Wagner BP, Gertsch S, Amman AA, Pfenninger J
In: Intensive Care Med 2003; 51(5): 196-200


BEWERTUNGSSYSTEM

*****    = hervorragende Arbeit
****    = gute grundlagenwissenschaftliche Arbeit/klinische Studie/Übersichtsarbeit
***    = geringer Neuheitswert oder nur für Spezialisten geeignet
**    = weniger interessant, leichte formale oder methodische Mängel
*    = erhebliche Mängel

 

nima 3-2003


Bewertung: ****





Zielstellung:

Es wird die Anwendbarkeit und Reproduzierbarkeit eines BlutflussIndex (BFI) zur Bestimmung des Zerebralen Blutflusses (cerebral blood flow; CBF) untersucht.

Design:

Prospektive funktionelle Untersuchung an einer pädiatrischen Intensivstation.

Methode:

Eingeschlossen wurden 14 konsekutive Patienten mit einem Alter zwischen 1 Tag und 11 Jahren. Es wurde 0.1. oder 0.3 mg/kg Indocyaningrün (ICG) i.v. injiziert. Durch nicht invasive Nahinfrarotspektroskopie (NIRS) wurden die Daten der ersten Passage des Indikators und Chromophors ICG durch das zerebrale Gefäßbett registriert (NIRO 500, Hamamatsu Photonics, Japan). Die Datenanalyse erfolgte durch die Berechnung des BFI als Quotient zwischen maximaler Veränderung der ICG-Absorption (gemessen in optical densities; OD) und der ICG-Anstiegszeit (Zeit zwischen 10% und 90% der maximalen ICG-Absorption). Die Reproduzierbarkeit wurde durch 6 repetitive ICG-Injektionen in 5-Minuten Intervallen untersucht.

Wichtige Resultate:

Bei 90% der ICG-Injektionen war die Datenanalyse erfolgreich. Der Medianwert von 17 Messungen zur Untersuchung der Reproduzierbarkeit war 71 (Messbereich 12 – 213) und der Variationskoeffzient (coefficient of variation; CV) des BFI war 10% (4.9 – 18.5). Während der repetitiven Messungen waren arterieller Blutdruck, endexspiratorisches CO2 und perkutane O2-Sättigung stabil (CV < 2%). Die Menge an injiziertem ICG (0.1 gegenüber 0.3 mg/kg) beeinflusste den CV nicht. Der CV war kleiner bei 8 Messserien an herzchirurgischen Patienten (9.2%). Der CV bei 8 Neugeborenen war höher als bei älteren Kindern (14.8% vs. 8.6%). Schlussfolgerung: Bestimmungen des BFI durch die NIRS-ICG-Dilutionsmethode sind einfach durchführbar und erlauben schnelle und repetitive CBF-Messungen mit guter Reproduzierbarkeit in der pädiatrischen Intensivmedizin. Dabei stellt der BFI kein Absolutwert für den CBF dar, scheint aber geeignet zu sein, intraindividuell CBF-Veränderungen bei Untersuchungen der zerebrovaskulären Reaktivität oder bei therapeutischen Interventionen zu untersuchen.

Kommentar:

Die Möglichkeit zum bettseitigen CBF-Monitoring ist in der Neurointensivmedizin von großer Bedeutung. Die bisher verfügbaren
Methoden zur bettseitigen Messung des CBF, wie das Kety-Schmidt-Verfahren oder die 133 Xenon-Dilution sind technisch und zeitlich aufwendig und am Krankenbett auf der Intensivmedizin kaum anwendbar. Die Thermodiffusionsmethode durch eine ins Hirnparenchym eingeführte Sonde ist invasiv und repräsentiert nur ein Gebiet von wenigen mm 3, so dass, bei Anlage von nur einer Sonde, ebenfalls regionale Ischämien verpasst werden können. Erste Fallbeschreibungen zeigen, dass NIRS kombiniert mit einer ICGDilutionsmethode eine einfach durchführbare Methode direkt am Krankenbett mit innerhalb von Minuten verfügbaren Resultaten sein kann (Keller et al. 2001). NIRS ist ein nicht invasives Verfahren, bei dem 4 Laserdioden Licht im Infrarotbereich von 750 - 1000 nm generiert und fiberoptisch auf das untersuchte Gewebe übertragen wird. Das Gewebe passierende Licht wird zu einem Photomultiplier geleitet. Aus initialer und zurückfindender Lichtintensität als Rohdaten wird in der konventionellen NIRS-Oxymetrie die Absorption von Chromophoren wie HbOXY und HbDESOXY in optical densities (OD) gemessen, sowie deren Konzentrationsveränderungen berechnet. ICG ist äußerst nebenwirkungsarm, von der FDA zugelassen und wird seit über 40 Jahren in der Kardiologie, Leberfunktionsdiagnostik und Augenheilkunde als Diagnostikum eingesetzt. Sein Absorptionsmaximum liegt im NIRLichtbereich bei 805nm. ICG stellt damit nach i.v Injektion ein idealer Indikator zur Erfassung von Farbstoffverdünnungskurven mittels NIRS über dem Kortex dar. Roberts et al. analysierten die ICG-Dilutionskurven, indem das Eingangssignal für den Kopf invasiv durch arterielle Fiberoptikkatheter gewonnen wurde (Roberts et al. 1998). Der BFI wurde von Kuebler et al. aus der Fluorescein-Flussmessung hergeleitet (Kuebler et al. 1998). Es wurde tierexperimentell gezeigt, dass der BFI mit dem mittels Mikrosphären gemessenen kortikalen CBF und nicht mit der Durchblutung der Haut korreliert (bei allerdings breiter Streuung in der Bland and Altman Darstellung). Die vorliegende Arbeit stellt die erste klinische Anwendung des BFI zur Quantifizierung der ICGDilutionskurven dar und dokumentiert die einfache Anwendbarkeit der Methode und die gute Reproduzierbarkeit des BFI. Einschränkend liefert der BFI keine Absolutwerte, sondern stellt bei unbekanntem Proportionalitätsfaktor nur ein relatives Maß für den CBF dar. CBFVeränderungen sind allerdings im Krankheitsverlauf oft von größerer Bedeutung als Absolutwerte. Die Resultate aus der vorliegenden Arbeit gelten für pädiatrische Patienten. Erfahrungen mit der NIRS-O2-45 Dilutionsmethode zeigten, dass sich Messmethoden bei pädiatrischen Patienten auf Erwachsene mit dickerem Schädelknochen und höherem Anteil extrazerebraler Strukturen nicht übertragen lassen (Newton et al. 1997). In zukünftigen Arbeiten muss der BFI an Standardmethoden zur CBF-Messung bei Kindern und Erwachsenen validiert werden. Untersuchungen zur Quantifizierung und Subtraktion der extrazerebralen Kontamination des NIRSSignals sind erforderlich. Komplexere Algorithmen zur Bestimmung von CBFAbsolutwerten über mehreren zerebralen Gefäßterritorien sind in Entwicklung und können die NIRS-ICG-Dilutionsmethode zur einem wertvollen Monitoring-Verfahren in der Neurointensivmedizin werden lassen.

(E. Keller)

Literatur:

  • Keller E., Wolf M, Martin M, Yonekawa Y. Estimation of cerebral oxygenation and hemodynamics in cerebral vasospasm using indocyaningreen dye dilution and near infrared spectroscopy. J of Neurosurg Anesthesiol 2001,13(1):43-48
  • Kuebler WM., Sckell A, Habler O, Kleen M, Kuhnle GEH, Welte M, Messmer K, Goetz AE. Noninvasive measurement of regional cerebral blood flow by near-infrared spectroscopy and indocyanine green. J Cereb Blood Flow and Metab 1998, 18: 445-56.
  • Newton CR, Wilson DA, Gunnoe E, Wagner B, Cope M, Traystman RJ. Measurement of cerebral blood flow in dogs with near infrared spectroscopy in the reflectance mode is invalid. J Cereb Blood Flow Metab 1997,17(6): 695-703
  • Roberts IG, Fallon P, Kirkham FJ, Kirshbom PM, Cooper CE, Elliott MJ, Edwards AD. Measurement of cerebral blood flow during cardiopulmonary bypass with nearinfrared spectroscopy. J Thorac Cardiovasc Surg 1998,115: 94-102