Bentsen G, Stubhaug A and Eide PK
In: Crit Care Med 2008; 36 (8): 241-9.

 

BEWERTUNGSSYSTEM

*****    = hervorragende Arbeit
****    = gute grundlagenwissenschaftliche Arbeit/klinische Studie/Übersichtsarbeit
***    = geringer Neuheitswert oder nur für Spezialisten geeignet
**    = weniger interessant, leichte formale oder methodische Mängel
*    = erhebliche Mängel

 

NIMA_1-2010


Bewertung: *





Zielstellung:

Die sogenannte intrakranielle Compliance bei Patienten mit erhöhtem intrakraniellem Druck wird häufig durch die ICP-Pulsatilität (oder den ICP-Pulsatilitätsindex) ausgedrückt, d.h. die Amplitude der ICP-Schwankung. Dieser Parameter stellt für die intrakranielle Compliance wahrscheinlich einen besseren Surrogatparameter dar als der statische (mittlere) ICP (im Folgenden nur als ICP bezeichnet) oder der zerebrale Perfusionsdruck (CPP = ICP-MAP), in den ebenfalls der statische ICP eingeht. Außerdem hängt die Messung des ICP-Pulsatilitätsindex nicht von einer Kalibrierung gegen Null ab wie der ICP und ist daher wahrscheinlich weniger anfällig für externe Artefakte durch Lagerung. Einzelne Hinweise aus kleineren Fallserien und Fallberichten weisen daraufhin, dass der ICP-Pulsatilitätsindex möglicherweise besser mit dem klinischen Status (Glasgow Coma Scale) und möglicherweise auch mit dem klinischen Ergebnis (Glasgow Outcome Sore) bei Patienten mit Subarachnoidalblutung (SAB) korreliert als der statische ICP oder der CPP, die meistens als Zielparameter für die Behandlung des intrakraniellen Drucks bei diesen Patienten verwendet werden. Das Ziel der vorliegenden Studie war, den Effekt der Gabe hypertoner Kochsalzlösung (7,2% NaCl in 6% HAES) auf den ICP-Pulsatilitätsindex zu untersuchen und mit den Effekten auf den statischen ICP und den CPP bei Patienten mit SAB zu vergleichen.


Design:

Es handelt sich um eine monozentrische, retrospektive Studie an 20 Patienten mit SAB, sediert und beatmet, mit ICP-Werten von mindestens 15 mm Hg. An diesen Patienten wurden insgesamt 52 Messungen des ICP, des CPP und des ICP-Pulsatilitätsindex durchgeführt. Jede Messung erfolgte mit Einzelmessungen im Abstand von 6 Sekunden beginnend kurz vor und bis 15 Minuten nach Bolusgabe von hypertoner NaCl-Lösung durchgeführt. Für die Auswertung wurden die Werte der Einzelmessungen pro Gesamtmessung summiert und gemittelt (Mittelwert). Zum Vergleich der Messungen wurden t-Tests verwendet. Zudem wurden die Werte auf Korrelationen untersucht. An klinischen Parametern wurden der Schweregrad der SAB nach Hunt & Hess und das klinische Ergebnis nach 3 Monaten anhand der Glasgow Outcome Skala erhoben.

 

Wichtige Resultate:

Die Gabe hypertoner NaCl-Lösung senkte im Mittel den ICP um 10,5 mmHg (Ausgangswert 23,5 mmHg), erhöhte den CPP im Mittel um 9,0 mmHg (Ausgang swert 66,4 mmHg) und senkte den ICP-Pulsatilitätsindex im Mittel um 3,4 mmHg (Ausgangswert 9,8 mmHg). Der Zielwert einer Senkung des ICP unter 15 mmHg wurde bei 65% der Patienten erreicht (13 von 20). Der Zielwert einer Senkung des ICP unter 20 mmHg wurde bei 85% der Patienten erreicht (17 von 20, dabei hatten 4 bereits vor der Messung einen ICP unter 20 mmHg). Der Zielwert einer Anhebung des CPP auf mindestens 65 mmHg wurde bei 85% der Patienten erreicht (17 von 20, dabei ist unklar, wie viele Patienten bereits zuvor diesen Zielwert erreicht hatten). Der Zielwert einer Anhebung des CPP auf mindestens 70 mmHg wurde bei 70% der Patienten erreicht (14 von 20, dabei ist unklar, wie viele Patienten bereits zuvor diesen Zielwert erreicht hatten). Der Zielwert einer Senkung des ICP-Pulsatilitätsindex unter 5 mmHg wurde bei 30% der Patienten erreicht (6 von 20, dabei hatten 3 bereits vor der Messung einen ICP-Pulsatilitätsindex unter 5 mmHg). Der Zielwert einer Senkung des ICP-Pulsatilitätsindex unter 6 mmHg wurde bei 55% der Patienten erreicht (11 von 20, dabei hatten 5 bereits vor der Messung einen ICP-Pulsatilitätsindex unter 5 mmHg). Ein Zusammenhang zwischen dem klinischen Ergebnis und ICP, CPP oder ICP-Pulsatilitätsindex konnte nicht gezeigt werden. Der einzige Parameter, der mit dem klinischen Ergebnis korrelierte, war der klinische Befund anhand der Hunt & Hess Skala.


Schlussfolgerungen:

Die Schlussfolgerung der Autoren ist, dass die Gabe hypertoner NaCl-Lösung bei Patienten mit SAB unter erhöhtem ICP zu einer Senkung des ICP und einer Anhebung des CPP führt, aber eine Senkung des ICP-Pulsatilitätsindex meist nicht erreicht wird und daher die intrakranielle Compliance unzureichend verbessert wird.

Kommentar:

Eine ganze Anzahl klinischer Studien hat gezeigt, dass die Gabe hypertoner NaCl-Lösung den ICP bei Patienten mit SAB, Schädel-Hirn-Trauma oder raumfordernden ischämischen Schlaganfällen senkt, bzw. zu einem Anstieg des CPP führt, wenn auch nur für kurze Zeit. Das einzig neue Ergebnis der vorliegenden Studie ist, dass hypertone NaCl-Lösung auch einen Effekt auf den ICP-Pulsatilitätsindex hat, wenn auch nicht in dem Maße wie auf den ICP oder CPP. Da der ICP und der ICP-Pulsatilitätsindex korrelieren ist das weniger überraschend. Der Neuheitswert dieser Ergebnisse wird zudem dadurch geschmälert, dass sie z.T. bereits ein Jahr vor dieser Publikation veröffentlicht wurden, wenn auch nur in Form eines Abstracts. Die vorliegende Studie zeichnet sich durch eine ganze Reihe z.T. Erheblicher methodischer Schwächen aus:

  1. Ein grundsätzlicher methodischer Mangel ist die Wahl des Zielparameters der Behandlung und des entsprechenden Haupteinschlusskriteriums in die Studie: Zielparameter war die Senkung des ICP-Pulsatilitätsindex unter 5 mmHg oder unter 6 mmHg. Einschlusskriterium war aber ein ICP über 15 mmHg, anstelle eines ICP-Pulsatilitätsindex über 5 oder 6 mmHg, was logisch gewesen wäre. 15% der Patienten hatten bereits vor der Behandlung einen ICP-Pulsatilitätsindex unter 5 mmHg, 25% hatten einen ICP-Pulsatilitätsindex unter 6 mmHg, ein weiterer 6,1 mmHg.
  2. Viele weitere Mängel beruhen auf der sehr kleinen Patientenzahl und dem retrospektiven Studiendesign: Dies beinhaltet einen möglichen Selektionsbias (es gibt keine Angaben darüber, wie viele Patienten mit SAB und ICP über 15 mmHg im Zeitraum insgesamt behandelt wurden und wie viele von diesen hypertone NaCl-Lösung erhielten). Es ist unklar, wann und warum die Indikation zur Gabe hypertoner NaCl-Lösung gestellt wurde und wie die vorherige und die nachfolgende Behandlung aussah, bzw. was diese von anderen Patienten unterschied. Auch unterschied sich die Dosis erheblich: 0,8 bis 2,0 ml/kg, was evtl. einen Einfluß auf den Behandlungseffekt haben könnte, der aber nicht untersucht wurde.
  3. Es wurden insgesamt 52 Messungen durchgeführt, zwischen 1 und 6 pro Patienten. Dabei ist unklar, welche am Ende verwendet wurde, oder ob alle gepoolt wurden oder ob sich Patienten mit mehreren Messungen von denen mit nur einer Messung unterschieden. Die Zeitpunkte, an denen die Messungen durchgeführt wurden schwanken vom 1. bis 15. Tag nach Ereignis. Es ist unklar, und ob sich Patienten mit früher Messung von solchen mit später Messung unterschieden.
  4. Die verwendeten statistischen Methoden (t-Test, Mittelwerte) sind bei diesen kleinen Patientenzahlen und bei der Heterogenität der Daten äußerst fragwürdig. Schließlich wird sogar eine multiple Regressionsanalyse aller Parameter durchgeführt, was bei dieser kleinen Patientenzahl unsinnig ist. Zudem korrelieren viele Messparameter miteinander, z.B. ICP und ICP-Pulsatilitätsindex, was die Auswertung und Interpretation erschwert.
  5. Die Interpretation der Ergebnisse hängt vollständig von den zuvor definierten Zielwerten ab. Die Autoren beziehen sich in ihrer Definition des Zielwertes für den ICP-Pulsatilitätsindex auf einige Publikationen vor allem von Patienten mit Normaldruckhydrocephalus und mit Schädel-Hirn-Traum. Die Festlegung der Zielwerte ist damit eher willkürlich und es ist fragwürdig, ob sie überhaupt für Patienten mit SAB gelten können. Wählte man als Zielwert anstelle von 5 mmHg 6 oder 7 so wären die Ergebnisse nicht mehr so unterschiedlich von denen des ICP. Dabei muss man auch bedenken, dass einige der Patienten bereits zuvor Werte des ICP-Pulsatilitätsindex unter den angestrebten Werten hatten: 3 unter 5 mmHg, 4 unter 6 mmHg, 7 unter 7 mmHg.

Eine klinische Relevanz der Ergebnisse hängt stark davon ab, ob die Behandlung des ICP-Pulsatilitätsindexs anstelle der meist gängigen Behandlung des ICP und des CPP als Surrogatparameter bei intrakranieller Drucksteigerung einen besseren Zielparameter darstellt. Hierfür müsste gezeigt werden, dass das klinische Ergebnis der Patienten bei Behandlung des ICP-Pulsatilitätsindex anstelle von ICP oder CPP besser ist, bzw. ie Behandlung des ICP überhaupt einen Effekt hat. Die bisherigen Hinweise hierfür stammen allenfalls aus kleinen Fallserien und Fallberichten, die allesamt aus derselben Arbeitsgruppe stammen und dieselben methodischen Schwächen aufweisen wie die vorliegende Arbeit. Die Autoren sehen das offenbar genauso und weisen abschließend darauf hin, dass sie derzeit eine klinische Studie mit genau dieser Fragestellung durchführen. Es sollten die Ergebnisse dieser Studie abgewartet und kritisch bewertet werden, bevor irgendwelche Schlussfolgerungen aus der vorliegenden Arbeit gezogen werden sollten.

(E. Jüttler)