Andrews PJ, Citerio G, Longhi L et al
In: Intensive Car Med 2008; 34 (8): 1362-70

 

BEWERTUNGSSYSTEM

*****    = hervorragende Arbeit
****    = gute grundlagenwissenschaftliche Arbeit/klinische Studie/Übersichtsarbeit
***    = geringer Neuheitswert oder nur für Spezialisten geeignet
**    = weniger interessant, leichte formale oder methodische Mängel
*    = erhebliche Mängel

 

NIMA_1-2010


Bewertung: **





Zielstellung:

Es wird eine Konsensus-Arbeit zum Neuro-Monitoring vorgestellt, in dem folgende Aspekte abgehandelt werden: (1) Indikationen für die Überwachung des intrakraniellen Druckes (ICP), (2) Technische Aspekte der ICP Messung, (3) Indikation für die Überwachung des cerebralen Perfusionsdruckes (CPP) und der cerebralen Autoregulation, (4) Indikationen für die Überwachung des parchenychmalen Sauerstoffpartialdruckes (PBrO2), (5) Sondenplatzierung beim PBrO2 Monitoring und (6) Indikationen für die cerebrale Mikrodialyse.


Design:

Zusammenfassung der Ergebnisses eines Kongress-Workshops, bei dem ein Konsensus zu oben genannten Fragen erarbeitet werden sollte. Die Prinzipien der Auswahl der zitierten Studien werden nicht genannt.

 

Wichtige Resultate:

Jeweils 3-4 Punkte zu den einzelnen, oben genannten Fragestellungen, im Folgenden werden nur die wichtigsten Punkte aufgegriffen:

  1. Die Datenlage erlaubt keine allgemeine Empfehlung zum ICP-Monitoring für alle Patienten mit Schädelhirntrauma. Eine Überwachung des ICP kann anhand der Datenlage jedoch bei Patienten mit schwerem Schädelhirntrauma (SHT) und Risiko für erhöhte intrakranielle Drücke durchgeführt werden. Dies sind v.a. Patienten mit Glasgow Coma Score ≤ 8 und auffälligem Computertomogramm-Befund.
  2. Der ICP sollte unter 20 mmHg gehalten werden, der CPP zwischen 50 und 70 mmHg. Der individuelle Status der cerebralen Autoregulation sollte jedoch bei der Therapiesteuerung berücksichtigt werden.
  3. Die optimale Platzierung der PBrO2 Sonden (beispielsweise gesundes versus perikontusionelles Gewebe beim SHT) sollte im Einzelfall und je nach Krankheitsbild (SHT, Subarachnodialblutung) individuell festgelegt werden.
  4. Die Indikation zur PBrO2 Messung und deren Implikationen in Bezug auf die Therapie bleiben unklar - trotz Daten, die zeigen, dass ein niedriger PBrO2 mit erhöhtem ICP, niedrigem cerebralen Blutfluss und schlechtem klinischen Outcome assoziiert war. Große, prospektive Studien fehlen.

 


Schlussfolgerungen:

Es wird die Hoffnung geäußert, dass ein multimodaler Neuromonitoring-Ansatz dazu beitragen könnte, die Limitationen jeder einzelnen Modalität auszugleichen. Das verbesserte Monitoring soll letztendlich zu einer verbesserten "Diagnose" und damit auch zu gezielteren Behandlungsstrategien führen. Da für ein effizientes Neuromonitoring sehr gut ausgebildetes Personal benötigt würde, wird empfohlen, alle Patienten mit akut lebensbedrohlichen Erkrankungen auf spezialisierten Intensivstationen zu behandeln.

Kommentar:

Die Fragestellung ist der Arbeit ist sehr relevant: Wer sollte überwacht werden? Anhand welcher Modalitäten? Was sind die Stärken und Schwächen der einzelnen Parameter? Ein Konsensus zu diesem Thema ist dringend notwendig. Leider gelingt es in der besprochenen Arbeit nicht, den Nebel rund um das Neuromonitoring zu lichten. Die aus einem Konsensus-Papier erhofften konkreten Handlungsanleitungen für den klinischen Alltag bleiben offen. Dies liegt natürlich auch an der verwirrenden Datenlage. Viele kleinere Studien haben unterschiedliche Teilaspekte untersucht, große, prospektive Studien jedoch fehlen. Die Autoren wiesen somit zu Recht darauf hin, dass zu bisher keiner Monitoring Modalität der Nachweis des Nutzens erbracht werden konnte. Dies liegt auch darin begründet, dass das Monitoring immer nur so gut sein kann, wie die sich daraus ergebenen klinischen Konsequenzen. Multimodales Neuromonitoring ist nur sinnvoll, wenn es in klare therapeutische Konzepte eingebettet ist. Aus den gemessenen Parametern müssen im Idealfall konkrete klinische Handlungsanweisungen folgen. Bis dahin wird jedoch noch einige Grundlagenarbeit notwendig sein. In der Arbeit wird kurz die Bedeutung sekundärer Schädigungen nach SHT skizziert. Dieser Teilaspekt sollte detaillierter untersucht werden. Worin genau bestehen sekundäre Schädigungen? Worin äußern sie sich? Ist es relevant, wenn der PBRO2 unter 10 mm Hg abfällt? Was heißt es, wenn die mittels Mikrodialyse gemessene Glucose sinkt? In der Literatur trifft man zunehmend häufiger auf den Begriff der ’Metabolic Crisis‚ - und gerade auf diesem Gebiet ist noch viel Forschungsarbeit zu leisten. Denn bevor sich konkrete Handlungsstrategien aus dem Monitoring ergeben können, müssen zunächst die Relevanz und pathophysiologische Bedeutung der gemessenen Parameter bekannt sein.
Ein wichtiger Kritikpunkt zur vorliegenden Arbeit ist der ausschließliche Fokus auf Patienten mit Schädelhirntrauma und Subarachnoidalblutung. Angaben zum Monitoring von Patienten mit ischämischen Schlaganfall oder intrazerebraler Blutung - die einen erheblichen Anteil an Patienten auf einer neurologischen Intensivstation ausmachen fehlen. Insbesondere zu Patienten mit ischämischem Schlaganfall gibt es jedoch einige Arbeiten in der Literatur. Die Frage "Wer sollte ein ICP-Monitoring erhalten?" wird leider nur unzureichend beantwortet. Diskutiert werden lediglich Daten zum Schädelhirntrauma - wo die Datenlage noch am klarsten erscheint. Aber was ist mit Patienten mit raumforderndem ischämischen Schlagafall oder nicht-aneurysmatischer intrazerebraler Blutung? ICP Messung ja oder nein? Gerade bei diesen Patienten wird selbst die Indikation zum einfachen Neuromonitoring - d.h. lediglich mit ICP-Messung - immer wieder diskutiert.
Zuletzt fehlen Aussagen über weitere Modalitäten des Neuromonitorings: die Messung des zerebralen Blutflusses, der transkranielle Doppler, die Anwendung und Möglichkeiten des EEG, der Elektrokortikographie und der Nah-Infrarotspektroskopie. Gerade, wenn darauf hingewiesen wird, dass die Schwächen einer Modalität mittels einer anderen Modalität abgefangen werden könnten, wäre ein umfassenderes Bild zu den verfügbaren Methoden und Beispiele, wie diese ineinander greifen und sich ergänzen, wünschenswert.

(J. Diedler)