Mayer SA, Brun NC, Begtrup K et al.
In: N Engl J Med 358:2127-37 (2008)

 

BEWERTUNGSSYSTEM

*****    = hervorragende Arbeit
****    = gute grundlagenwissenschaftliche Arbeit/klinische Studie/Übersichtsarbeit
***    = geringer Neuheitswert oder nur für Spezialisten geeignet
**    = weniger interessant, leichte formale oder methodische Mängel
*    = erhebliche Mängel

 

NIMA_1-2009


Bewertung: *****





Zielstellung:

Phase-III-Studie zur Bestätigung der Ergebnisse einer großen Pilotstudie, dass rekombinanter aktivierter Faktor VII (rFVIIa) die frühe Hämatomexpansion bei Patienten mit akuter spontaner intrazerebraler Blutung reduziert und zu einer Verbesserung des funktionellen Outcomes und Reduktion der Letalität führt.

Design:

Doppel-blinde und Placebo-kontrollierte Studie, in die insgesamt 821 Patienten eingeschlossen wurden, und randomisiert entweder mit 20µg/kg Körpergewicht rFVIIa (276 Patienten), 80µg/kg (297 Patienten) oder Placebo (268 Patienten) innerhalb von 4h nach Auftreten einer spontanen intrazerebralen Blutung behandelt wurden. Der primäre Endpunkt war Tod oder Grad der Behinderung gemessen anhand der modifizierten Rankin Skala 90 Tage nach dem Schlaganfall.

Wichtige Resultate:

Die Behandlung mit 80µg rFVIIa führte zu einer signifikanten Reduktion der Hämatomexpansion im CCT. Die mittlere geschätzte Volumenzunahme des intrazerebralen Hämatoms betrug 26% in der Placebogruppe, 18% (p=0,09) in der Gruppe die mit 20µg/kg behandelt wurden und 11% (p<0,009) in der mit 80µg/kg behandelten Gruppe. Dies entsprach einer Reduktion des Blutungsvolumens von 2,6ml beziehungsweise 3,8ml. Die Reduktion der Hämatomexpansion war jedoch nicht mit einer signifikanten Verbesserung des klinischen Outcomes verbunden. Der Anteil der Patienten mit einem schlechten klinischen Outcome betrug 24% in der Placebogruppe, 26% in der Gruppe die mit 20µg/kg behandelt wurden und 29% in der mit 80µg/kg behandelten Gruppe. Die Rate an arteriellen ischämischen Komplikationen (Myokardinfarkte und Hirninfarkte) war in der mit 80µg/KG behandelten Gruppe signifikant höher als in der Placebogruppe (9% vs. 4%).

Schlussfolgerung: Die hämostatische Behandlung mit rVIIa reduzierte die frühe Hämatomexpansion bei Patienten mit spontanen intrazerebralen Blutungen. Dies war jedoch nicht mit einer höheren Überlebensrate oder einem verbesserten klinischen Outcome verbunden.

Kommentar:

Spontane oder primäre intrazerebrale Blutungen sind im Vergleich zu Hirninfarkten mit einer höheren Letalität und Morbidität verbunden, und es gibt bisher keine nachgewiesen wirksamen konservativen oder operativen Behandlungsstrategien. Als 2005 die erste große randomisierte Therapiestudie (Phase-IIb-Studie) zu einer frühen hämostatischen Behandlung mit rekombinantem aktiviertem Faktor VII (rVIIa) bei intrazerebralen Blutungen von Stephan Mayer et al. publiziert wurde, war die Euphorie groß; im Vergleich zu Placebo führte eine Behandlung mit rVIIa nicht nur zu einer geringeren Hämatomexpansion, sondern war auch mit einer signifikant niedrigeren Letalität (RRR von 38%!) und einem verbesserten klinischen Outcome assoziiert. Zehn Jahre nach Einführung der systemischen Thrombolyse beim akuten Hirninfarkt gab es damit berechtigte Hoffnung auf einen erneuten Durchbruch in der Schlaganfallbehandlung. Das Prinzip - ähnlich wie das der Thrombolyse beim Hirninfarkt - schien "einfach" und plausibel. Bei etwa 70% der Patienten mit akuten intrazerebralen Blutungen kommt es innerhalb der ersten 3-4 Stunden zu einer Größenzunahme des Hämatoms, die einen unabhängigen Prädiktor für einen ungünstigen klinischen Verlauf darstellt. Eine frühe hämostatische Behandlung, die dieser Expansion entgegen wirkt, führte in der oben genannten Studie damit auch zu einem deutlichen klinischen Effekt. Eine Zulassung konnte anhand dieser Studiendaten jedoch nicht beantragt werden, da der primäre Endpunkt einer neuroradiologischer und kein klinischer war. Folgerichtig wurde eine nachfolge Studie aufgelegt, die praktisch ein identisches Studiendesign aufwies; multizentrische internationale Studie, CCT-Diagnostik, Behandlung innerhalb von 4h nach Symptombeginn, Ausschluss von Patienten mit sekundären Blutungen (z.B. SAB, AV-Malformation, Tumorblutung, SHT, Gerinnungsstörung, etc.), Hirninfarkt und Myokardinfarkt innerhalb der letzten 30 Tage sowie GCS < 5. Es wurde die erfolgversprechendste Dosierung von 80µg/kg KG sowie - auf "Wunsch" der FDA - die niedrigst wirksame Dosis von 20µg/kg gegen Placebo getestet.
Aber was lief schief, zumal das biologische Prinzip der reduzierten Hämatomexpansion doch reproduziert werden konnte? Entscheidend für den negativen klinischen Effekt war wahrscheinlich das wesentlich bessere Outcome der Placebogruppe in der Phase-III-Studie. Während in der Phase-IIb-Studie der Anteil der verstorbenen oder schwer behinderten Patienten bei 45% lag, war er in der vorliegenden Studie mit 24% fast nur noch halb so groß. Dies kann mit der geringeren Anzahl von Patienten in der Placebogruppe mit intraventrikulärer Blutungsbeteiligung (29%) in der Phase-III-Studie zusammen hängen (44% in der Placebogruppe der Phase-IIb-Studie, 41% in der 80µg/kg Gruppe der vorliegenden Studie), die einen Prädiktor für einen ungünstigen klinischen Verlauf darstellt, kann jedoch auch an einer besseren intensivmedizinischen Versorgung der eingeschlossenen Patienten liegen. Möglicherweise ist die Letalitätsrate von 29% in der Phase-IIb-Studie auch ein Zufallsbefund oder ein Abbild der damaligen Versorgungssituation gewesen, da in nachfolgenden Studien (wie in der vorliegenden Studie auch) diese konstant etwa 10% weniger betrug, und das klinische Outcome von Patienten mit spontanen intrazerebralen Blutungen zumindest in spezialisierten Zentren insgesamt besser geworden zu sein scheint.
Abschließend steht damit auch weiterhin keine Evidenz-basierte Therapie der spontanen intrazerebralen Blutung zur Verfügung, und das Management dieser Patienten besteht weiterhin im wesentlichen aus supportiven Maßnahmen auf neurologischen Intensivstationen oder Stroke Units.

(Masuhr, Florian, PD Dr., Bundeswehrkrankenhaus Berlin, Neurologische Klinik, Scharnhorststr. 13, 10115 Berlin)