Knake S, Hamer HM, Rosenow F
In: J Neurol Neurosurg Psychiatry 2008; 79: 588-589 

 

BEWERTUNGSSYSTEM

*****    = hervorragende Arbeit
****    = gute grundlagenwissenschaftliche Arbeit/klinische Studie/Übersichtsarbeit
***    = geringer Neuheitswert oder nur für Spezialisten geeignet
**    = weniger interessant, leichte formale oder methodische Mängel
*    = erhebliche Mängel

 

NIMA_1-2010


Bewertung: ****





Zielstellung:

Es wurde über Erfahrungen mit dem Einsatz von intravenösem Levetiracetam bei Patienten mit fokalem Benzodiazepin-refraktären Status epilepticus berichtet.

Design:

Monozentrische retrospektive Studie über einen 9-monatigen Zeitraum bis Februar 2007.

Wichtige Resultate:

Sechzehn Patienten mit insgesamt 18 Episoden eines Status epilepticus (n = 14 fokal; n = 4 sekundär generalisiert) wurden in diese Studie eingeschlossen. Vor der Gabe von intravenösem Levetiracetam wurde in allen Fällen Lorazepam bzw. Diazepam appliziert, in sieben Fällen wurde zuvor zusätzlich noch Valproat, Midazolam und/oder Phenytoin gegeben. Bei zwei Episoden musste nach Levetiracetam noch Valproat bzw. Propofol und Phenytoin appliziert werden. Somit war der initial refraktäre Status epilepticus letztendlich in 16 von 18 Episoden (89 %) durch Levetiracetam erfolgreich zu durchbrechen. Die über etwa 30 min applizierte Bolus-Dosis lag zwischen 250 und 1.500 mg (Mittelwert 944 ( 396 mg), die Erhaltungs-Dosis über die nächsten 24 h betrug 1.000 bis 7.000 mg (2.166 ( 1.280 mg). Zwei Patienten beklagten Müdigkeit nach Levetiracetam-Gabe, es traten keine weiteren unerwünschten Wirkungen auf (insbesondere keine respiratorische Insuffizienz und keine kardialen Arrhythmien). Der Grund für den Einsatz von intravenösem Levetiracetam war in der Mehrzahl der Fälle Leberversagen, erhöhte Leberenzyme sowie Komedikation mit oralen Antikoagulanzien bzw. Chemotherapeutika.

Schlussfolgerung:

Intravenös appliziertes Levetiracetam ist eine wirksame und gut verträgliche Substanz bei fokalem oder sekundär generalisiertem Status epilepticus und stellt zukünftig eine ergänzende Behandlungsoption gerade bei Patienten mit Leberfunktionsstörungen und/oder überwiegend hepatisch metabolisierter Komedikation dar.

Kommentar:

Etwa jeder 3. Status epilepticus ist mit initial applizierten Benzodiazepinen nicht zu durchbrechen, der dann refraktäre Status epilepticus stellt in der Regel eine therapeutische Herausforderung dar. Die häufigste klinische Form eines Status epilepticus, der complex-fokale Status, ist meist nicht mit vitalen systemischen Komplikationen assoziiert, er kann daher weniger aggressiv behandelt werden. Nach Versagen von Benzodiazepinen können hier Phenytoin/Fosphenytoin, Phenobarbital, Valproat und Levetiracetam alleine oder in Kombination eingesetzt werden. In der Studie von Knake et al. konnten 12 von 14 Episoden eines refraktären complex-fokalen Status epilepticus letztendlich mit Levetiracetam beendet werden, dies ist zur Zeit die relevanteste Indikation für den Einsatz von intravenösem Levetiracetam beim Status epilepticus. Interessant ist, dass Levetiracetam bei allen 4 Episoden eines sekundär generalisierten Status epilepticus ebenfalls erfolgreich war. Levetiracetam könnte hier in Ergänzung zu Lorazepam eine attraktive Alternative zu Phenytoin darstellen. Die Substanz hat ein günstiges pharmakokinetisches Profil, sie wird kaum hepatisch metabolisiert und weist keine Interaktionen mit anderen Pharmaka auf. Zudem sind unerwünschte Arzneimittelwirkungen sehr selten, nur zwei Patienten in dieser Studie fühlten sich durch Levetiracetam sediert.
Die Aussagekraft der hier vorgestellten Daten ist durch das retrospektive Studiendesign und durch das damit verbundene heterogene pharmakologische Vorgehen vor der Gabe von Levetiracetam limitiert. Es wäre wünschenswert gewesen, dass in der Arbeit Angaben zur Dosis der Benzodiazepine und zum zeitlichen Abstand zwischen Benzodiazepin- und Levetiracetamgabe gemacht worden wären. So verwundert es, dass nur zwei Patienten sediert waren, nachdem alle Patienten mit Benzodiazepinen behandelt worden waren.
Das Manuskript endet wie die meisten anderen zu neuen pharmakologischen Therapieansätzen des Status epilepticus mit der Empfehlung, die hier berichteten Erfahrungen in einer großen randomisierten kontrollierten Studie zu validieren. Da die Initiierung einer solchen Untersuchung jedoch aus Kostengründen höchst unwahrscheinlich ist, würde bereits die Durchführung einer mono- oder multizentrischen prospektiven Beobachtungsstudie mit fixem Behandlungsprotokoll ein großer Erfolg sein.
Zusammenfassend hat diese erste größere Fallserie Hinweise darauf gegeben, dass Levetiracetam beim fokalen und sekundär generalisierten Status epilepticus wirksam und gut verträglich sein kann.

(Holtkamp, Martin, PD Dr., Charité Universitätsmedizin Berlin, Klinik für Neurologie, Charitéplatz 1, 10117 Berlin)