Aktuelle Publikationen von Interesse 2011Cooper DJ, Rosenfeld JV, Murray L, Arabi YM, Davies AR, D'Urso P, Kossmann T, Ponsford J, Seppelt I, Reilly P, Wolfe R; DECRA Trial Investigators; Australian and New Zealand Intensive Care Society Clinical Trials Group. N Engl J Med. 2011 Apr 21;364(16):1493-502.


Referenten:

Oliver W. Sakowitz (Neurochirurgische Intensivstation Univ.-Klinik Heidelberg)
Hagen B. Huttner (Neurologische Intensivstation Univ.-Klinik Erlangen)


Zusammenfassung:

Der Stellenwert der dekompressiven Kraniektomie bei Patienten nach einem schweren Schädel-Hirn-Trauma ist nach wie vor Gegenstand reger Diskussion. In den Leitlinien der Brain Trauma Foundation geht diese als optionale Therapiemaßnahme der zweiten Wahl bei therapierefraktärer intrakranieller Hypertension ein. Die Autoren der „Decompressive craniectomy in diffuse traumatic brain injury“ (DECRA) Studie berichten über die Ergebnisse der prospektiven randomisierten Untersuchung an 155 Patienten mit schweren diffusem Schädel-Hirn-Traum und intrakranieller Hypertension, die auf Maßnahmen der ersten Wahl (wie Osmotherapie, Hyperventilation, Liquordrainage) refraktär war. Der primäre Outcome-Parameter war definiert als ein Skalenwert von 1-3 (Tod, vegetativer Status oder schwere Behinderung) auf der Extended Glasgow Outcome Scale (EGOS) 6 Monate nach Trauma.

Im Ergebnis zeigte sich eine signifikante Reduktion des intrakraniellen Drucks gegenüber der Kontrollgruppe. Es mussten weniger Maßnahmen zur ICP-Senkung unternommen werden. Die Aufenthaltsdauer auf der Intensivstation war signifikant verringert. Trotzdem gab sich in der Kraniektomie-Gruppe ein signifikant schlechteres Outcome (Odds Ratio für ein schlechtes Outcome: 1,14 - 4,26 im Mittel 2,21). Die Mortalität war in beiden Gruppen gleich (18 respektive 19%). Zusammenfassend sehen die Autoren eine Verschlechterung des klinisch neurologischen Outcome nach dekompressiver Kraniektomie bei Patienten mit schwerem Schädel-Hirn-Trauma trotz erfolgreicher ICP-Senkung und Reduktion der Intensivtherapie.


Kommentar:

Die DECRA-Studie wurde von 2002 bis 2010 an 15 ausgewiesenen Traumazentren in Australien, Neuseeland und Saudi Arabien durchgeführt. Die Anzahl von 155 Patienten zeigt, dass der jährliche Einschluss in der Studie zögerlich war. In der Tat wurde die initial notwendige Anzahl von 210 Patienten im Verlauf der Studie auf 150 reduziert. Die Teststärkeberechnungen wurden unter Annahme einer mindestens 1,5 Punkte Skalendifferenz auf der EGOS durchgeführt. Insgesamt wurden 88% der Patienten in Australien und Neuseeland eingeschlossen – mehr als 30% in nur einem Zentrum. Zwischen den Studienarmen gab es eine signifikante Ungleichgewichtung hinsichtlich einer Variablen in der neurologischen Ausgangsuntersuchung (Pupillenreaktivität). Bei 27% der Interventionsgruppe war keine Pupillenreaktivität feststellbar gegenüber 12% in der Kontrollgruppe. Dieses könnte ein schwaches Indiz für eine „Schieflage“ bei den ansonsten gleich verteilten Gruppen sein.

Die untersuchte Therapieform war als bifronto-temporo-parietale Kraniektomie festgelegt. Diese symmetrische Form der Kraniektomie wird insgesamt seltener angewandt als die asymmetrische Hemikraniektomie. Sie wird für diffuse bilaterale traumatische Hirnverletzungen empfohlen. Ob die Ergebnisse vergleichbar sind mit einer entsprechenden Hemikraniektomie und Duraerweiterungsplastik bei seitenbetonten traumatischen Verletzungen ist unklar.

Da medizinische und chirurgische Komplikationen in beiden Studienarmen gleich häufig auftraten, bleibt unklar, aus welchen Gründen sich der initial beobachtete Vorteil (ICP-Senkung, Reduktion der Intensivtherapie) im Outcome nicht durchsetzen konnte. Die Autoren spekulieren, dass die Ausdehnung des geschwollenen Gehirns über die Kraniektomiegrenzen zur Hirnschädigung im Sinne von axonaler Schädigung beitragen könnte. Hier wäre eine Analyse der Kraniektomiedurchmesser hilfreich. Veränderungen in der Hirndurchblutung und Hirnmetabolismus wurden nicht untersucht, könnten also auch relevant gewesen sein.

Für die bifronto-temporo-parietale Dekompressionstrepanation gibt es derzeit also keinen Anhalt für eine Outcome-Verbesserung bei Patienten mit diffusem schwerem Schädel-Hirn-Trauma. Es bleibt abzuwarten, inwiefern die europäische „Schwesterstudie“,  Randomized Evaluation of Surgery with Craniectomy for Uncontrollable Elevation of intracranial pressure (RescueICP), hier bessere Ergebnisse liefern kann. Diese ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen. Auch hier verlief der Patienteneinschluss unter den vornehmlich europäischen Zentren zunächst zögerlich, sodass auf die Beantwortung der Frage nach dem Stellenwert der Kraniektomie beim Trauma wohl noch etwas gewartet werden muss.

 

Referenzen

  • Cooper DJ, Rosenfeld JV, Murray L, Arabi YM, Davies AR, D'Urso P, Kossmann T, Ponsford J, Seppelt I, Reilly P, Wolfe R; DECRA Trial Investigators; Australian and New Zealand Intensive Care Society Clinical Trials Group. -Decompressive craniectomy in diffuse traumatic brain injury. N Engl J Med. 2011 Apr 21;364(16):1493-502.
  • Hutchinson PJ, Corteen E, Czosnyka M, Mendelow AD, Menon DK, Mitchell P, Murray G, Pickard JD, Rickels E, Sahuquillo J, Servadei F, Teasdale GM, Timofeev I, Unterberg A, Kirkpatrick PJ. Department of Neurosurgery, University of Cambridge, Addenbrooke's Hospital, Cambridge. Decompressive craniectomy in traumatic brain injury: the randomized multicenter RESCUEicp study. Acta Neurochir Suppl. 2006;96:17-20