivtherapie und Beatmungsdauer einstellen. Bei diesen Patienten sollten frühzeitig eine immunmodulatorische Therapie (Plasmaaustausch, Immunadsorption oder IVIG) eingeleitet werden. Auch wenn die bisherigen Studien keinen Hinweis für eine Überlegenheit einer sequentiellen Therapie wie z.B. Immunadsorption und nachfolgend IVIG oder IVIG und Methylprednisolon gezeigt haben, muss man sich vor Augen führen, dass die bisherigen Ergebnisse jeweils an grossen Patientenkollektiven mit verschiedener Krankheitsschwere ermittelt wurden. Es ist nicht abwegig zu vermuten, dass eine Subguppenanalyse von ausschleisslich schwer betroffen GBS Patienten, zumal solche mit frühem Therapiebeginn (innerhalb der ersten 7 Tage), andere Therapieergebnise erbringen könnte. Möglicherweise könnte man bei schwer betroffenen Patienten einen zweiten Therapiezyklus innerhalb der ersten 4 Wochen einleiten.
Die von den Autoren ermittelten prognostischen Faktoren sind allerdings nicht überraschend. Es nimmt kaum wunder, dass Patienten mit höherem Lebensalter (über 60 Jahre) eine schlechtere Prognose haben. Schon alleine die schon bestehenden Vorerkrankungen bedingen eine schlechtere Prognose im Vergleich zu jungen Patienten. Auch ist es naheliegend, dass Patienten mit einer schweren Lähmung nach 14 Tagen eine schlechtere Prognose haben, als diejenigen, die nie ein schweres Krankheitsbild entwickeln oder sich früh erholen. Die Korrelation mit einer Durchfallerkrankung ist ebenfalls nicht erstaunlich, da diese mit der bekannten häufigen campylobacter jejuni Infektion korreliert sein dürfte.
Diese prognostischen Aussagen ergeben sich auch aus den Daten früherer kontrollierter GBS Studien. Dennoch ist es wichtig, dass diese vermuteten Zusammenhänge auch exakt nachuntersucht und verifiziert worden sind.
Die Autoren stellen auch selbst fest, dass diese prognostischen Daten für die Planung neuer Studien von Bedeutung sein könnten, da man aggressivere Therapien für Patienten mit primär schlechter Prognose planen könnte. Wegen der höheren Nebenwirkungsrate würde man natürlich Patienten mit primär günstiger Prognose nicht in solche Studien einschliessen wollen.
Wenn auch keine wirklich neuen prognostischen Faktoren für das GBS ermittelt wurden, stellt diese Publikation einen wertvollen Beitrag zur Einschätzung der Prognose bei GBS Patienten dar und kann als weiterer Baustein für die Planung neuer Studien verwendet werden.

(W. Haupt)