Schneider G, Hegelmeier S, Schneider J, Tempel G, Kochs EF
In: Intensive Care Medicine: 30: 213-216 (2004)


BEWERTUNGSSYSTEM

*****    = hervorragende Arbeit
****    = gute grundlagenwissenschaftliche Arbeit/klinische Studie/Übersichtsarbeit
***    = geringer Neuheitswert oder nur für Spezialisten geeignet
**    = weniger interessant, leichte formale oder methodische Mängel
*    = erhebliche Mängel

 

nima 1-2004


Bewertung: *





Zielstellung:

Die Untersuchung zielt auf die Anwendung eines EEG-basierten PatientenZustands-Index (Patient State Index -PSI) mit Vergleich zum Ramsay-Score (eine 6-stufige Skala der Reagibilität) ab. Es soll untersucht werden, ob mit Hilfe des PSI eine signifikante Korrelation zum Ramsay-Score besteht.

Design:

Es wurden 41 Patienten (15 Frauen, 26 Männer) untersucht, die postoperativ intubiert und beatmet wurden. Die Narkose wurde mit Propofol, Sulfentanil, Servoflurane/Sufentanil oder Isuflurane/Sufentanil durchgeführt. Zur Untersuchung wurde ein Gerät der Firma Physiometrix mit dem Namen PSA (Patient State Analyzer) verwendet, Dieses Gerät errechnet aus den EEG Rohdaten eine fronto-okzipitale Korrelation der EEGAktivität. Genauere Daten für den Algorhythmus der Berechnung werden nicht mitgeteilt. Der errechnete PSI score ist ein dimensionsloser Wert auf einer 100stufigen Skala. Für die Ableitung wird eine Vierkanal-Ableitung mit EEG-Klebeelektroden verwendet, die in den Positionen FP1, FPZ Cz, Pz und FP2 (als Erde) aufgebracht werden. Ein für die PSI-Daten geblindeter Untersucher ermittelte den klinischen Ramsay-Score, anschließend wurden die PSI-Daten mit dem Ramsay-Score-Daten mit statistischen Mitteln korreliert. Ergebnisse: Es fand sich ein hoher Vorhersagewert mit einem Korrelationskoeffizienten von 0.920 ± 0.037 für die Gesamtgruppe. Die Korrelationen waren für alle geprüften Datenpaare signifikant, außer für die Differenzierung zwischen Ramsay-Score-Gruppen 4 und 5 und 5 und 6 (p>0.3) sowie für 2 und 3 (p=0.07). Damit war für eine von vier Paarungen (3 vs. 4) ein signifikanter Wert zu ermitteln, aber nicht für 2 vs. 3, 4 vs. 5 und 5 vs. 6. Die Autoren stellten aber fest, dass für die Gesamtanalyse eine statistisch signifikante Differenz bestand, die mit Hilfe des PSI eine Unterscheidung zwischen den verschiedenen mit Ramsay-Score klinisch festgestellten Narkosentiefen erlaubte.

Schlussfolgerungen:

Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass die PSI ein wertvolles Instrument zur Bestimmung der Sedationstiefe darstellt, das mit der klinischen Beurteilung mittels Ramsay-Score statistisch hoch korreliert. Daher sei das PSI eine Methode zur objektiven Bestimmung der Sedierungs- oder Narkosetiefe.

Kommentar:

Schon lange wird nach objektiven Messverfahren für die Tiefe der Bewusstseinsstörung bei Narkose oder Sedierung gesucht. Es sind schon mehrere EEGgestützte Systeme erprobt worden, die entweder auf eine EEG-Spektralanalyse oder anderen aus den Roh-EEG abgeleiteten Daten beruhen. Bisher waren die Systeme einer klinischen Beurteilung der Tiefe der Sedierung (des Komas) nicht überlegen. Für die Bestimmung der Tiefe der Sedierung gibt es schon seit Jahrzehnte brauchbare klinische Scores. Dazu zählt die einfache Bestimmung der quantitativen Bewusstseinsstörung nach den Kriterien:
Sopor: leichte Bewusstseinstrübung mit prompter Erweckbarkeit und erneutem Einschlafen (Hypersomnie)
Stupor: hochgradige Bewusstseinsstörung mit ungezielter Reaktion auf Weckreize ohne gezielte Reaktion.
Koma: - Bewusstlosigkeit ohne Reaktion auf Außenreize.
Die Ramsay-Sedierungs-Skala mit 6 Stufen unterscheidet zwischen:
1. ängstlich oder erregt
2. kooperativ, orientiert, ruhig
3. Reaktion auf Aufforderungen
4. Prompte Reaktion auf Stirnreize oder akustische Stimuli
5. Verlangsamte Reaktion auf Stirnreize oder akustische Stimuli
6. Keine Reaktion auf Stirnreize oder akustische Stimuli

Die Stufen 1 bis 4 entsprechen einem klaren Bewusstsein im Hinblick auf quantitative Bewusstseinsstörungen. Die Stufe 5 entspricht einem Sopor, die Stufe 6 entspricht dem Koma. Diese Einteilung ist also geeignet, sehr geringe Störungen des quantitativen Bewussteins zu differenzieren, stellt aber bei höheren Graden der quantitativen Bewusstseinsstörung keinen Fortschritt gegenüber der althergebrachten Einteilung Sopor – Stupor - Koma dar. Die Ramsay-Skala ist also zumindest für die Beurteilung von neurologischen Patienten mit Bewusstseinsstörung kein erkennbarer Fortschritt. Die vorgestellte Methode des PSI stellt den Versuch dar, mit Hilfe einer EEG-Auswertung differenzierte Aussagen über die Tiefe der Sedierung zu ermitteln. Ein solches System wäre nur dann (finanziell und im Hinblick auf den apparativen Aufwand) sinnvoll, wenn es in der klinischen Beurteilung der Tiefe der Sedierung überlegen wäre. Dies ist aus den vorgelegten Daten aber nicht erkennbar. Im Gegenteil, es sind keine statistisch signifikanten Differenzierungen zwischen 3 von 4 Ramsay-Score-Klassen zu ermitteln gewesen. Insofern kann das System nicht besser zwischen verschiedenen Sedierungstiefen unterscheiden als es mit klinischen Mitteln möglich ist. Daher steht der finanzielle Aufwand der Anschaffung des Systems und der Aufwand zur Schulung des Personals in der Anwendung des Systems in keinem sinnvollen Verhältnis zum Ergebnis. Das System kann zumindest für neurologische Intensivpatienten wohl kaum als brauchbar bezeichnet werden. Man kann sich des Eindruckes nicht erwehren, dass wie schon oft zuvor versucht wird, die Unerfahrenheit von nicht- Neurologen in der klinischen Beurteilung von quantitativen Bewusstseinsstörungen mit dem Einsatz eines neuen Gerätes auszugleichen und den Anwendern eine Scheinsicherheit in der Beurteilung von Bewusstseinsstörungen zu vermitteln. Man könnte auch einfach einen Neurologen fragen...

(W. Haupt)