Valentin A, Lang T, Karnik R, Ammerer HP, Ploder J, Slany J.
In: Crit Care Med 2003; 31: 1539- 1542


BEWERTUNGSSYSTEM

*****    = hervorragende Arbeit
****    = gute grundlagenwissenschaftliche Arbeit/klinische Studie/Übersichtsarbeit
***    = geringer Neuheitswert oder nur für Spezialisten geeignet
**    = weniger interessant, leichte formale oder methodische Mängel
*    = erhebliche Mängel

 

nima 3-2003


Bewertung: ***





Zielstellung:

Der Wert einer Dauermessung des intrakraniellen Drucks ist zwar klinisch einleuchtend, da man dann Druckerhöhungen frühzeitig erkennen kann, aber die prognostische Bedeutung ist unklar. Die Frage der österreichischen Autoren war also: Verbessert eine Dauermessung des intrakraniellen Drucks das Outcome der Patienten. Es wurde eine Gruppe von Patienten mit intrakraniellen Blutungen untersucht.

Design:

Diese Studie wurde monozentrisch mit Prüfung durch ein „Institutional Review Board“ an 225 konsekutiven Patienten einer
Intensivstation des Krankenhauses Rudolfstiftung (900 Betten tertiäres Krankenhaus) der Universität Wien im Zeitraum von 4.1997 bis 3.2000 durch Internisten und Neurochirurgen durchgeführt. Man kann also, obwohl nicht explizit ausgeführt, von einer prospektiven Studie ausgehen. Eine Intervention oder Änderung der Routinetherapie durch die Studie fand nicht statt. Die Entscheidung zur intrakraniellen Druckmessung wurde aus rein individuell klinischen Erwägungen getroffen. Die Studiengruppe bestand aus 96 Patienten mit intrazerebraler Blutung (ICB), 93 mit Subarachnoidalblutung (SAB), 26 Subduralhämatom, 4 hämorrhagische Kontusionen, 3 epiduralen Blutungen und 3 isolierten intraventrikulären Blutungen. Die intrakranielle Druckmessung erfolgte mit der intraparenchymatösen Caminosonde bei 34 und mittels Ventrikelkathetermessung bei 85 Patienten. Es entstand auf natürlichem Wege eine Gruppe von 119 Patienten mit und eine zweite von 106 Patienten ohne intrakranielle Druckmessung. Bei allen Intensivpatienten wird (gesetzlich in Österreich gefordert) der SAPS (Simplified Acute Physiology Score) bei Aufnahme bestimmt. Hieraus lassen sich die prognostizierten Mortalitätsdaten der Patienten errechnen. Aus den tatsächlichen Mortalitätsdaten und den durch das Scoringsystem vorrausgesagten lassen sich standardisierte Mortalitätsratios bilden. Ist diese Ratio 1, wäre die tatsächliche gleich der prognostizierten Mortalität, ist sie kleiner 1 starben weniger und bei größer 1 mehr Patienten als erwartet. Der Einfluss der verschiedenen Parametern wurde durch multiple schrittweise logistische Regressionsanalysen bestimmt.

Wichtige Resultate:

Das Hauptergebnis der Studie war, dass in der Gruppe der Patienten mit intrakraniellem Druckmonitoring eine Mortalität wie durch SAPS prognostiziert erreicht wurde (Ratio 1,09, 95% CI 0,87- 1,31), während in der Patientengruppe ohne intrakranielle Druckmessung eine deutliche Übersterblichkeit gegenüber der Aufnahmeprognose beobachtet wurde (Ratio 1,26, CI 1,06- 1,46). Interessante Einzelergebnisse sind zu berichten. So wurden drei unabhängige Variablen für die Entscheidung zur intrakraniellen Druckmessung ausgemacht: niedrigeres Alter, Diagnose einer SAB und das Vorliegen einer intraventrikulären Blutung. Alle drei Parameter machen aus klinischer Sicht Sinn, man wird sich eher bei jungen Patienten und solchen mit einer Gefahr des Liquoraufstaus zu einer Drainage entscheiden. Zwischen den beiden
benutzten Druckmessungssystemen bestand kein Unterschied. In Rohdaten wurde bei den 119 Patienten mit intrakranieller Druckmessung 40 Todesfälle vorhergesagt, es kam zu 43. In der zweiten Gruppe kam es bei 41 vorhergesagten Todesfällen zu 51 beobachteten.

Schlussfolgerungen:

Die Autoren kommen zu der Schlussfolgerung, dass ein positiver Effekt der Hirndruckmessung auf die Prognose der Intensivpatienten mit intrakraniellen Blutungen festzustellen sei. In der Diskussion ihrer Ergebnisse stellen die Autoren aber selbst einige Probleme ihrer Arbeit klar. So sei das SAPS Scoring System nicht speziell auf die Patienten mit intrakraniellen Blutungen abgestimmt. Generell würde SAPS das Mortalitätsrisiko eher unterschätzen. Allerdings werden neuere Arbeiten zitiert bei denen eine gute Übereinstimmung des SAPS bei neurologischen Patienten beschrieben wird.

Kommentar:

Eine sehr interessante und wichtige Studie für den Einsatz der intrakraniellen Dauerdruckmessung bei Patienten mit intrakraniellen Blutungen. Das innovative und geschickte Design der monozentrischen Studie ermöglicht es den Hauptkritikpunkt an solchen Untersuchungen zu entkräften. Dieser ist die Präselektion der Patienten, d.h. nur „gute“ Patienten (jünger, geringer betroffen etc.) erhalten eine intrakranielle Druckdauermessung, während die älteren multimorbiden weniger invasiv behandelt werden. Aus diesen Unterschieden ergibt sich die höhere Mortalität. Da aber diese ganzen Ungleichgewichte (die auch in dieser Untersuchung zwischen den Gruppen bestanden) auch voll in die Berechnung der prognostizierten Mortalität eingehen, ist die Übersterblichkeit der nicht druckgemessenen Gruppe ziemlich
sicher kein Selektionsbias. Dies ist das Positive und Wichtige an dieser Studie. Trotzdem kann man in meinen Augen die Ergebnisse nicht kritiklos annehmen. Es gibt drei wesentliche Problembereiche:
1) von den Autoren schon angesprochen, ist der SAPS nicht für Patienten mit intrakraniellen Blutungen validiert. Es werden in diesem Score Alter, Aufnahmemodalität, drei Grunderkrankungen und 12 physiologische Parameter (Puls, systolischer RR, Körpertemperatur, Pa02/FI02 Ratio, Urinproduktion, Serumharnstoff, Leukozytenzahl, Serumkalium, Serumnatrium, Serumbikarbonat, Bilirubin und die Glasgow Coma Scale) erfasst. Der neurologische Intensivmediziner sieht bis auf die Glasgow Coma Scale keinen erkrankungsspezifischen Wert, alles andere sind Marker einer allgemein schweren Erkrankung. Von daher könnte die Studie mit mehr neurologischen Parametern sicher viel eindeutiger ausgefallen sein.
2) Die Gruppe der Patienten mit intrakraniellen Blutungen ist hier sehr inhomogen. SAB und ICB zusammenzufassen macht noch gewissen Sinn, während Kontusionen, epidurale und intraventrikuläre Blutungen in meinen Augen schwierig sind. So sollten z.B. intraventrikuläre Blutungen immer eine externe Drainage brauchen. Pathophysiologisch besser wäre die Untersuchung von Patienten mit reiner ICB gewesen.
3) Die Fallzahlen sind trotz überzeugender Statistik klein. So war bei 40 von 119 Patienten mit Druckmessung ein tödlicher Ausgang vorhergesagt, der dann in 43 eintraf. In der Gruppe ohne Messung wurden statt 41 vorhergesagter Todesfälle 51 beobachtet. Bei diesen kleinen Zahlen ist klar, dass ein Wechsel von 2-3 Patienten pro Gruppe zu einem negativen Ergebnis geführt hätte.
Trotz dieser Kritik halte ich die Studie für wichtig und geeignet die Durchführung einer intrakraniellen Dauerdruckmessung zu propagieren. Gerade in Zeiten knapper werdender Ressourcen brauchen wir solche Studien als Argumentationshilfe bei Verwaltungen und Kostenträgern. Auch, wenn man wie immer, eine wesentliche größere und aussagekräftigere Multizenterstudie fordern würde, um den Grad der wissenschaftlichen Evidenz zu erhöhen.

(G. F. Hamann)