Sanchez-Pena P, Pereira AR, Sourour NA et al.
In: Crit Care Med 2008

 

BEWERTUNGSSYSTEM

*****    = hervorragende Arbeit
****    = gute grundlagenwissenschaftliche Arbeit/klinische Studie/Übersichtsarbeit
***    = geringer Neuheitswert oder nur für Spezialisten geeignet
**    = weniger interessant, leichte formale oder methodische Mängel
*    = erhebliche Mängel

 

NIMA_1-2010


Bewertung: ***





Zielstellung:

S100B ist ein Calcium-bindendes Protein, das vorwiegend in Astrozyten und Oligodendrozyten synthetisiert wird und in die Regulierung biochemischer Kaskaden wie der Protein-Phosphorylierung eingebunden ist. Aufgrund seiner relativen Hirnspezifität wird die Freisetzung von S100B aus nekrotischen astroglialen Zellen in die systemische Zirkulation im Verlauf akuter Hirnerkrankungen bereits seit Jahren erforscht. Gegenstand der vorliegen den Studie ist es, die diagnostische Wertigkeit der S100B Serumkonzentration bei der Sub arachnoidalblutung im Hinblick auf die Vorhersage des funktionellen Langzeitergebnisses nach 12 Monaten zu untersuchen. Bislang etablierte klinische und bildgebende Prognosepa rameter (z.B. WFNS-Score, Fisher-Score) sollen als Vergleichswerte herangezogen werden.

 

Design:

Es handelt sich um eine monozentrische prospektive Studie, die über einen Zeit raum von 22 Monaten an einem Krankenhaus der Maximalversorgung in Paris durchgeführt wurde. Eingeschlossen wurden Patienten mit aneurysmatischer Subarachnoidalblutung in nerhalb von 48 h nach Symptombeginn. Alle Patienten wurden innerhalb von 48 h nach Auf nahme in Bezug auf das Aneurysma behandelt ("clipping" oder "coiling"). Die S100B Serum konzentration wurde innerhalb der ersten 15 Tage täglich bestimmt. Primärer Endpunkt war das funktionelle Langzeitergebnis nach 12 Monaten, gemessen anhand der Glasgow Out come Scale (GOS).

 

Wichtige Resultate:

Entsprechend der vordefinierten Ein- und Ausschlusskriterien konnten 109 Patienten in die Studie eingeschlossen werden. Die Letalität nach 12 Monaten betrug 22%, 29% der Patienten hatten ein schlechtes funktionelles Langzeitergebnis (GOS 1-3). Prädiktoren eines schlechten "Outcomes" nach 12 Monaten waren in der univariaten Analyse u.a. ein höherer klinischer Schweregrad bei Aufnahme, ein höherer Fisher score in der ini tialen Bildgebung und das Auftreten von Vasospasmen. Die über die Zeitspanne von 15 Ta gen gemittelte S100B Serumkonzentration betrug 0.80+/-0.65 µg/l bei Patienten, die nach 12 Monaten einen GOS von 1-3 aufwiesen, jedoch nur 0.12+/-0.08 µg/l bei Patienten, die nur moderat oder gar nicht beeinträchtigt waren (GOS 4-5). Dieser Unterschied war statistisch hoch signifikant. Eine multivariate Analyse unter Einschluss zahlreicher Parameter identifi zierte schließlich die mittlere S100B Konzentration als den einzigen unabhängigen Prädiktor des funktionellen Langzeitergebnisses. Ein mittlerer S100B Wert von >0.23 µg/l konnte ein schlechtes "Outcome" nach 12 Monaten mit einer Sensitivität von 91%, einer Spezifität von 90%, einem positiv prädiktiven Wert von 79% und einem negativ prädiktiven Wert von 97% korrekt vorhersagen. 37 Patienten wiesen im Verlauf der ersten 15 Tage Vasospasmen auf, die mittels TCD und/oder Angiographie diagnostiziert wurden. 17 dieser Patienten wiesen nach Manifestation der Vasospasmen einen Anstieg der S100B Serumkonzentration auf. Deren funktionelles Langzeitergebnis war signifikant schlechter als das derjenigen Va sospasmus-Patienten, die im Verlauf keinen S100B-Anstieg zeigten ("ischemic vs. nonischemic vasospasm").


Schlussfolgerungen:

Die Autoren schlussfolgern aus ihren Ergebnissen, dass die über 15 Tage gemittelte S100B Serumkonzentration ein zuverlässiger Prädiktor des funktionellen Langzeitergebnisses bei einer Subarachnoidalblutung darstellt.

 

Kommentar:

Die Abschätzung der Langzeitprognose einer pathophysiologisch komplexen Erkrankung wie der Subarachnoidalblutung ist naturgemäß schwierig. Neben dem akuten Blutungsereignis selbst sind insbesondere die im Verlauf auftretenden Komplikationen (u.a. Vasospasmen, Hydrocephalus) als prognoserelevant zu erachten. In einer Vielzahl von Ar beiten wurden in diesem Zusammenhang klinische und zusatzdiagnostische Parameter auf ihre Vorhersagekraft hin untersucht. Nach Einschätzung der Autoren könnte sich ein zere braler Nekrosemarker wie Protein S100B als Parameter zur Prognoseabschätzung bei der Subarachnoidalblutung eignen, insbesondere angesichts einer möglichen "gemeinsamen Endstrecke", auf der die verschiedenen Schädigungsmechanismen letztlich zur Destruktion von astroglialen Zellen (und Neuronen) führen.
Aus Studien an Schlaganfallpatienten ist bekannt, dass die Serumkonzentration von S100B sehr eng mit dem finalen Infarktvolumen, also der Menge an ischämischnekrotischem Hirn gewebe, korreliert. Entsprechend kommt es in der Frühphase der zerebralen Ischämie noch nicht zu einer S100B Freisetzung, da die Zellen zwar in ihrer Funktion beeinträchtigt, aber strukturell noch intakt sind. Erst mit der zunehmenden Ausbreitung des Infarktkerns werden im Rahmen der nekrotischen Zytolyse größere Mengen S100B freigesetzt, die letztlich ins Blut gelangen. Bekannt ist außerdem, dass Patienten mit intrazerebralen Blutungen, bei de nen es während der Hämatomexpansion zu einer raschen Destruktion von Gliazellen kommt, bereits sehr früh erhöhte S100B Werte aufweisen.
In Bezug auf die Subarachnoidalblutung ergeben sich hieraus folgende pathophysiologische Überlegungen: Eine erhöhte S100B Serumkonzentration bereits in der frühen Phase der Erkrankung wird vor allem resultieren aus einer gleichzeitig manifesten Hirngewebsschädi gung, z.B. im Rahmen eines intrazerebralen Blutungsanteils ("Pressstrahlblutung"). Im Ver lauf auftretende S100B Erhöhungen zeigen hingegen insbesondere die ischämische Zell nekrose als Folge von hämodynamisch relevanten Vasospasmen an. Grundsätzlich eignet sich die Bestimmung von S100B also nicht zur Vorhersage von Vasospasmen, da zunächst ein definitiver Zelluntergang eintreten muss, bevor das Protein in das Blut freigesetzt wird.
Unter Beachtung dieser Überlegungen scheint das Ziel der Autoren, das Protein als "globaler" Prognosemarker bei der Subarachnoidalblutung zu etablieren, nachvollziehbar. Das pro spektive Studiendesign mit Einschluss eines vorab genau definierten Patientengutes ist ein Pluspunkt der Studie. Die Ergebnisse überzeugen insbesondere im Hinblick auf die unab hängige Prädiktion des funktionellen Langzeitergebnisses durch S100B. Zu befürchten bleibt allerdings, dass die Anwendung dieses Prognosemarkers im klinischen Alltag beschränkt bleiben wird, da die Ermittlung der durchschnittlichen S100B Konzentration aus den über 15 Tage erhobenen Einzelwerten höchst unpraktikabel erscheint. Möglicherweise lässt sich am Tag 15 auch nach rein klinischen Kriterien eine zuverlässige Vorhersage des Langzeitergeb nisses ableiten. Ein entsprechender Vergleich wird in der Arbeit nicht geliefert. Darüber hin aus dürften zu diesem Zeitpunkt bereits eine Vielzahl von klinischen und sozialmedizinischen Entscheidung getroffen worden sein, für die eine Prognoseabschätzung im Vorfeld wün schenswert gewesen wäre. Leider machen die Autoren keine Angaben zur diagnostischen Wertigkeit einzelner Messzeitpunkte. Unter Beachtung der o.g. pathophysiologischen Über legungen lässt sich vermuten, dass einzelne S100B Messungen keine ausreichend hohe Vorhersagekraft hinsichtlich des Langzeitergebnisses besitzen, da relevante Schädigungs prozesse, die zu anderen Zeitpunkten auftreten, möglicherweise nicht abgebildet werden.

(Ch. Foerch)